SARS-CoV-2: Eine Nachlese

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.04.06

Im Mai 2023 hat die Weltgesundheitsorganisation den COVID-19-Gesundheitsnotstand offiziell für beendet erklärt. In dieser Nachlese wird erörtert, welche Konsequenzen in der Bevölkerung und in der Politik während und aus der Epidemie gezogen worden sind und was in Zukunft verbessert werden kann. Denn: Die nächste Epidemie kommt bestimmt. Die Frage ist nur, wann und welcher Infektionserreger es diesmal sein wird.

Schlüsselwörter: Epidemiologie, Pathogenese, Impfung, Diagnostik, Therapie

Reservoir und Epidemiologie

Die SARS-CoV-2-Infektion wurde Ende 2019 in Wuhan, China, sichtbar ausgelöst durch ein neues Beta-Coronavirus. Auch wenn ihr Ursprung nicht völlig geklärt ist, ist eine zoonotische Übertragung letztendlich von Fledermäusen der Region höchstwahrscheinlich [1]. Die ausgelöste Krankheit wurde COVID-19 genannt. Eine genetische Manipulation des SARS-CoV-2 in Wuhan ist häufig diskutiert worden, fundierte Hinweise dafür aber fehlen: Bei den retrospektiven Untersuchungen konnte das Virus zwar über Elektronen­mikro­skopie und PCR in Resten im Huanan-Seafood-Market in Wuhan nachgewiesen werden, doch kann nicht bestimmt werden, von wem es ausgeschieden oder auf wen es übertragen wurde [2]. Mehrere dem SARS-CoV-2 verwandte Viren wurden in Schuppentieren in Malaysia 2020 nachgewiesen [3], was als Hinweis für eine weite Verbreitung von Beta-Coronaviren in der Tierwelt Asiens gewertet wird [1]. SARS-CoV-2 breitete sich schnell aus – wie bei respiratorischen Viren bekannt – und ab Frühjahr 2020 war das Virus weltweit verbreitet.

Virus, Virusvarianten und Impfstoffe

Die Isolierung des Virus sowie seine Charakterisierung über Molekularbio­logie und Whole Genome Sequencing erfolgten zügig, ebenso die Publikation der gesamten Sequenz mit zwei Konsequenzen: 1. Es konnten die im Menschen entstehenden Varianten schnell und weltweit nachgewiesen werden – ein Prozess, der bis heute bei den Omikron-Varianten nicht abgeschlossen ist. 2. In Analogie zu den bekannten Beta-Coronaviren konnte die ACE(Acetylcholinesterase)-Rezeptor-Bindungsstelle auf dem S-Protein charakterisiert werden – und eine sehr schnelle Impfstoffentwicklung über die moderne mRNA-Verpackung in Liposomen initiiert werden [4]. Die Adaptation an die zirkulierenden Virusvarianten erfolgt kontinuierlich und ist ebenfalls bis heute nicht abgeschlossen. Die Impfstoffe haben eine ca. 80%ige Effektivität, und die Dauer der induzierten Immunität ist nicht permanent; derzeit sind in Deutschland fünf, in Europa etwa zehn Impfstoffe zugelassen.

Pathogenese

Da das ACE-Molekül auf vielen menschlichen Körperzellen vorhanden ist, werden viele humane Zellen vom Virus infiziert. Abhängig von der Immunreaktion verläuft die Infektion entweder ohne viele Symptome oder mit allgemeinen Krankheitserscheinungen bis hin zu ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome) – teils mit tödlichem Ausgang, mit schwerer Pneumonie über Plasmakoagulation in den Lungen-Acini und Enzephalitis, die nach Überwinden der Blut-Liquor-Schranke ebenfalls tödlich verlaufen kann; dies aber ist derzeit wegen der Populationsimmunität (Impfung und Genesung) in der Bevölkerung sehr selten (≤ 0,5 %).

