Enterovirus und weitere durch engen Kontakt übertragbare Viren post SARS-CoV-2: Rückkehr der Virusinfektionen

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.03.04

Durch die Schutzmaßnahmen während der Coronavirus-Pandemie wurde nicht nur die Übertragung von Sars-CoV-2, sondern auch die Übertragung vieler weiterer leicht übertragbarer Erreger unterbunden. Dies führte insbesondere bei Kindern zu einer mangelnden Immunität gegen verschiedene Viren. Inzwischen haben die Infektionszahlen das Vor-Pandemie-Niveau wieder erreicht.

Schlüsselwörter: Adenovirus, Infuenzavirus, RSV, Echovirus

Um die Übertragung von SARS-CoV-2 einzuschränken, wurden hygienische Maßnahmen wie die Einschränkung von Kontakten in Schulen, Universitäten, Res­taurants und bei kulturellen Veranstaltungen, das Tragen von Masken, Abstandhalten usw. eingeleitet, die aus heutiger Sicht wirksam [1], aber überzogen waren. Unter diesen Einschränkungen wurde auch die Verbreitung von zwischenmenschlich leicht übertragbaren Erregern wie Adenovirus (AdV), Enterovirus, Influenzavirus, Respiratorisches Synzytialvirus (RSV), Streptokokken der Gruppe B und anderen reduziert, sodass während der COVID-19-Pandemie von Frühjahr 2020 bis etwa Mitte 2022 diese Erreger nicht mehr oder nur in geringem Ausmaß übertragen wurden. Dadurch blieb eine Immunisierung der suszeptiblen, meist kindlichen Population aus bzw. wurde durch mangelnde Stimulierung eine bereits vorhandene Immunität geringer.

 

Übertragung und Infektionsdauer von respiratorischen Viren

Der übliche Weg der Übertragung erfolgt durch engen Kontakt, Tröpfchen- und Schmierinfektion sowie über kontaminierte Gegenstände (beispielsweise Kinderspielzeug), wie sie besonders bei den sogennanten Kinderkrankheiten stattfindet. Für die Übertragung von Viren reichen meist 100 bis 500 Partikel aus. Eine schützende Immunität kann erst nach mehreren Infektionen erreicht werden. Alle Viren haben eine ausreichende Dauer von Infektiosität, um außerhalb des Körpers infektionsfähig zu bleiben. Entero­viren bleiben einige Monate außerhalb des Körpers infektionsfähig, Adenoviren und Paramyxoviren mehrere Wochen – abhängig von Milieu, Temperatur und UV-Strahlung.

 

Enterovirus-Spezies

Enteroviren (EV) beginnen ihre Vermehrung auf der Schleimhaut von Respirations- und Gastrointestinaltrakt. Abhängig von der Immunitätslage können EV über haematogene Aussaat im ganzen Körper verbreitet werden und Komplikationen wie Meningitis, Encephalitis, Myocarditis, Hepatitis, Herpangina und weitere Symptome verursachen

EV lassen sich in zwölf Genera einteilen: A mit mehr als 25 Spezies, B mit mehr als 52 Spezies, C mit mehr als 22 Spezies, darunter auch die drei Polio­viren, und D mit mehr als vier Spezies. Zusätzlich gehören zu den EV die Rhinoviren mit den Genera A mit über 61 Spezies, B mit mehr als 30 Spezies und C mit mehr als 57 Spezies. Eine Kreuz­immunität zwischen den einzelnen Viren besteht nur partiell. In Deutschland besteht für EV keine Meldepflicht; folglich sind keine genaueren post-pandemischen Daten verfügbar. Aus diesem Grund sind in dieser Zusammenfassung die Zahlen des Verlaufs des Adenovirus D, das Konjunktivitis auslöst, und des Influenzavirus nach den Angaben im Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch-Instituts (RKI) verwendet worden (Abb. 1 a und b).

Bei den dem RKI gemeldeten Fällen von Adenovirus-Konjunktivitiden ist einfach zu erkennen, welchen Effekt der Lockdown auf die allgemeine und die nosokomiale Verbreitung hatte und wie ab 2022 die Fallzahlen wieder auf das Prä-Covid-Niveau anstiegen.

