Hodgkin-Lymphom
Neuer Standard für fortgeschrittene Hodgkin-Lymphom-Stadien
Das Hodgkin-Lymphom (HL) ist auch in fortgeschrittenen Fällen meist heilbar, allerdings um den Preis von teils lang anhaltenden Nebenwirkungen durch die sehr aggressiven Therapieregime. Prof. Peter Borchmann, Köln, stellte im Namen der Deutschen Hodgkin-Studiengruppe (GHSG) beim ASCO 2024 und EHA 2024 ein neues Protokoll vor, das nicht nur viel schonender als die herkömmlichen Therapien, sondern diesen auch noch überlegen ist [1, 2].
Die GHSG hatte mit ihrer HD9-Studie für Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung das hochwirksame, jedoch hochtoxische eskalierte BEACOPP-Protokoll (Bleomycin, Etoposid, Doxorubicin, Cyclophosphamid, Vincristin, Procarbazin, Prednison; eBEACOPP) etabliert [3]. Seit der HD18-Studie kann die Behandlung mithilfe einer Positronenemissionstomografie nach dem zweiten Zyklus (PET2) für einen Großteil der Patienten von acht auf vier Zyklen eBEACOPP verkürzt werden [4].
Mit der Phase-III-Studie HD21 wird nun ein neues BrECADD-Protokoll definiert, das neben Doxorubicin, Cyclophosphamid und Etoposid das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat (ADC) Brentuximab Vedotin (BV), Dacarbazin und für vier Tage Dexamethason enthält. Insgesamt 1.500 bis zu 60-jährige Patienten wurden in 233 Zentren in neun Ländern auf eBEACOPP oder BrECADD randomisiert, die bei einer negativen PET2/Computertomografie mit zwei, bei positiver PET2 mit vier weiteren Zyklen gegeben wurden. War die abschließende PET negativ, so wurden die Patienten weiter beobachtet; bei positiver PET folgte noch eine Strahlentherapie mit 30 Gy. Koprimäre Endpunkte waren eine bessere Verträglichkeit sowie eine Nichtunterlegenheit des neuen Regimes beim progressionsfreien Überleben (PFS). In der Intention-to-treat(ITT)-Analyse (n = 1.482) wurde das Studienziel in allen Aspekten mindestens erreicht oder gar übertroffen:
- Akute und schwere therapiebedingte Nebenwirkungen wurden durch BrECADD von 59 auf 42 % reduziert (relatives Risiko 0,72; p < 0,0001), auch in allen untersuchten Subgruppen. Verringert wurden auch der Bedarf an Erythrozyten- und Thrombozyten-Transfusionen sowie das Risiko für Neuropathien aller Schweregrade. Nahezu alle Toxizitäten waren im BrECADD-Arm nach einem Jahr vollständig reversibel, die Gonadenfunktion hatte sich nach vier Jahren fast in allen Fällen normalisiert.
- Die Nichtunterlegenheit von BrECADD beim PFS war bereits in der Interimsanalyse gefunden worden. In der finalen Auswertung nach 48 Monaten war das neue Protokoll nun sogar überlegen mit 4-Jahres-Raten von 94,3 versus 90,9 % (Hazard Ratio [HR] 0,66; p = 0,035). Beim Gesamtüberleben (OS) waren die Raten mit 98,6 versus 98,2 % praktisch identisch.
Im BrECADD-Arm reichten bei beinahe zwei Drittel der Patienten vier Zyklen aus; das Protokoll habe damit ein eindeutig günstiges Nutzen-Risiko-Profil, so Borchmann, und werde deshalb von der GHSG als neuer Standard für das fortgeschrittene HL empfohlen.
Neuer Biomarker für die Therapie des Hodgkin-Lymphoms?
Der positive prädiktive Wert der Interims-PET nach zwei Zyklen sei limitiert, so Wouter Plattel, Groningen, Niederlande, beim EHA 2024: Auch bei einer positiven PET2 gibt es immer noch viele Patienten, die eigentlich keine hochwirksame Therapie wie zum Beispiel eBEACOPP bräuchten. Das „Consortium on MRD in Hodgkin lymphoma“ untersuchte daher die Rolle eines tumorzellspezifischeren Biomarkers bei der Prädiktion des Therapieerfolgs [5]: Die Serumkonzentrationen des Proteins TARC („thymus and activation regulated chemokine“), auch CCL17 genannt, das vor allem Hodgkin-Reed-Sternberg-Zellen ausschütten, sind bei etwa 90 % der HL-Patienten vor Therapiebeginn erhöht.