Nach überstandener Infektion wie auch nach erfolgter Impfung ist eine Reinfektion mit der gleichen oder einer weiteren Variante möglich. Wie bei anderen Infektionen auch, ist die schnell erfolgende Immunantwort für den Verlauf der Infektion entscheidend. Ein chronischer Krankheitsverlauf wird bei etwa 10 % der SARS-CoV-2-Infizierten gefunden, auch abhängig von den bekannten Risikofaktoren wie Immunschwäche oder immunsuppressive Therapie und konsumierende Grunderkrankungen.

Als Post-COVID-Syndrom bezeichnet man eine mangelnde Rekons­titution nach Infektion mit allgemeinen Symptomen wie Abgeschlagenheit und Muskelschwäche. Ein ähnliches Krankheitsbild wurde schon früher bei anderen Infektionskrankheiten beschrieben, die länger als drei Monate dauern – beim Long-Covid-Syndrom sind es mehr als sechs Monate, mit dem längs­ten berichteten Zeitraum von über drei Jahren. Eine eindeutige Unterscheidung oder Definition von Post-Covid und Long-Covid fehlt bis heute. Ein chronisch konsumtiver Verlauf ist bei vielen Infektionen bekannt. Beispiele sind Hepatitis B und Hepatitis C, Influenza, RSV im Kindesalter und Pertussis – während die Tuberkulose durch die Unfähigkeit der Immunzellen, die Mykobakterien abzu­töten, eine andere Pathogenese hat.

Anfang Oktober 2024 wurden dem RKI 146.108 Fälle von SARS-CoV-2-Infektion in diesem Jahr gemeldet, gegenüber 1.101.952 Fällen im Jahr 2023, da Krankheit und Virusnachweis nach § 7 Abs. 1 Nr. 44a IfSG bei einer akuten Infektion weiterhin meldepflichtig sind [5]. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer relativ hoch ist, beispielswiese da nicht alle zu Hause positiv getesteten Fälle gemeldet werden, bei Weitem nicht mehr alle Erkrankten einen Test durchführen und viele Infizierte keine Symptome haben. Auffällig auch bei SARS-CoV-2 ist die Pathogenitätsminderung innerhalb von vier Jahren. Die Pathogenese von SARS-CoV-2 hat sich mit den Stämmen der Omikron-Varianten innerhalb von vier Jahren zu einer selten tödlich verlaufenden Krankheit entwickelt. Die Pathogenitätsminderung im Menschen scheint eine typische Eigenschaft von Coronaviren zu sein – trotzdem verbleiben sie in der menschlichen Population zumindest für über 50 Jahre.

Während die anfängliche Mortalität bei SARS-CoV-1 bei 9,5 % lag – bei MERS-CoV bei 34 % –, lag sie bei der SARS-CoV-2 Beta-Variante bei 2,3 % [6]. Die Epidemie im Menschen von SARS-CoV-1 begann 2002 in China und war 2005 beendet; in Wildtieren blieb das Virus verbreitet. Die MERS-CoV-Epidemie begann 2012 in Arabien als Dromedarkrankheit und ist seit 2022 so gering, dass keine Fallzahlen mehr berichtet werden.

Tab. 1: Positive Aspekte beim Umgang mit der SARS-CoV-2-Epidemie.

Viruscharakterisierung

Innerhalb von drei Wochen in Wuhan; Sequenz wurde sofort publiziert

Variantenidentifizierung

Laufend mit internationalen Registern; wird bis heute fortgeführt

Weltweit offene Publikationen zu COVID-19

Open Access; seit Beginn auch in sehr ausgewählten Zeitschriften; seit 2024 wird es eingeschränkt

Virusnachweis über PCR

Offen etabliert mit Freigabe von Primern und Sonden

Virusnachweis über LAF

In der Allgemeinbevölkerung durchgeführt, abgelesen und etabliert

Impfstoff mit

mRNA-Liposomen

Die bisher am schnellsten hergestellten und wirksamen Vakzine; variantenadaptiert

