Lipoprotein(a): Ein „übersehener“ Risikofaktor

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.04.03

In den vergangenen Jahrzehnten hat die klinische Forschung gezeigt, dass Lipoprotein(a) ein bedeutender Risikofaktor für die Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen wie der koronaren Herzkrankheit und von Atherosklerose ist. Während der Zusammenhang von erhöhten Low-Density-Lipoprotein-Spiegeln mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen allgemein anerkannt ist, rückt Lipoprotein(a) zunehmend in den Fokus der medizinischen Betrachtung. In diesem Zusammenhang wurden die genetischen und metabolischen Eigenschaften von Lipoprotein(a) sowie sein Einfluss auf klinische Parameter intensiv untersucht. Der vorliegende Text befasst sich mit den zentralen Aspekten von Lipoprotein(a), seiner Bedeutung in der Epidemiologie, der Genetik und dem Lipoproteinstoffwechsel sowie seinem Einfluss auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Schlüsselwörter: Lp(a), Lipoprotein(a), KHK, LDL, Therapie

Lipoprotein(a) [Lp(a)] ist eine lipoproteinhaltige Substanz, die im Blut vorkommt und strukturell dem Low-Density-Lipoprotein (LDL) ähnelt. Die Hauptkomponenten von Lp(a) sind das LDL-Partikel, das aus Cholesterin, Phospholipiden und Apolipoprotein B-100 (ApoB-100) besteht, sowie das additive, spezifische Glykoprotein Apolipo­protein(a) [Apo(a)]. Lp(a) wird in der Leber synthetisiert, wobei seine Konzentration im Blut vorwiegend genetisch determiniert ist. Aufgrund seiner einzigartigen Struktur und seiner biochemischen Eigenschaften unterscheidet sich Lp(a) von anderen Lipoproteinen und spielt eine eigenständige Rolle im Lipidstoffwechsel sowie im Risikoprofil für verschiedene Krankheiten, insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

 

Epidemiologie

Die Prävalenz erhöhter Lp(a)-Spiegel variiert weltweit, auch innerhalb Europas. Die Lp(a)-Konzentration ist in der Bevölkerung nicht normal verteilt, sondern stark links verschoben. Das heißt, es gibt viele Personen mit sehr niedrigen Lp(a)-Spiegeln und einige wenige mit exzessiv hohen Werten. 80 % der Menschen in der europäischen Bevölkerung weisen einen Serum-Lp(a)-Wert von unter 50 mg/dl auf. Es gibt deutliche ethnische Unterschiede der Lp(a)-Werte in der Weltbevölkerung: Afroamerikaner haben im Mittel höhere Werte (Median 39 mg/dl) als Personen mit weißer Hautfarbe (Kaukasier) (Median 12 mg/dl) oder Chinesen (Median 11 mg/dl). Frauen haben im Schnitt 5 bis 10 % höhere Lp(a)-Werte als Männer. Weiterhin können auch eine Nierenfunktionsstörung, Diabetes mellitus oder eine Hypothyreose Lp(a)-Werte erhöhen und eine gestörte Leberfunktion Lp(a)-Werte erniedrigen. Gleichermaßen sollte eine intra­individuelle Variabilität berücksichtigt werden. Durch Wiederholungsmessungen des Lp(a) kann so die Einschätzung des kardiovaskulären Risikos präzisiert werden [1]. Äußere Einflüsse wie Alter, Ernährung oder körperliche Aktivität beeinflussen die Lp(a)-Werte praktisch nicht.

In Deutschland wird geschätzt, dass etwa 10 bis 20 % der Bevölkerung Lp(a)-Konzentrationen von über 30 mg/dl aufweisen, was als Risikogrenze für eine erhöhte Prädisposition für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt. Bei diesen Personen steigt das relative Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse um das Zwei- bis Vierfache im Vergleich zu einer Population mit niedrigeren Lp(a)-Konzentratio­nen. Interessanterweise ist Lp(a) relativ unabhängig von diätetischen oder Umweltfaktoren, was seine genetische Determinierung unterstreicht. Besonders in der kardiologischen Vorsorge und bei Risikopatient:innen wird daher die Bestimmung des Lp(a)-Spiegels zunehmend als relevant angesehen [2].

