Für viele Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) besteht erstmals die Aussicht, mit einer chemotherapiefreien und zeitlich begrenzten Behandlung langfristig krankheitsfrei zu bleiben. In der Phase-III-Studie MURANO führte die kombinierte Gabe des BCL-2-
Inhibitors Venetoclax und des Anti-CD20-Antikörpers Rituximab bei einem hohen Anteil an vorbehandelten Patienten zu einem Verschwinden der minimalen Resterkrankung. Auf Basis dieser Daten ist die Kombination seit Kurzem in der Europäischen Union zugelassen. Studienergebnisse und Bedeutung der minimalen Resterkrankung (MRD) für solche modernen Therapiekonzepte waren Gegenstand eines Satellitensymposiums bei der DGHO-Jahrestagung.
Bislang waren chemotherapiefreie Optionen bei der CLL nur als Dauertherapien verfügbar, und zwar, wie PD Dr. Barbara Eichhorst, Köln, erläuterte, vor allem als Monotherapie. In der Phase-III-Studie MURANO wurde die Kombination aus Venetoclax und Rituximab (VenR) bei Patienten mit rezidivierter/refraktärer (r/r) CLL randomisiert mit der Standard-Chemoimmuntherapie aus Bendamustin und Rituximab (BR) verglichen [1]. Dabei konnte die VenR-Kombination gegenüber BR das Risiko für Progression oder Tod um 83% senken (Hazard Ratio 0,17; p < 0,001), während die Ansprechrate von 67,7% auf 93,3% erhöht und die Rate an kompletten Remissionen mehr als verdreifacht wurde (von 8,2% auf 26,8%, p < 0,0001; p-Wert nur deskriptiv). Die Evaluierung durch unabhängige Experten ergab eine Komplettremissionsrate von 8,2% versus 3,6% (p = 0,0814). Die häufigste Nebenwirkung unter VenR war eine Neutropenie (57,7% vs. 38,8% im Kontrollarm), die gut durch Wachstumsfaktoren behandelbar ist.
Besonders interessant, so Eichhorst, sind die Daten [2] zur minimalen Resterkrankung (MRD), die bei der CLL mithilfe von Mehrfarben-Durchflusszytometrie mit einer Empfindlichkeit von 10-4 ermittelt wird. „In diesen Messungen war im VenR-Arm der Studie nach 18 Monaten bei rund 60% der Patienten keine MRD mehr nachweisbar, im BR-Arm hingegen lediglich bei 5%“, so Eichhorst.
Chemotherapiefreie, zeitlich begrenzte Therapien „in Sichtweite“
Auch Prof. Stephan Stilgenbauer, Homburg/Saar, unterstrich die Bedeutung der MRD, die sich in den letzten Jahren als wichtiger Parameter des Therapieerfolgs bei der CLL herauskristallisiert habe: Sie war zuerst in der CLL8-Studie, mit der die Chemoimmuntherapie der CLL eingeführt worden war, und danach in einer Vielzahl weiterer klinischer CLL-Studien mit besserem progressionsfreiem und Gesamtüberleben assoziiert [3]. Vor allem bei Krankheiten mit einem langsamen, indolenten Verlauf wie der CLL, sei ein solcher Parameter von großer Bedeutung, weil sich damit die Wirksamkeit neuer Therapien in klinischen Studien sehr viel früher abschätzen lasse, als wenn man die Überlebensdaten abwarten müsse.
Anhand von Daten der noch laufenden einarmigen Phase-II-Studie M13-982 [4] demonstrierte Stilgenbauer [5-7] das: 158 vorbehandelte CLL-Patienten mit 17p‐Deletion, also eine schwer behandelbare Patientengruppe, erzielten hier mit einer Venetoclax-Monotherapie eine Gesamtansprechrate von fast 80%, mit kompletten Remissionen in 18% der Fälle. Bei etwa jedem dritten Patienten war keine MRD mehr nachweisbar, so Stilgenbauer, und bei der Mehrzahl der Patienten hatten sich die Lymphozytenzahlen nach kurzer Zeit normalisiert.
„Venetoclax zeichnet sich also dadurch aus, dass es ein besonders tiefes Ansprechen mit hohen Raten an MRD-Negativität bewirkt“, so Stilgenbauer. Unter einer Venetoclax-Kombinationstherapie ließen sich diese Raten so steigern, dass ein Absetzen der Medikation möglich wird: „Damit sind bei der CLL chemotherapiefreie Therapiestrategien mit endlicher Therapiedauer in Sichtweite, weil wir davon ausgehen, dass die Remissionen bei einem erheblichen Teil der Patienten, bei denen eine MRD-Negativität erreicht wird, auch nach Absetzen der Behandlung anhalten.“ In einer ganzen Reihe weiterer klinischer Studien, teilweise durchgeführt von der Deutschen CLL-Studiengruppe, werden chemotherapiefreie Kombinationen auch in der Erstlinientherapie erprobt.
Mit der Zulassung der VenR-Kombination haben Patienten mit rezidivierter/refraktärer CLL nun unabhängig von der Zytogenetik die Möglichkeit einer chemotherapiefreien und zeitlich begrenzten Behandlung von zwei Jahren.
Josef Gulden