Hygienebewusstsein

Abstand halten ohne Murren im öffentlichen Bereich

Maskenakzeptanz

Seit 2020 sind Masken salonfähig

Politische Maßnahmen

Kritik in der Aufarbeitung bietet Verbesserungen an

Prävention

Was bei und nach den vielen Grippewellen (Influenza-Epidemien) nicht erreicht werden konnte, ist mit SARS-CoV-2 letztlich gelungen – das Bewusstsein zu etablieren, dass mit einfachen Hygienemaßnahmen das Individuum und seine Umgebung vor dem respiratorisch übertragbaren Virus geschützt werden kann. In Asien sind seit mehr als 100 Jahren Atemschutzmasken in Gebrauch. Seit 2020 werden sie auch in Europa und Nordamerika generell akzeptiert, ohne an ein gesellschaftliches Tabu zu stoßen – ein Erfolg für den hygienischen Umgang, der durch das Benutzen von Desinfektionsmitteln und das rational geordnete Hände­waschen erhöht wird.

Diagnostik mit Schnelltests zum Virusnachweis

Schnelltests wurden von Laien früher nur als Hämagglutinationstest für den Nachweis von hCG (humanes Chorion­gonadotropin) bei möglicher Schwangerschaft eingesetzt, um die Privatsphäre einer Frau zu schützen. Mit zunehmender Liberalisierung wurden sogenannte Home- oder Selbsttests entwickelt, die über Partikelagglutination und ähnliche Verfahren Antigen und/oder Antikörper nachweisen konnten [7].

Ab Frühjahr 2020 wurden LAF (Lateral Flow Test) auch außerhalb von Laboren, Arztpraxen oder Gesundheitszentren zum Nachweis einer COVID-19-Infek­tion breitgefächert eingesetzt. Das Prinzip des LAF: Auf einer chromatographisch aktiven Membran reagieren – wie beim ELISA – Antigen (AG) und Antikörper (AK) miteinander nach einer Volumenzugabe von wenigen Tropfen Flüssigkeit. Mit Kontroll-AG bzw. -AK ist dieser Test zum einfachen und sicheren Nachweis von SARS-CoV-2 in Rachen- oder Nasensekret geworden – durchführbar auch von wenig geschulten Personen. Zudem hat dies Arztbesuche entbehrlich gemacht und das Einhalten der individuellen Schutzmaßnahmen erleichtert. Positiv zu werten ist auch, welch hoher Anteil der Bevölkerung zur Testung bereit war.

Therapie der SARS-CoV-2-Infektion

Ab Frühjahr 2022 stand erst eingeschränkt, dann ab Frühjahr 2024 – wie andere Antiviralia rezeptpflichtig – ein Kombinationspräparat mit Nirmatrelvir plus Ritonavir zur Therapie zur Verfügung. Die Wirksamkeit auch dieser Kombination ist eingeschränkt, sofern nicht sofort beim Einsetzen der Symptomatik therapiert wird. Wenn die Virusmenge im Nasensekret etwa 104/ml beträgt und über das Medikament auf 102/ml gesenkt wird, ist die immunologische Reaktion zur Virus­elimination effektiv möglich; wenn aber bei einer Menge von 1010/ml durch die Wirkstoffkombination auf 107 oder 108/ml gesenkt wird, ist das für die pathogenetische Schädigung von Zellen und Organen ohne Wirkung. Als weitere Therapiemöglichkeit wurde die Gabe monoklonaler AK getestet, die aber durch die schnelle Entstehung der Varianten erfolglos war. Rekonvaleszentenserum kam mit wechselndem Erfolg zum Einsatz.

Fazit

Die Maßnahmen zur Bekämpfung der SARS-CoV-2-Pandemie wie die strikte Quarantäne mit Ausgehverbot, Schulschließungen und die eingeschränkte Erlaubnis für Fahrten zur Arbeit haben einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursacht und zudem zu einer starken psychischen Belastung in der Bevölkerung geführt. Auf diesem Feld besteht Raum für Verbesserungen bei der nächsten Epidemie.

Jede Infektionskrankheit braucht eine adäquate Hygiene, um die Verbreitung des Erregers zu begrenzen. Bei respiratorisch übertragbaren Erregern sind dies wie bereits erwähnt: Abstandhalten, Mundschutz, Händedesinfektion sowie körperliche Gesundheit. Eine politische Einschränkung, wie am Anfang der COVID-Epidemie angeordnet, wird es mit Sicherheit nicht mehr geben.