Von der SCD sind weltweit gut 300.000 und in Deutschland rund 3.000 Patienten betroffen, deren Wurzeln überwiegend in Afrika und dem Nahen Osten liegen, berichtete Dr. Stephan Lobitz, Koblenz, bei der Launch-Pressekonferenz von Crizanlizumab. Verursacht wird die Erkrankung durch das pathologische Hämoglobin S (HbS), dem wiederum eine Punktmutation im β-Globin-Gen zugrunde liegt. Da deoxygeniertes HbS zur Polymeration neigt, kommt es zu einer sichelartigen Verformung der Erythrozyten, die dadurch weniger elastisch sind und einer verstärkten Hämolyse unterliegen. Pathophysiologisch werden durch die intravasale Hämolyse weitere Gefäßkomplikationen verursacht, u. a. bedingt durch komplexe Zell-Zell- und Zell-Endothel-Interaktionen, die laut Lobitz Gefäßverschlüsse begünstigen und damit die Basis für VOCs bilden.
Eine zentrale Rolle bei diesen pathophysiologischen Prozessen spielt das Zelladhäsionsprotein P-Selektin, erklärte Prof. Philipp le Coutre, Berlin. So kommt es bei der SCD zu einer Endothel-Thrombozyten-Interaktion, die von P-Selektin und dem P-Selektin-Glykoprotein-Liganden befeuert wird und letztlich zur Vasookklusion beiträgt.
Antikörper bremst P-Selektin aus
Mit dem spezifischen und hochaffinen humanisierten Antikörper Crizanlizumab steht nun die erste zielgerichtete Therapie zur Prävention rezidivierender VOCs bei der SCD zur Verfügung.Crizanlizumab wird als Zusatztherapie zu Hydroxyurea/Hydroxycarbamid (HU/HC) oder als Monotherapie bei Patienten eingesetzt, für die HU/HC unzureichend oder nicht geeignet ist [1]. Der Antikörper inhibiert die Bindung von P-Selektin an seine Rezeptoren. Wie le Coutre erklärte, besitzt die Langzeitanwendung von Crizanlizumab das Potential, „den Blutfluss zu verbessern und eine akute, schmerzhafte vasookklusive Krise bei Sichelzellpatienten zu verhindern“.
Studiendaten belegen Wirksamkeit
Zulassungsrelavant waren die Daten der Phase-II-Studie SUSTAIN [2]. Laut le Coutre wurden in die randomisierte, multizentrische, Placebo-kontrollierte, doppelblinde Phase-II-Studie 198 SCD-Patienten von 16 bis 63 Jahren eingeschlossen, die in den vergangenen 12 Monaten 2 bis 10 VOCs erlitten hatten. Die Patienten waren in 91,9 % der Fälle afroamerikanischer Herkunft und im Mittel 30,1 ± 10,3 Jahre alt. Es waren alle genetischen SCD-Subtypen erlaubt.
62,6 % der Patienten hatten 2 bis 4 VOCs im vergangenen Jahr erlitten, die übrigen 37,4 % 5 bis 10 VOCs. Die Studienteilnehmer erhielten nach 1:1:1-Randomisierung entweder Crizanlizumab in der Dosis 5 mg/kg KG (n = 67), in der Dosis 2,5 mg/kg KG (n = 66) oder Placebo (n = 65). Crizanlizumab wurde in 62,1 % der Fälle ohne und in 37,9 % begleitend zu einer HU/HC-Therapie verabreicht. Laut le Coutre ermöglichte Crizanlizumab den Patienten „längere Phasen ohne VOCs“. Die mediane Rate an VOCs pro Jahr in der Intention-to-Treat(ITT)-Population verringerte sich unter Crizanlizumab in der höheren Dosierung um 45,3 %. Der primäre Endpunkt der Studie wurde damit erreicht. Mehr als ein Drittel der Patienten war unter dem Einfluss des Antikörpers (5 mg/kg KG) ein Jahr lang völlig VOC-frei – mehr als doppelt so viele wie unter Placebo (p = 0,01). Zudem war die Rate unkomplizierter VOCs pro Jahr unter Crizanlizumab wesentlich geringer als unter Placebo (1,08 vs. 2,91). Auch die Hospitalisierungstage pro Jahr waren unter dem Antikörper im Vergleich zu Placebo vermindert, um immerhin 41,8 %. Der Vorteil für Crizanlizumab erwies sich als unabhängig vom SCD-Genotyp und von einer begleitenden Therapie mit HU/HC.
Zu den häufigsten Nebenwirkungen unter Crizanlizumab (> 10 %) zählten Arthralgie, Übelkeit, Rückenschmerzen, Pyrexie und abdominale Schmerzen [1]. Die meisten unerwünschten Effekte unter Crizanlizumab bewegen sich laut le Coutre aber „auf Placebo-Niveau“. Wegen der guten Wirksamkeit von Crizanlizumab 5 mg/kg KG bei günstigem Sicherheitsprofil wurde die Studie vorzeitig abgebrochen, um die Therapie allen Patienten zugänglich zu machen.