 

Genetik

Lp(a)-Spiegel sind, wie oben erwähnt, in hohem Maße genetisch determiniert. Der Hauptfaktor, der die Höhe der Lp(a)-Konzentration bestimmt, ist das Gen, das für das Apo(a) kodiert, welches sich auf dem Chromosom 6 befindet. Polymorphismen im LPA-Gen, insbesondere die Anzahl von Kringle-IV-Repeats, spielen eine entscheidende Rolle für den Lp(a)-Spiegel: Je weniger Kringle-IV-Repeats vorhanden sind, desto höher ist in der Regel die Lp(a)-Konzentration im Plasma. Diese Variabilität ist nicht nur zwischen Individuen, sondern auch zwischen ethnischen Gruppen signifikant. In Europa ist ein kürzeres Apolipoprotein(a) mit höheren Lp(a)-Spiegeln assoziiert, was das Risiko für koronare Herzerkrankungen (KHK) steigern kann [3].

 

Bedeutung im Lipoproteinstoffwechsel

Im Lipoproteinstoffwechsel fungiert Lp(a) als Variante des LDL, unterscheidet sich jedoch durch die Präsenz von Apo(a) (Abb. 1).

Lp(a) interagiert mit verschiedenen Mechanismen des Lipidtransports und des Atherogeneseprozesses. Durch seine Ähnlichkeit mit Plasminogen, einem Vorläufer des fibrinolytisch wirksamen Enzyms Plasmin, kann Lp(a) in die Regulation der Fibrinolyse eingreifen und die Auflösung von Blutgerinnseln behindern. Es ist somit ein potenziell prothrombotisches Molekül. Zudem hat Lp(a) proatherogene Eigenschaften, da es sich an Arterienwänden ablagern und Entzündungsprozesse fördern kann. Zusammen mit oxidierten Phospholipiden trägt dies zur Bildung von atherosklerotischen Plaques bei [4]. Diese Doppelrolle mit einem atherogenen und prothrombogenen Effekt ist vermutlich der Hauptmechanismus, durch den Lp(a) zur Entwicklung von kardiovaskulären Ereignissen beiträgt.

 

Klinische Bedeutung

Erhöhte Lp(a)-Spiegel sind mit einem erhöhten Risiko für verschiedene kardio­vaskuläre Erkrankungen assoziiert, darunter die koronare Herzkrankheit, der Schlaganfall und die periphere arterielle Verschlusskrankheit. In der klinischen Praxis hat sich die Messung von Lp(a) als wichtiger Marker zur Identifizierung von Hochrisikopatient:innen etabliert, insbesondere bei Personen, deren LDL-Werte normal sind, die aber dennoch kardiovaskuläre Ereignisse erleiden. Dies macht Lp(a) zu einem bedeutenden unabhängigen Risikofaktor, der ergänzend zu klassischen Risikomarkern betrachtet werden muss [5].

 

Bedeutung des Lp(a) für Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Der Zusammenhang zwischen Lp(a) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wurde mittlerweile in zahlreichen epidemiologischen Studien belegt. Hohe Lp(a)-Spiegel fördern die Atherogenese durch die Einlagerung in die Arterienwand, die Förderung von Entzündungen und die Interaktion mit oxidierten Lipiden. Besonders kritisch ist die Rolle des Lp(a) bei Personen mit einer familiären Hypercholesterinämie, bei denen das Risiko für schwere kardio­vaskuläre Ereignisse signifikant erhöht ist. Studien zeigen, dass ein Lp(a)-Spiegel über 50 mg/dl das Risiko für eine KHK um bis zu 60 % erhöhen kann [6]. Lp(a) fördert darüber hinaus die Bildung von Plaques, die instabil werden können und letztlich zu Myokardinfarkten oder einem Apoplex führen können.

