Das diagnostisch-prognostische Highlight beim ASH 2021 im Bereich der MDS war die Vorstellung des neuen Klassifikations- und Prognose-Scores IPSS-M (Molecular International Prognosis Scoring System), der erstmals neben klinischen und zytogenetischen auch objektivierbare molekulare Veränderungen in die Prognoseabschätzung einbezieht [1]. Bisherige Scores – als Goldstandard gilt derzeit der Score IPSS-R – berücksichtigen keine molekulargenetischen Daten für die Risikostratifizierung und Therapieentscheidung, obwohl das Verständnis der bei MDS oft mutierten Gene und ihrer klinischen Bedeutung in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat.
Wie Elisa Bernard, New York, NY, USA, berichtete, wurde an 3.657 repräsentativen MDS-Patient:innen der IPSS-M entwickelt, der zusätzlich zu Faktoren wie Hb-Wert, Thrombozytenzahl, Knochenmarksblasten und zytogenetischen Kategorien entsprechend der bisherigen IPSS-R-Klassifikation nun auch Mutationen von 21 prognostisch-prädiktiven Genen und in 17 zusätzlichen Genen berücksichtigt [1]. Das neue Scoring-System, das kontinuierlich, reproduzierbar und personalisiert ist, erlaubt eine gute Aussage über den Verlauf der Erkrankung. Laut Bernard führte die Einbeziehung der 38 Genmutationen gegenüber dem IPSS-R-Score zu einer besseren Klassifikation und Risikoabschätzung. Nahezu die Hälfte der MDS-Patient:innen mussten auf Basis des neuen Scores umklassifiziert werden. Zudem soll noch im Laufe des Jahres 2022 eine App zur Kalkulation des IPSS-M zur Verfügung stehen.
Aktuelle Ansätze bei IDH-mutiertem MDS
Vielsprechende Daten wurden für die Subgruppe von Patient:innen mit IDH1- oder IDH2-mutiertem MDS präsentiert, ergänzend zu den ebenfalls vorgestellten Daten bei der akuten myeloischen Leukämie (AML). Marie Sebert, Paris, Frankreich, stellte Zwischendaten der Phase-II-Studie IDIOME vor, in der der orale, niedermolekulare IDH1-Inhibitor Ivosidenib (IVO) bei IDH1-mutiertem MDS evaluiert wurde, entweder als Monotherapie bei Betroffenen mit hohem Risiko nach Azacitidin-Versagen (Kohorte A; n = 29) oder Patient:innen mit niedrigerem Risiko nach EPO-Versagen (Kohorte C; n = 10) sowie bei unbehandelten Betroffenen mit höherem Risiko nach fehlendem Ansprechen ohne lebensbedrohliche Zytopenie, hier ergänzt durch drei Zyklen Azacitidin (Kohorte B, n = 29) [2]. Primärer Endpunkt war die hämatologische Gesamtansprechrate (ORR) nach drei und sechs Monaten. Insgesamt waren 32 Patient:innen mit einem medianen Alter von 76 Jahren auswertbar, davon 13 in Kohorte A, 11 in Kohorte B und 2 in Kohorte C. 19 Betroffene hatten einen sehr hohen oder hohen IPSS-R-Score. Laut Senert wurde eine ORR von 69 % erreicht. Besonders effektiv war IVO mit einer ORR von 91 % bei therapienaiven IDH1-mutierten MDS-Patient:innen mit höherem Risiko [2].
Ähnlich aufgebaut war die ebenfalls von der französischen Gruppe durchgeführte IDEAL-Studie mit dem selektiven oralen IDH2-Inhibitor Enasidenib (ENA) bei Patient:innen mit IDH2-mutiertem MDS. Auch hier wurde der Inhibitor als Monotherapie evaluiert, entweder bei Patient:innen mit höherem Risiko und HMA-Versagen (Kohorte A; n = 29), niedrigerem Risiko nach ESA-Versagen (Kohorte C; n = 10) oder bei unbehandelten Patient:innen mit höherem Risiko nach fehlendem Ansprechen ohne lebensbedrohliche Zytopenie, hier ergänzt durch drei Zyklen Azacitidin (Kohorte B, n = 29). Erste Studiendaten ergaben eine ORR von 42 % bei allen auswertbaren bzw. 56 % bei therapienaiven Betroffenen mit hohem oder niedrigem Risiko; es gab keine limitierende Toxizität [3].
