„Genau wie jeder Mensch einzigartig ist, sind auch unsere Tumoren einzigartig; kein Tumor ist wie der andere“, erklärte Prof. Dr. Dr. Sonja Loges, Universitätsklinikum Mannheim, Sprecherin der AG Molekulare und Translationale Onkologie der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) auf einer virtuellen Veranstaltung. In der Präzisionsonkologie ist deshalb nicht mehr nur die Lokalisation des Tumors entscheidend. Vielmehr rücken die genetischen Veränderungen in den Fokus, die eine Krebserkrankung auslösen. Das Ziel ist es, den genetischen Treiber eines Tumors zu finden und diesen bzw. sein Genprodukt auszuschalten. Bereits heute könnten ca. ein Drittel der Patienten, bei denen molekulardiagnostische Tests durchgeführt worden sind, mit einem Medikament behandelt werden [1], wie Dr. Franz Böhme, Leiter Medizin Onkologie/Hämatologie, Bayer Vital, Leverkusen, ausführte.
„Moderne präzisionsonkologische Therapien können ein langes Leben mit Krebs ermöglichen, trotz einer fortgeschrittenen Erkrankung“, sagte Loges. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Fortschritte in der Behandlung des Lungenkarzinoms, für das bereits einige krebstreibende genetische Veränderungen identifiziert werden konnten (BRAF, NTRK1-3, RET, HER2, ROS1, EGFR, PIK3CA, MET, MEK1, ALK). „Mehr als 50 % der Patienten mit Lungen-Adenokarzinomen können molekular zielgerichtet behandelt werden – das ist ein großer Erfolg der modernen Präzisionsonkologie“, freute sich die Onkologin.
Aktuell ist die molekulare Diagnostik allerdings noch nicht in der Routineversorgung angekommen, wie zum Beispiel aus dem deutschen CRISP-Register hervorgeht [2]: „Nur 80 % oder sogar weniger der Patienten werden auf den klassischen molekularen Treiber EGFR getestet. Für die etwas selteneren oder nicht ganz so etablierten Veränderungen wird noch mal deutlich seltener getestet“, fasste Loges die Daten zusammen.
Frühe und breite molekulare Testung
Damit mehr Krebspatienten von präzisionsonkologischen Therapien profitieren können, ist es nach einhelliger Meinung der Experten und Patientenvertreter der Pressekonferenz notwendig, bei allen Patienten mit soliden Tumoren möglichst früh nach Ausschöpfen kurativer Therapien molekular zu diagnostizieren. Bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom und seltenen Tumorarten wie sekretorischem Brustkrebs, Gallengangskrebs, Speicheldrüsenkrebs, Schilddrüsenkrebs und CUP-Syndrom sollte bereits vor Beginn der ersten medikamentösen Therapie molekular getestet werden. Auch die European Society of Clinical Oncology (ESMO) empfiehlt bereits in ihren Leitlinien von 2014 eine breite molekulare Diagnostik [3]. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) hat Anfang 2019 in einem Positionspapier die flächendeckende Verfügbarkeit sowie die schnelle, qualitätsgesicherte molekulare Diagnostik in der Onkologie gefordert [4]. Zusätzlich wies Loges darauf hin, dass eine weitere molekulare Untersuchung nötig wird, wenn der Tumor nicht mehr auf eine molekular zielgerichtete Therapie anspricht. Dann könnten neue genetische Veränderungen aufgetreten sein, die sich möglicherweise zielgerichtet therapieren lassen.
Fortschritt durch Vernetzung
An einigen Zentren in Deutschland wurden bereits in den vergangenen Jahren molekulare Tumorboards etabliert, die individuelle Therapieempfehlungen für die Patienten erarbeiten. Darüber hinaus ist es Loges aber wichtig, alle beteiligten Fachgruppen zu integrieren und Krebszentren, niedergelassene Onkologen und Pathologen besser zu vernetzen. „Wir müssen zu einem Dialog auf Augenhöhe kommen“, schlug sie vor. In diesem Zusammenhang sei ein Projekt der AIO geplant, in dem gemeinsam mit dem Bund der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO) Patienten molekulare Tumorboards angeboten werden sollen. Präzise Informationen für Patienten auch im Hinblick auf die molekulare Diagnostik bietet die Website www.testedeinentumor.de, die von Bayer Vital unterstützt wird.
Sabrina Kempe