Die dem RKI gemeldeten Fälle von Influenza-Infektionen sinken erst mit dem Jahr 2021 auf 846 Infektionen ab und steigen anschließend wieder an. Für 2024 wurden bis Anfang April 195.231 Fälle registriert – eine Zahl, die für eine Influenza-Epidemie nicht ungewöhnlich ist und die epidemiologisch gesehen für das Jahr 2024 inkomplett ist. Im Gegensatz zu den okulären Adenovirus-Übertragungen ist die Schwankung der Fallzahlen beim Influenzavirus abhängig vom Virusstamm, der betroffenen Population und ihrem Alter wesentlich größer.

 

Respiratorische Infektionen in verschiedenen Ländern

Echovirus-11-Infektionen in europäi­schen Ländern: Das Echovirus 11 (E11) löst bei Neugeborenen eine Hepatitis aus und wurde nach WHO-Angaben [2] ab 2022 wieder in einigen europäischen Ländern übertragen: ein Kind in Kroa­tien, sieben Kinder in Italien, zwei in Spanien, vier in Schweden und zwei in Großbritannien. In einer Studie von hospitalisierten Kindern in München wurde 2022 eine vierfach höhere Zahl von respiratorischen Infektionen gegenüber 2021 gefunden [3]. In Köln hatten während der fünf epidemischen SARS-CoV-2-Wellen etwa 40 % der Kinder respiratorische Infektionen [4].

In den Niederlanden zirkulierten nach dem Lockdown fünf Enteroviren: D68, E11, Coxsackievirus (CV) A6, CV B5 und CV A2. Nach der RNA-Sequenz waren die Viren untereinander homologer als vor dem Lockdown und die betroffenen Kinder älter [5].

Auf Sizilien wurde post-pandemisch ein etwa doppelt so hoher Anstieg von RSV und Rhinovirus-Infektionen analysiert, begleitet von Influenza-, Metapneumo- und Adenovirus [6].

In Texas wurde nach dem Lockdown ein „kräftiger“ (ca. 20-facher) Anstieg der respiratorisch übertragbaren Infektionen durch das saisonale Coronavirus, Para­influenzavirus 1 bis 4 und RSV beobachtet [7]. Bei pädiatrischen Patient:innen in einem Krankenhaus in Riad, Saudi-Arabien, stieg der Anteil von Entero- und Rhinoviren bei allen positiven Nachweisen von 29 % prä-COVID auf 49 % post-COVID [8]. In China sank in einem Hospital in Hangzhou die Prävalenz von Hand-Fuß-Mund-Krankheit (HFMD; ausgelöst durch im Wesentlichen CV A16 und EV 71) von etwa 700 auf 50 Fälle in 2019 und stieg danach 2022 wieder von 100 auf etwa 700 erkrankte Kinder [9].

 

Konsequenz

Der behördliche Umgang mit dem neuen SARS-CoV-2 Anfang 2020 begründete sich auf die wenigen Erfahrungen aus Wuhan in China, die einen schweren klinischen Verlauf mit hoher Todes­rate und eine dem Masernvirus ähnliche schnelle und effiziente Übertragbarkeit erkennen ließen – ähnlich der Pathogenität von dem nach Südkorea eingeschleppten MERS-Coronavirus. Wirksame antivirale Medikamente zur Reduktion der Virusvermehrung waren 2020 nicht vorhanden. Unvorhergesehen waren der schnelle Erfolg bei der Herstellung der zwei bis vier wirksamen Impfstoffe – auch wenn sie nicht nebenwirkungsfrei waren – und die dadurch bedingte Erzeugung einer partiellen Immunität in der Bevölkerung. Diese schränkte die Verbreitung von SARS-CoV-2 ein und begrenzte die Zahl der Toten, abhängig von Land, Alter, Hygiene und Impfverhalten und der schnell etablierten Diagnostik.

Es ist sicher, dass die nächste Pandemie kommen wird. Unsicher ist, wann das sein wird und welcher Erreger sie auslösen wird. Insofern ist es notwendig, aus dem Umgang mit dem SARS-CoV-2 Konsequenzen zu ziehen sowie Überreaktionen wie extreme und langdauernde Isolation der gesamten Bevölkerung und panischen Aktivismus bei einigen Behörden zu vermeiden.   

Autor
Prof. Dr. Lutz G. Gürtler
Max von Pettenkofer-Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie
Ludwig-Maximilians-Universität München
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