Insgesamt sind die vorläufigen Daten der beiden Phase-II-Studien vielversprechend, da bei der Patient:innen-Subgruppe mit IDH-mutiertem MDS nicht nur ein gutes Ansprechen erreicht wurde, sondern die beiden oralen Inhibitoren IVO und ENA darüber hinaus eine gute Verträglichkeit zeigten.
Neue Studiendaten zum Hochrisiko-MDS
Die liposomal verkapselte Galenik von Cytarabin und Daunorubicin (CPX-351) hat sich bereits bei der AML als effektiver als das intensive 7+3-Chemotherapie-Schema erwiesen. Nun wurde CPX-351 in einer französischen Studie auch als Erstlinientherapie bei Patient:innen mit Hochrisiko-MDS evaluiert, von denen die meisten für eine allogene Stammzelltransplantation (allo-HSCT) vorgesehen waren. Bisher wurden 31 Betroffene mit einem medianen Alter von 62 Jahren eingeschlossen – die meisten mit normalem Karyotyp. In diesem Kollektiv war die Toxizität vergleichsweise gering. Die ORR betrug 87 %; 29 Patient:innen konnten inzwischen transplantiert werden [4]. Die Myelosuppression unter CPX-351 war in etwa vergleichbar mit dem 7+3-Schema, doch war die Schleimhauttoxizität geringer.
Ein ähnliches Design zeigte eine US-amerikanische Studie, in der 20 ausgewählte, transplantationsgeeignete MDS-Patient:innen mit CPX-351 behandelt wurden. Hier wurde eine ORR von 80 % erreicht, bei akzeptabler Toxizität [5]. Auch hier konnte inzwischen der Großteil der Patient:innen transplantiert werden. Auf Basis der bisherigen Daten scheint CPX-351 als Therapieoption bei MDS besonders erfolgver-sprechend zu sein, wenn es um das Erreichen einer Blasten-Clearance und/oder das Bridging bis zur allo-HSCT geht.
Bei Hochrisiko-MDS zeigt auch die Kombination aus dem Bcl2-Inhibitor Venetoclax und Azacitidin eine hohe Wirksamkeit. In einer Phase-Ib-Studie hatten mehr als zwei Drittel der behandlungsnaiven MDS-Patient:innen mit hohem Risiko auf die Kombinationsbehandlung angesprochen [6].
Beim ASH 2021 wurde Venetoclax in Kombination mit einer Fixkombination aus der hypomethylierenden Substanz (HMA) Decibatin und dem Cytidin-Deaminase-Inhibitor Cedazuridin (ASTX727) als Erstlinientherapie beim Hochrisiko-MDS in einer Phase-I/II-Studie geprüft. Ziel der Studie war es, eine komplett orale Therapie zu entwickeln, die nicht nur das Outcome der Patient:innen, sondern auch deren Lebensqualität verbessert. Bislang wurden sieben Betroffene im medianen Alter von 72 Jahren in die einarmige Studie eingeschlossen, fünf mit Hochrisiko-MDS und zwei mit chronischer myelomonozytärer Leukämie (CMML). Die Kombination aus Venetoclax und ASTX727 erwies sich als sicher anwendbar und zeigte Wirksamkeit. Die ORR betrug 100 % mit 43 % kompletten Remissionen (CR) [7]. Die komplett orale Therapie scheint diesen frühen Daten zufolge bei Betroffenen mit Hochrisiko-MDS oder CMML, die meist eine Langzeittherapie benötigen, vielver-sprechend zu sein. Der Phase-II-Teil der Studie läuft derzeit.
