„Man muss versuchen, so früh wie möglich mit so vielen Kanonen wie möglich die Erkrankung einzudämmen“, forderte Bittrich. Ein Aufsparen von ganz effektiven Therapien für höhere Linien sei obsolet. So ist seit Kurzem die CAR-T-Zell-Therapie Ciltacabtagen autoleucel (Cilta-cel; Carvykti®) schon ab der Zweitlinie indiziert für die Behandlung von Erwachsenen mit rezidiviertem/refraktärem MM (r/r MM), die zuvor bereits eine Therapielinie erhalten haben (darunter einen Immunmodulator sowie einen Proteasom-Inhibitor) und während dieser eine Krankheitsprogression erleben mussten sowie gegenüber Lenalidomid refraktär sind.
Die zulassungsrelevanten Daten für diese Zulassungserweiterung stammen aus der Phase-III-Studie CARTITUDE-4 [1]. Darin hatten Patienten mit mindestens einer Vortherapie eine Infusion mit Cilta-cel erhalten. Darunter ließ sich nach einem medianen Follow-up von 15,9 Monaten im Vergleich zur Standardzweitlinientherapie (Pomalidomid/Bortezomib/Dexamethason oder Daratumumab/Pomalidomid/Dexamethason) das Risiko für einen Progress oder Tod um 74 % senken (Hazard Ratio 0,26; 95 %-Konfidenzintervall 0,18–0,38; p < 0,001). Die 12-Monats-Rate für das progressionsfreie Überleben betrug 75,9 % im Cilta-cel-Arm und 48,6 % im Standardarm. Nach Meinung von Bittrich erhöht Cilta-cel nach einer Vortherapie somit die Chance auf eine langanhaltende Remission.
CAR-T-Zell-Therapie: breite Rolle für Zuweisende in der Nachsorge
Die Mehrheit der Patienten sei für eine CAR-T-Zell-Therapie geeignet, und vor allem würden Erkrankte mit einer geringeren Anzahl an Vortherapien, jene mit einem hohen Risiko für einen raschen Progress nach einer Stammzelltransplantation oder dem Beginn der ersten Therapie sowie jene mit einer Hochrisiko-Zytogenetik von der CAR-T-Zell-Therapie profitieren, erklärte Bittrich. Dies hatte sich unter anderem in einer Post-hoc-Analyse der CARTITUDE-Studie gezeigt [2].
„Deshalb ist es ganz wichtig, dass diese Patienten in den Praxen erkannt und einem CAR-T-Zell-Zentrum zugewiesen werden. Hier kommt den Zuweisenden im Alltag eine ganz breite Rolle in der Nachsorge zu, indem sie die Kooperation zu ihrem nächstgelegenen Zentrum suchen“, mahnte er. Der komplexe CAR-T-Zell-Behandlungspfad funktioniere mit guter Kommunikation zwischen Zuweisenden und Zentrum, meinte Bittrich. So könne beispielsweise die Bridging-Therapie während der Herstellungszeit der CAR-T-Zellen ambulant in der Zuweiserpraxis durchgeführt werden. Das Sicherheitsprofil der CAR-T-Zellen sei überschaubar, es sei aber eine konsequente, langfristige Nachsorge nach der einmaligen Infusion notwendig. Diese sei nach der Akutphase ebenfalls durch Zuweisende möglich.
Bispezifische Antikörper: Abstimmung zwischen Zuweisenden und Zentren
Ab der vierten Therapielinie können beim Triple-Class-refraktären r/r MM bispezifische Antikörper eingesetzt werden: Sowohl Teclistamab (Tecvayli®) als auch Talquetamab (Talvey®) binden parallel das Oberflächenantigen CD3 auf zytotoxischen T-Zellen und ein Antigen auf der Myelomzelle: Teclistamab zielt auf das B-Zell-spezifische Antigen (BCMA) und Talquetamab auf den G-Protein-gekoppelten Rezeptor Klasse C Gruppe 5 (GPRC5D) ab.
Vor allem ansprechende Patienten mit einer kompletten Remission oder besser (≥ CR) erreichen eine lange Progressionsfreiheit, wie es sich in aktuellen Follow-up-Daten der Phase-I/II-Zulassungsstudien MajesTEC-1 für Teclistamab [3] und MonumenTAL-1 für Talquetamab [4] ergeben hat. „Bispezifische Antikörper sind im ambulanten Setting sehr gut einsetzbar“, erklärte Bittrich. Jedoch sei hier ebenfalls die enge Abstimmung zwischen Klinik und Niederlassung essenziell. Vor allem die Erhaltungstherapie könne aufgrund der generell guten Verträglichkeit von niedergelassenen Hämatoonkologen übernommen werden. Zudem könne die Aufdosierung (Step-up-Phase) sowohl in der Klinik als auch prinzipiell ebenso im ambulanten Setting durchgeführt werden.
„Hierfür wäre es gut, wenn man die zur Sicherheit relevanten Medikamente, zum Beispiel Tocilizumab, vorhält“, empfahl er. Dieser monoklonale Antikörper wird zur Therapie des Zytokinsturms (CRS), einen Substanzklasseneffekt, eingesetzt. Der Großteil der CRS sei erstgradig und nur mit leichtem Fieber verbunden, erläuterte Bittrich. Auch eine zweitgradige CRS könne sehr gut im ambulanten Bereich aufgefangen werden. Eine höhergradige CRS sei zwar sehr selten, erfordere dann aber eine stationäre Aufnahme.
Die zweite wichtige Nebenwirkung seien Infektionen, die bei BCMA-gerichteten bispezifischen Antikörpern häufiger auftreten würden als bei Talquetamab. „Hier muss man Vorsicht walten lassen, seine Patienten gut monitorieren und sie entsprechend aufklären und schulen“, mahnte der Onkologe. Bei Talquetamab zu beachten seien zudem die antigenspezifischen Nebenwirkungen, wozu Geschmacksstörungen sowie haut- und nagelbezogene Nebenwirkungen gehören. Darüber hinaus sollten die Patienten auf neurologische Nebenwirkungen wie das Immuneffektorzell-assoziierte Neurotoxizitätssyndrom (ICANS) hin beobachtet werden, auch wenn diese bei beiden Antikörpern sehr selten auftreten würden und durch beispielsweise ein prolongiertes Intervall beherrschbar seien.
Schlüsselfunktion der Zuweiserpraxen
Insgesamt komme den zuweisenden Behandelnden eine Schlüsselfunktion zu: Diese sind laut Bittrich für die Identifikation und Zuweisung der Erkrankten in ein Zentrum, das Safety-Monitoring, die Nachsorge, die Aufklärung der Patienten und die Infektprophylaxe sowie die Erhaltungstherapie (perspektivisch ggf. Aufdosierung) verantwortlich und sollten darüber gut aufgeklärt sein.