„Wir reden über eine Situation, über die wir vor 15 oder 20 Jahren niemals gesprochen hätten“, so PD Dr. Nikolaj Frost, Berlin. Denn in der Vergangenheit wurden zahlreiche NSCLC-Treibermutationen wie EGFR, ALK oder ROS identifiziert, die inzwischen wirksam therapiert werden können. Die Immuntherapie spiele inzwischen in den Stadien IB–IV eine Rolle.
„Die wichtigste Frage im Stadium IV lautet zunächst: Gibt es eine behandelbare Treibermutation?“, erklärte Frost. Sei das durch die NGS(New Generation Sequencing)-Paneltestung ausgeschlossen, müsse die nächste wichtige Frage beantwortet werden: Wie hoch ist die PD-L1-Expression? „Überexpresser, definiert als Patient:innen mit einer PD-L1-Expression von mindestens 50 % auf den Tumorzellen, können hocheffektiv mit einer Immunmonotherapie therapiert werden“, sagte Frost. Die sei beispielsweise mit Cemiplimab (Libtayo®) oder – wie die Patient:innen mit geringerer PD-L1-Expression – mit einer kombinierten Immunchemotherapie möglich.
Die Erfahrung habe gezeigt, dass der Cut-off von 50 % nicht statisch zu betrachten sei. Vielmehr sei die Immuntherapie umso effektiver, je stärker die PD-L1-Expression sei, so Frost. „Man kann sich das gut vorstellen: Es ist ein kontinuierliches Spektrum ausgehend von PD-L1-Negativität“ und gehe weiter bis zu einer vollständigen Expression. Das lasse sich an den Response-Kurven der Phase-III-Studie EMPOWER-Lung-1 nachvollziehen [1], in der Patient:innen mit einem NSCLC, das mindestens 50 % PD-L1-Expression zeigte, mit Chemotherapie oder mit Cemiplimab therapiert wurden. Nur bei den mit Cemiplimab behandelten Erkrankten sei das Ansprechen abhängig von der PD-L1-Expression gewesen. „Je mehr PD-L1, desto effektiver die Therapie“, führte Frost aus.
In vielen klinischen Studien und Metaanalysen wurde der Effekt der Kombinationstherapie aus Chemo- und Immuntherapie bei PD-L1-Expression von mindestens 50 % untersucht. „Addieren Sie eine Chemotherapie zu einer Immuntherapie bei Überexpressern, dann haben Sie eine bessere Response und auch ein besseres PFS“, doch unterscheide sich das OS nicht relevant, erläuterte Frost. „Und das ist ja letztlich das, worauf es im Individualfall ankommt.“ Die US-Zulassungsbehörde FDA habe, so Frost, zur ASCO-Jahrestagung 2022 alle eingereichten Phase-III-Studien zu dieser Frage ausgewertet. Sie habe zwar einen Trend zu einem längeren PFS feststellen können, „aber auch hier wieder, selbst in prospektiv gesammelten Phase-III-Daten, kein überzeugendes Benefit durch die Hinzunahme der Chemotherapie beim OS“. Der Preis für das etwas verlängerte PFS und die bessere Response sei deutlich mehr Toxizität, ergänzte Frost.
Roland Müller-Waldeck