Methoden der modernen Atemluft-Analyse: Atem – mehr als nur Luftholen

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.02.05

Flüchtige organische Verbindungen im Atem lassen Rückschlüsse auf Erkrankungen zu. Goldstandard in der Diagnostik ist die mit Massenspektrometrie gekoppelte Gaschromatographie. Spezielle massenspektrometrische Verfahren erlauben eine Analyse in Echtzeit.

Schlüsselwörter: VOCs, GC-MS, PTR-TOF-MS, SESI-MS, SICRIT, IMS

Die Erforschung der menschlichen und mitunter sogar tierischen Atemluft ist ein verhältnismäßig junges Forschungsgebiet, das in den Bereichen der medizinischen Diagnostik und Krankheitsüberwachung auf großes Interesse stößt [1]. Dies liegt insbesondere an der nicht-invasiven Natur des Verfahrens, der nahezu unbegrenzten Probenmenge – nämlich dem Atem – und dem Potenzial zur schnellen Diagnose beim Patienten; idealerweise online an dessen Bett. Beispiele für erfolgreiche Pilotstudien sind die frühzeitige Erkennung bakterieller Infektionen [2] oder die Leberfunktionstestung [3]. Durch die aktuellen Studien zum schnellen Nachweis für COVID-19 wurde die Methodik weltweit bekannt [4]. Alle Projekte haben gemeinsam, dass man direkt aus der ausgeatmeten Luft Aufschluss über den Gesundheitszustand des Patienten erhält.

VOCs als Marker für Erkrankungen

Unser Atem ist Träger von Informationen in Form von flüchtigen organischen Verbindungen, den sogenannten VOCs. Diese entstehen durch metabolitische Prozesse im Körper und können vom Blut durch einen passiven Transport durch die alveolare Membran der Lunge in die ausgeatmete Luft gelangen (Abb. 1).

Diese endogenen Spurengase sind daher direkt mit physiologischen und patho­physiologischen Prozessen im Organismus verbunden. Sie lassen so im besten Fall einen Rückschluss auf eine beginnende oder bestehende Erkrankung zu.
Eine Herausforderung stellt dabei die Variabilität der Matrixzusammensetzung dar – bedingt durch die Ernährung, Medikation, oder persönlichen Lebensgewohnheiten. Die mitunter in nur geringen Konzentrationen vorhandenen Stoffe müssen mit geeigneten analytischen Verfahren sowohl sensitiv als auch selektiv nachgewiesen werden. In dem nachfolgenden Artikel sollen daher einige der hierfür eingesetzten Analyseprinzipien vorgestellt und deren Funktionsweisen erläutert werden.

GC-MS

Ein in analytischen Laboren etabliertes Standardverfahren zum Nachweis von VOCs ist die Gaschromatographie gekoppelt mit der Massenspektrometrie (GC-MS) [5]. Dieses erlaubt die chromatographische Trennung der VOCs und den anschließenden Nachweis der Substanzen entsprechend eines spezifischen Masse-zu-Ladungsverhältnisses (m/z) der gebildeten Ionen. Die Identifikation erfolgt mithilfe von Datenbanken der Fragmentionenspektren oder durch die Messung von Referenzsubstanzen. Die Atemluftprobe wird dazu in dafür geeignete Probenahmebeutel oder mithilfe von Adsorbermaterialien gesammelt und anschließend analysiert. Nachteilig sind die durch die Trennung der Substanzen bedingten langen Analyse­zeiten gepaart mit einer Probenahme, die den größten Einfluss auf den analytischen Fehler nimmt [6]. Gerade die nicht standardisierte Probenahme ist hierbei immer wieder Ursache für Diskussionen und ein Grund dafür, dass die Atemgasanalyse von VOCs nach wie vor kein etabliertes Verfahren im klinischen Alltag darstellt [7].

