Die Expert:innen der aktuellen Onkopedia-Leitlinie zu VTE bei Tumorpatienten sehen NOAK als gleichwertige Option zu NMH für die Antikoagulation bei onkologischen Patient:innen [1]. „Das gilt sowohl für die initiale Antikoagulation als auch für die Erhaltungstherapie für drei bis sechs Monate und für die verlängerte Erhaltungstherapie“, erklärte Prof. Birgit Linnemann, Regensburg. Darüber hinaus wird laut Linnemann in der CHEST-Guideline empfohlen, zur Therapie der akuten VTE auch bei Vorliegen einer Tumorerkrankung einen oralen Faktor-Xa-Inhibitor (Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban) nach Möglichkeiten einem NMH vorzuziehen [2]. „Das ist eine starke Empfehlung, auch wenn die Evidenz dafür nur eine mittlere Sicherheit bietet“, sagte Linnemann.
Fakt ist, dass Faktor-Xa-Inhibitoren im Vergleich zu NMH das VTE-Rezidivrisiko bei Tumorpatient:innen um 38 % reduzieren (relatives Risiko [RR] 0,62), wie es sich in einer Metaanalyse gezeigt hat [3]. „Erkaufen müssen wir uns das mit einem etwas erhöhten Risiko für schwere Blutungskomplikationen“, mahnte Linnemann. Die Mehrzahl der schweren Blutungen sei aber nicht akut lebensgefährdend oder tödlich und trete vor allem bei gastrointestinalen Tumoren auf.
Apixaban: Kein erhöhtes Blutungsrisiko
Hingegen zeigte sich in der Studie CARAVAGGIO [4] für den oralen Faktor-Xa-Inhibitor Apixaban (Eliquis®) im Vergleich zu NMH kein Hinweis für ein erhöhtes Blutungsrisiko, auch nicht für gastrointestinale Blutungen. Deshalb wird auch in der CHEST-Guideline angemerkt, dass Apixaban oder NMH bei Erkrankten mit luminalen gastrointestinalen Tumoren eine präferierte Option sein könnte [2]. „Die Hälfte der schweren Blutungen bei Tumorpatient:innen stammt aus dem Gastrointestinaltrakt und ist vorzugsweise bei den Erkrankten aufgetreten, bei denen der Tumor noch in situ vorhanden war. Das ist eine ganz wichtige Information, wenn wir uns im Einzelfall fragen, ob ein/e Patient:in bei einer akuten Thrombose einen Faktor-Xa-Inhibitor erhalten darf“, mahnte Linnemann. Insgesamt scheine aber die Fallsterblichkeitsrate bei einem VTE-Rezidiv höher zu sein als bei einer schweren Blutung, wie es sich in einer Metaanalyse ergeben hat [5]. „Deswegen sollten wir unseren Fokus auf die Verhinderung von VTE-Rezidiven legen, wobei wir die Therapie idealerweise so gestalten, dass das Risiko für schwere Blutungskomplikationen für die Betroffenen möglichst minimal ausfällt“, erklärte Linnemann.
NMH weiterhin relevant
Trotz aller Vorteile der NOAK – allen voran die orale Applikation – werde es aber weiterhin Situationen geben, die es sinnvoll erscheinen lassen, die NMH den NOAK vorzuziehen, meinte Linnemann. Dies könnte der Fall sein bei Übelkeit oder Mukositis, wenn der Magen-Darm-Trakt umgangen werden muss und deshalb eine parenterale Form der Antikoagulation gewählt werden sollte. Auch bei Erkrankten, die ausgeprägte Thrombozytopenien aufgrund von Krebstherapien erleiden, hätte man es leichter, die Dosierung mit NMH anzupassen.
Interaktionen beachten
Zudem wird die Anwendung von Apixaban nicht empfohlen für Betroffene, die gleichzeitig eine systemische Behandlung mit starken Inhibitoren von sowohl CYP3A als auch P-Glykoprotein erhalten, wie etwa Azol-Antimykotika und HIV-Protease-Inhibitoren. Basierend auf einer Subanalyse der CARAVAGGIO-Studie hätten sich aber bislang keine relevanten Interaktionen zwischen Apixaban und Antitumortherapeutika ergeben [6].
Ungeklärt sei bisher u. a., wie lange Tumorpatient:innen antikoaguliert werden müssen und welche Dosis für eine verlängerte Sekundärprävention nötig ist. Bis es mehr Studiendaten zur Klärung offener Fragen gibt, bleibt die Auswahl des Antikoagulans laut Linnemann eine Nutzen-Risiko-Abwägung im Einzelfall.
Sabrina Kempe