 

Aktuelle medizinische Guidelines

In den vergangenen Jahren haben sich die medizinischen Leitlinien bezüglich Lp(a) verändert. Während früher Lp(a) in der Risikobewertung für kardiovaskuläre Erkrankungen wenig berücksich­tigt wurde, empfehlen aktuelle Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) und der American Heart Association (AHA) die Bestimmung des Lp(a) bei Menschen mit einer familiären Belastung mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder bei Hochrisikopatient:innen. Es wird empfohlen, Lp(a) mindestens einmal im Leben zu bestimmen, insbesondere dann, wenn Risikofaktoren wie Hyper­cholesterinämie oder eine frühzeitige KHK in der Familie vorliegen [7]. Die AHA hat dabei Lp(a) als wichtigen Risiko­faktor aufgenommen.

Venöse Thrombosen und Aborte

Die Erhöhung des Lp(a) geht mit einem reduzierten Fibrinolysepotenzial einher und wird als Risikofaktor für arterielle, aber auch venöse Gefäßkomplikationen beschrieben. Die prothrombotische Wirkung wird insbesondere aufgrund der Homologie des Apo(a) mit Plasminogen diskutiert. Ein erhöhter Spiegel von Lp(a) wird daher mit venösen Thrombosen und einem erhöhten Abort­risiko in Zusammenhang gebracht. Die Prävalenz der Lp(a)-Erhöhung ist mit circa 18 % in einem Risikokollektiv mit Abortanamnese mehr als doppelt so hoch wie in der Normalbevölkerung (7 %). Eine Lp(a)-Erhöhung scheint insbesondere auch bei Spätaborten eine Rolle zu spielen (Prävalenz ca. 22 %). Genetische Daten zeigen jedoch die Assoziation von Thrombosen mit Lp(a) nicht eindeutig und sind daher Gegenstand aktueller Forschung.

 

Labordiagnostik

Die Bestimmung von Lp(a) erfolgt meist mittels Immunoassay-Verfahren, die auf spezifische Strukturen des Apo(a) zielen. Es ist dabei zu beachten, dass die Lp(a)-Konzentration in verschiedenen Einheiten gemessen werden kann – entweder in mg/dl oder in nmol/l. Lipoprotein(a)-Werte werden häufig – insbesondere in Publikationen – in mg/dl angegeben, sodass diese Einheit in diesem Artikel verwendet wird. Sie sollen, wenn möglich, in nmol/l umgerechnet werden (IFCC-Empfehlung), was eine präzisere Bewertung der Konzentration ermöglicht. Für die Umrechnung von mg/dl in nmol/l benötigt man einen Umrechnungsfaktor, da mg/dl das Gewicht pro Volumen und nmol/l die Anzahl der Moleküle pro Volumen angibt. Der genaue Umrechnungsfaktor hängt von der molekularen Masse von Lipoprotein(a) ab, die im Durchschnitt etwa 2.5 kDa beträgt, kann aber je nach individuellem Molekül leicht variieren. Unter der Annahme dieses Durchschnittswerts ergibt sich für die Umrechnung 1 mg/dl ≈ 23 nmol/l. Somit entsprechen 50 mg/dl ungefähr 1.150 nmol/l [8].

Da Lp(a) genetisch stark variiert, ist die Interpretation der Messwerte nicht immer einfach. Die WHO hat internatio­nale Referenzstandards für Lp(a)-Tests festgelegt, um die Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Labormethoden zu gewährleisten [9].

 

Therapie

Im Gegensatz zu anderen Lipiden wie LDL-Cholesterin oder Triglyceriden werden die Lp(a)-Spiegel weitgehend durch genetische Faktoren bestimmt und nur minimal durch die Ernährung oder die Umwelt. Derzeit gibt es noch keine frei erhältlichen spezifischen Medikamente, die ausschließlich den Lp(a)-Spiegel senken. Omega-3-Fettsäuren (Fischöle) können die Spiegel von Lp(a), Triglyceriden, Cholesterin und LDL senken sowie die Konzentration von HDL im Serum steigern. Insgesamt sind die Effekte jedoch gering. Eine therapeutische Wirkung kommt zudem erst nach längerer Einnahme zur Geltung. Auch Vitamin-E-Gaben können in einigen Fällen zu einer Senkung des Lp(a) führen. Insgesamt sind die Effekte jedoch auch hier nur niedrig.