Massen­spektrometrie in Echtzeit

Um diese Beschränkungen zu überwinden, gibt es zunehmende Bestrebungen, Verfahren einzusetzen, die eine Analytik in Echtzeit erlauben. Hierfür geeignet sind das Protonentransferreaktions-Time-of-Flight-Massenspektrometer (PTR-TOF-MS), die Sekundäre Elektrospray-Massenspektrometrie (SESI-MS) und die Soft-Ionization-by-Chemical-Reaction-in-Transfer-Massenspektrometrie (SICRIT). Die Techniken unterscheiden sich im Ionisationsmechanismus und den Massenanalysatoren, die üblicherweise in Kombination mit den jeweiligen Ionenquellen verwendet werden.
Bei der PTR-TOF-MS werden die Moleküle mittels Protonenübertragung von Hydronium-Ionen (H3O+) bei einem Druck von ca. 2,6 mbar ionisiert, wenn die Protonenaffinität der Analyten ausreichend groß ist, wie bei polaren Analyten der Fall ist [8]. Dieses sanfte, chemische Ionisationsverfahren bietet den Vorteil, dass nur sehr wenig Fragmentionen gebildet werden. Dadurch erhöht sich die Sensitivität für die verbleibende geringere Ionenzahl und das erhaltene Spektrum ist weniger komplex. Daher kann man auf eine vorherige, zeitintensive chromatographische Trennung verzichten. Der Nachweis der Ionen erfolgt dann in einem TOF-MS, das eine hohe Massengenauigkeit erlaubt und dadurch die Identifikation der gebildeten Ionen anhand ihrer spezifischen Masse innerhalb von Sekunden ermöglicht. Die hohe Stabilität der gebildeten Ionenspezies ermöglicht ebenfalls eine Quantifizierung.
Auch die SESI-MS ermöglicht die hochsensitive Detektion von flüchtigen organischen Verbindungen [9]. Die Ionisation der Analyten erfolgt hier durch eine Protonen-Transfer-Reaktion zwischen der Elektrospray-Lösung und den flüchtigen Analyten. SESI ist daher für die Analyse von heteroorganischen Molekülen geeignet, ebenso wie die traditionelle Elektrospray-Ionisation (ESI). Doch im Gegensatz zur Standard-ESI erfolgt der Proton-Transfer-Prozess von SESI in der Gasphase statt in Lösung. SESI ist deshalb zur Detektion der VOCs in der Atemluft geeignet, auch weil die geladenen Ionen aus den Nanotröpfchen stammen und an keinem Punkt des Ionisierungsprozesses hochenergetische Ionen beteiligt sind. Dadurch ist die Fragmentierung bei der SESI wie auch beim PTR-MS gering. Dies ermöglicht ebenfalls einen sehr hohen dynamischen Bereich, in dem Peaks mit niedriger Intensität nicht durch häufigere Spezies beeinträchtigt werden. Mittels SESI-MS ist zusätzlich die Detektion von Biomolekülen mit einem großen m/z-Bereich möglich.
Die SICRIT-MS beruht wie SESI-MS auf einer Atmosphärendruck-Ionisation. Hierbei wird in der Verlängerung des Einlasses des Massenspektrometers ein kaltes Plasma erzeugt [10]. Gasförmige Proben werden eingesaugt und direkt im Durchfluss ionisiert. Ein Merkmal der Technik ist der breite Polaritätsbereich an Analyten (unpolare bis polar), der sich ebenfalls fragmentarm ionisieren lässt und eine Identifizierung auf Basis der Molekülmasse erlaubt. Dies ist besonders vorteilhaft, wenn die Ionenquelle mit hochauflösender Massenspektrometrie wie einer Orbitrap-MS gekoppelt wird, da hier die exakte Masse genau bestimmt und VOCs analog zur PTR oder SESI im Atemgas identifiziert werden können.
Vorteile der Techniken zur Echtzeitanalytik sind, dass die Probenahme aktiv, wie beim Probanden in Abb. 2 gezeigt, über einen geheizten Schlauch zur direkten Einleitung in das Analysesystem erfolgen.

Zudem können auch passiv gesammelte Proben, z. B. aus geeigneten Gasbeuteln oder auf Adsorptionsröhrchen aufkonzentrierte Proben, die anschließend thermodesorbiert werden, vermessen werden.

Ionenmobilitätsspektrometrie

Die hier vorgestellten, auf der Massenspektrometrie basierenden Prinzipien haben gemein, dass es sich um eher komplexe Techniken handelt, die zumeist einen erheblichen apparativen Aufwand erfordern. Die Ionenmobilitätsspektrometrie (IMS) in Kombination mit einer isotherm beheizbaren Kapillarsäule dagegen bietet bei hoher Sensitivität das Potenzial, Messungen vor Ort, direkt am Patientenbett vorzunehmen [11]. IMS, ursprünglich im Sicherheitsbereich eingesetzt, benötigen im Gegensatz zur Massenspektrometrie kein Vakuum und sind daher auch mobil einsetzbar. Die im Ionisierungsraum des Detektors erzeugten Ionen wandern entlang eines elektrischen Feldes bei Umgebungsdruck entgegen der Strömungsrichtung eines Gases und erzeugen ein Driftzeit-abhängiges Signal, das zur Identifikation der zu detektierenden Analyten genutzt werden kann. Die Empfindlichkeit ist, abhängig von den betrachteten Analyten, in der gleichen Größenordnung wie bei den beschriebenen Techniken. Neben der Studie zu COVID-19 [4] gab es zahlreiche Pilotprojekte wie Asthma und Mukoviszidose bei Kindern [12].

Fazit

Als Goldstandard in der Atemgas­analyse kann das GC-MS mit geeigneten Probenahmestrategien betrachtet werden. Um jedoch flüchtige Atemgasmarker ohne aufwendige Probenvorbereitungsschritte genau und reproduzierbar in Echtzeit nachweisen zu können, sollten Ionisationstechniken gewählt werden, die bei der nachfolgenden massenspektrometrischen Analyse zu fragmentarmen Spektren führen. Apparativ und in der Handhabung einfacher sind Systeme auf Basis der Ionenmobilitätsspektrometrie, die das Potenzial zur Vor-Ort-Messung direkt am Patientenbett haben.
Ob die Atemgasanalytik zukünftig einen Platz in der klinischen Diagnostik erobert, wird jedoch von den durchgeführten klinischen Studien, beteiligten Herstellerfirmen und der Akzeptanz in der Medizin, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft abhängen.