Aktuelle Ergebnisse zum Niedrigrisiko-MDS
Für transfusionsabhängige Patient:innen mit Niedrigrisiko-MDS und Ringsideroblasten steht seit Juni 2020 der Trans-forming-Growth-Factor-β(TGF-β)-Liganden-Hemmer Luspatercept als effektive Zweitlinientherapie nach EPO-Vorbehandlung zur Verfügung, der zu einer signifikanten Reduktion der Transfusionslast führt. In der Phase-III-Zulassungsstudie MEDALIST wurde der primäre Endpunkt Transfusionsfreiheit ≥ 8 Wochen unter einer Behandlung mit Luspatercept bei 38 % versus 13 % der Patient:innen unter Placebo erreicht (p < 0,0001) [8]. Ein MEDALIST-Update, das Uwe Platzbecker, Dresden, beim ASH 2021 präsentierte, analysierte den Therapieerfolg in Abhängigkeit vom Ausmaß der Transfusionsbedürftigkeit. Dabei zeigte sich, dass die kumulative Dauer der ≥ 8-wöchigen transfusionsfreien Intervalle bis Woche 24 unter Luspatercept deutlich länger war als unter Placebo (30,2 vs. 13,6 Wochen). Zudem wurde eine verminderte Progressionsrate zur AML mit einer Verdoppelung der Zeit bis zur leukämischen Transformation gegenüber Placebo beobachtet (61,7 vs. 32,7 Monate) [9] – all dies ein weiterer Beleg für den klinischen Nutzen der Behandlung mit Luspatercept beim Niedrigrisiko-MDS.
Bei MDS-Patient:innen mit del5q können durch eine Behandlung mit Lenalidomid in fast 65 % der Fälle Krankheits-remission und Transfusionsunabhängigkeit induziert werden, bei Patient:innen ohne del5q scheint der Transfusionsbedarf bei immerhin einem Viertel der Betroffenen zu sinken. Die Anwendung der immunmodulatorischen Substanz wird allerdings dadurch beeinträchtigt, dass es häufig zu einer Thrombozytopenie mit Thrombozytenzahlen < 50 × 109/l kommt. In einer beim ASH 2021 vorgestellten Phase-II-Studie wurde evaluiert, ob die Kombination aus Lenalidomid mit dem Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten Eltrombopag, der die Thrombozytenzahl erhöht, bei MDS sinnvoll eingesetzt werden kann [10].
Es wurden 44 MDS-Patient:innen ab 18 Jahren mit symptomatischer Anämie und ohne vorherige Behandlung mit Lenalidomid oder Eltrombopag in die Studie aufgenommen, alle mit niedrigem (55 %) oder intermediärem Risiko. Die Patient:innen wurden gemäß der Thrombozytenzahl zu Studienbeginn behandelt: Arm A umfasste Patient:innen mit Thrombozytenzahlen ≥ 50 × 109/l, die täglich 10 mg Lenalidomid an den Tagen 1 bis 21 jedes 28-tägigen Behandlungszyklus erhielten. Fiel die Thrombozytenzahl unter 50 × 109/l, wurde Lenalidomid abgesetzt und Eltrombopag an den Tagen 1 bis 28 verabreicht, bis die Thrombozytenwerte zwei Wochen lang 50 × 109/l überschritten; danach erhielten die Patient:innen wieder Lenalidomid. Fiel die Thrombozytenzahl erneut unter 50 × 109/l, erhielten die Patient:innen Eltrombopag nach dem gleichen Schema zusammen mit Lenalidomid. In Arm B erhielten Betroffene mit Thrombozytenzahlen < 50 × 109/l an den Tagen 1 bis 28 Eltrombopag, bis die Thrombozytenzahlen ≥ 50 × 109/l erreichten, dann die gleiche Behandlung wie in Arm A.
Die Behandlung mit Eltrombopag/Lenalidomid zeigte eine gute Wirksamkeit mit einer ORR von 40,9 % in Arm A und 45 % in Arm B, einem anhaltenden Ansprechen und einem akzeptablen Sicherheitsprofil [10]. Die Kombination aus Lenalidomid und Eltrombopag scheint damit beim Niedrigrisiko-MDS mit symptomatischer Anämie sicher anwendbar und auch effektiv zu sein und wird nun weiter evaluiert.