Die beiden neuen bispezifischen Antikörper Teclistamab und Talquetamab sind seit Kurzem als Monotherapien beim mit den drei Standardtherapieklassen bereits vorbehandelten r/r MM erhältlich [1, 2]. Sie docken parallel an das Oberflächenantigen CD3 auf zytotoxischen T-Zellen und an ein Hauptzielantigen auf der Myelomzelle an: Teclistamab bindet an das bereits in CAR-T-Zellen bewährte BCMA und Talquetamab an GPRC5D. Das Wirkprinzip der bispezifischen Antikörper ist, dass die zytotoxische T-Zelle in die Nähe der Myelomzelle gelangt und deren Zelllyse induziert.
Die Prognose für Patienten mit einem triple-class-refraktären r/r MM ist äußerst schlecht. Dies hat sich laut Prof. Steffen Raab, Heidelberg, in der Real-World-Studie LocoMMotion bestätigt [3]. „Diese Patientengruppe ist deshalb auf neue Therapien angewiesen“, erklärte er. Für ihn sowie für PD Dr. Leo Rasche, Würzburg, kommt als bevorzugte Therapie in dieser Situation eine CAR-T-Zell-Therapie infrage, die gegen das unter anderem auf Myelomzellen exprimierte BCMA gerichtet ist. Jedoch bedarf es zur Herstellung von CAR-T-Zellen laut Raab einer Vorlaufzeit von circa drei Monaten – eine schnellere, nach Meinung der Experten ähnlich effektive Alternative bietet sich nun mit den bispezifischen Antikörpern: „Bispezifische Antikörper gibt man zwar im Gegensatz zu CAR-T-Zellen längerfristig, aber die Therapie kann sofort eingeleitet werden“, erklärte Raab. Allerdings habe ein BCMA-gerichteter Antikörper vor der BCMA-spezifischen CAR-T-Zell-Therapie vermutlich Einfluss auf die Effektivität. „Man muss abwägen, wie dringend die Therapie ist – wenn ich zuerst eine BCMA-bispezifische Antikörpertherapie einleite, verwehre ich mir zumindest für die nächste Zeit eine BCMA-spezifische CAR-T-Zell-Therapie. Das ist wichtig, im Hinterkopf zu behalten“, gab Raab zu bedenken. Talquetamab könne man hingegen sowohl vor als auch nach einer BCMA-gerichteten Therapie einsetzen, ergänzte Rasche. Für eine Empfehlung der effektivsten Sequenztherapie fehlt es aber noch an ausreichenden Daten.
Hohe Rate für tiefes Ansprechen unter bispezifischen Antikörpern
Die Zulassung beider neuer Substanzen beruhte auf Phase-I/II-Zulassungsstudien, in denen sich laut den Experten hohe Gesamtansprechraten (ORR) gezeigt haben: 63,0 % unter Teclistamab (wöchentlich 1,5 mg/kg) in der MajesTEC-1-Studie [3, 4] und 71,7 % unter zweiwöchentlich gegebenem Talquetamab (0,8 mg/kg KG) in der MonumenTAL-1-Studie [5]. Beeindruckend fanden die Vortragenden die Rate für komplette Remissionen oder mehr (≥ CR) von 45,5 % unter Teclistamab und 38,7 % unter Talquetamab. Das Ansprechen übersetzte sich in ein medianes progressionsfreies Überleben (PFS) unter Teclistamab von 11,3 Monaten und unter Talquetamab (q2w) von 14,2 Monaten.
Anfänglich werden beide Antikörper in einer Step-up-Phase mit steigender Dosis gegeben, an die sich eine wöchentliche oder zweiwöchentliche Gabe der zugelassenen Dosierungen anschließt, obgleich bei Teclistamab die zweiwöchentliche Gabe nur bei einer ≥ CR für mindestens sechs Monate zugelassen ist.
Aufgrund des unterschiedlichen Zielantigens auf den Myelomzellen ergibt sich ein unterschiedliches Nebenwirkungsprofil der bispezifischen Antikörper. In den ersten 1,5 Wochen komme es in der Step-up-Phase unter Teclistamab zu Immunreaktionen wie dem Zytokinfreisetzungssyndrom (CRS), die unter stationären Bedingungen abgepuffert werden müssten, erklärte Raab. Darüber hinaus traten in der MajesTEC-1-Studie bei 80 % der Behandelten Infektionen auf, davon 55,2 % vom Grad 3–4 [4]. „Dies ist ein Substanzklasseneffekt von den BCMA-Therapien, den man ernst nehmen muss“, mahnte Rasche. „Mit bestimmten Supportivmaßnahmen kann man die Infektionsrate und -schwere deutlich senken“, sagte Raab und empfahl, gegebenenfalls polyvalente Immunglobuline zu substituieren, sowie eine antibiotische Prophylaxe beziehungsweise eine frühzeitige antibiotische Therapie. Besonders solle man bei auftretendem Fieber sein.
Zwar erlitten in der MonumenTAL-1-Studie auch unter Talquetamab 74,5 % ein CRS sowie 66,2 % Infektionen, allerdings waren die CRS überwiegend vom Grad 1–2 und Infektionen deutlich seltener vom Grad 3–4 (14,5 %) als unter dem BCMAxCD3-Antikörper [5]. „Bei einer Anamnese mit vielen infektiösen Komplikationen ist dies aus meiner Sicht ein Argument, Talquetamab bei diesen Patienten präferenziell einzusetzen“, schlug Rasche vor. „Aber der GPRC5DxCD3-Antikörper ist trotzdem kein Zuckerwasser“, sagte er. Denn unter Talquetamab seien dafür unerwünschte Wirkungen aufgetreten, die wahrscheinlich mit dem Zielantigen GPRC5D verbunden seien, wie Dysgeusie, Nagelveränderungen, Hautausschläge, Mundtrockenheit und Gewichtsverlust. Über diese müssten die Patienten aufgeklärt und regelmäßig beraten werden, sagte Rasche.
Sabrina Kempe