Innovative Ansätze wie Antisense-basierte Therapien, die gezielt das LPA-Gen anvisieren, befinden sich derzeit in klinischer Entwicklung und könnten eine vielversprechende Therapieoption darstellen [10]. Sie hemmen gezielt die Apo(a)-Produktion und können somit die Lp(a)-Konzentration signifikant senken. Große Hoffnungen ruhen daher auf den nukleinsäurebasierten Therapien. Neben dem Wirkprinzip der siRNA, das zum Beispiel bei der Behandlung mit Inclisiran zur Reduktion von LDL-Cholesterin genutzt wird, sind Antisense-Oligonukleotide [ASO; Pelacarsen; Synonyme: IONIS-APO(a)-LRx, AKCEA-APO(a)-LRx, TQJ230] in der Therapie erhöhter Lp(a)-Werte besonders vielversprechend.

Wirkstoffe wie Inclisiran, die über eine Hemmung der PCSK9-Synthese mittels small interfering RNA (siRNA) zu einer lang­anhaltenden LDL-Cholesterin-Senkung führen, senken das Lp(a) (ORION-I-Studie mit zweifacher Gabe von Inclisiran zeigte eine nicht signifikante Reduktion des Lp(a) um 15 bis 26 %).

PCSK9-Inhibitoren wie Evolocumab und Alirocumab haben in klinischen Studien nicht nur die LDL-Choles­terin-Spiegel signifikant gesenkt, sondern auch eine moderate Reduktion der Lp(a)-Konzentration bewirkt – was wiederum zu einer Senkung des kardio­vaskulären Risikos beiträgt.

ASO sind einzelsträngige Moleküle, die durch ihren zur mRNA komplementären Aufbau diese binden und ihren Abbau durch RNAsen einleiten. Die Einschleusung der ASO in die Leberzellen erfolgt über eine Bindung an N-Acetylgalactosamin (GalNAc). Hier konnten spezifische, dosisabhängige Reduktionen der Lp(a)-Werte von bis zu 80 % nachgewiesen werden.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt verbleibt als Therapieoption für erhöhte Lp(a)-Werte die – wenngleich auch teure – extrakorporale Lipoproteinapherese. Hierdurch können akut Lp(a)-Spiegel-Senkungen von bis zu 75 % bewirkt werden; allerdings beträgt die mittlere Lp(a)-Senkung bei einer wöchentlichen Apherese wegen des raschen Anstiegs der Lp(a)-Werte nach einer einzelnen Behandlung im Mittel nur 30 bis 35 %. Bedingungen für eine Lipid­apherese sind gemäß des GBA Lp(a)-Werte von über 60 mg/dl, der Nachweis der Progredienz einer arteriellen Gefäßerkrankung durch den klinischen Verlauf und die Bildgebung sowie ein LDL-Cholesterin, das im Normbereich liegt. In Deutschland entscheiden Apherese-Kommissionen auf Antrag, ob bei einer/einem Erkrankten die Indikation zur Lipoproteinapherese besteht.

 

Fazit

Lp(a) stellt einen wichtigen, genetisch bedingten Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen dar, der über die klassischen Lipidparameter hinausgeht. Lp(a) fördert durch drei pathophysiologische Mechanismen das Auftreten kardiovaskulärer Erkrankungen, durch eine proatherogene Wirkung (durch die ähnliche Struktur zu LDL [ApoB-Anteil] hat Lp(a) den proatherogenen Charakter des LDL), durch eine prothrombotische Wirkung (durch eine Homologie zu Plasminogen) und durch eine proinflammatorische Wirkung. Lp(a) ist das Lipoprotein mit dem höchsten Anteil an oxidierten Phospholipiden (Induktion inflammatorischer Kaskaden, Freisetzung von Zytokinen u. a.). Da erhöhte Lp(a)-Spiegel mit einem signifikant höheren Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse verbunden sind, ist die frühzeitige Diagnostik und Risiko­stratifizierung entscheidend. Die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze zur gezielten Senkung von Lp(a) bietet vielversprechende Perspektiven, um das kardiovaskuläre Risiko bei Betroffenen zu reduzieren.