Um eine prädiktive Rolle von TARC zu untersuchen, wurden in einer exploratorischen Analyse in Serumproben von 278 Teilnehmenden aus der HD16- (n = 76) und der HD18-Studie (n = 202) der GHSG die TARC-Konzentrationen vor Beginn der jeweiligen Therapie und nach dem zweiten Zyklus (TARC-2) bestimmt. Bei einem Cut-off-Wert von 1.000 pg/ml waren zu Beginn zwei Drittel der Patienten in der HD16- und 87 % in der HD18-Studie positiv; nach dem zweiten Zyklus waren es noch 4 beziehungsweise 15 %.
Bereits in einer univariaten Analyse war TARC beim PFS prognostisch relevant: In der HD16-Studie lag die 5-Jahres-PFS-Rate der TARC-negativen Patienten bei 85 %, die der TARC-positiven hingegen bei 0 %. In der HD18-Studie waren es 91,3 versus 84,4 %. Interessant wurde es vor allem, wenn PET2 und TARC nach zwei Therapiezyklen kombiniert wurden: Eine positive PET2 und ein negatives TARC-2 gingen mit einer 5-Jahres-PFS-Rate von 90,9 % einher, die mit der der PET2-negativen Patienten nahezu identisch war (89,1 %). Bei positiver PET2 und positivem TARC-2 betrug die 5-Jahres-PFS-Rate hingegen nur 61,4 %.
Immerhin rund drei von vier Patienten mit positiver PET2 könnte man demnach wegen negativen TARC-2-Titern eine intensivere Therapie ersparen, ohne ihre Prognose zu beeinträchtigen, folgerte Plattel.
DLBCL
Antikörper-Toxin-Konjugat beim stark vorbehandelten DLBCL …
Für Personen mit einem diffusen großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL), die zum Beispiel nicht für eine CAR-T-Zell-Therapie geeignet sind oder die nach dieser ein Rezidiv erleiden, wurde in der Phase-III-Studie ECHELON-3 eine neue Option getestet. Die Ergebnisse wurden beim ASCO 2024 vorgestellt [6]: Zusätzlich zur etablierten Kombination aus Lenalidomid und Rituximab (R2) erhielten 230 Patienten mit einem rezidivierten oder refraktären (r/r) DLBCL randomisiert Brentuximab Vedotin oder Placebo. Primärer Endpunkt sei das OS in der ITT-Population gewesen, so Jeong Kim, Suwon, Südkorea.
Die Patienten hatten im Median bereits drei Therapielinien erhalten, 29 % auch schon CAR-T-Zellen. Zwei Drittel exprimierten kein CD30, das von der Antikörperkomponente des ADC erkannt wird. Trotzdem war nach median 16,4 Monaten der Verumarm beim OS mit median 13,8 versus 8,5 Monaten signifikant überlegen (HR 0,629; p = 0,0085). Ähnliches galt beim PFS (median 4,2 vs. 2,6 Monate; HR 0,527; p < 0,0001), bei der Gesamtansprechrate (ORR; 64,3 vs. 41,5 %; p = 0,0006) und bei den Komplettremissionen (CR 40,2 vs. 18,6 %). Betroffene mit einer positiven CD30-Expression schnitten in allen Gruppen besser ab als solche ohne Expression, aber auch bei den CD30-negativen Lymphomen konnte Brentuximab Vedotin das Ansprechen gegenüber Placebo deutlich verbessern, insgesamt bei nur geringfügig häufigeren Nebenwirkungen vom Grad 3 oder höher.
Diese Triple-Kombination, sagte Kim, könne also eine therapeutische Lücke bei der Behandlung des r/r DLBCL schließen, insbesondere bei Patienten, die keine der neuesten Therapien wie CAR-T-Zellen oder bispezifische Antikörper erhalten können oder nach deren Erhalt wieder rezidivieren.
… und Pola-R-CHP plus bispezifischer Antikörper in der Erstlinie
Das ADC Polatuzumab Vedotin ist seit Kurzem zusätzlich zu einem reduzierten R-CHOP-Protokoll (Pola-R-CHP) zugelassen und verlängert zwar das PFS, nicht aber das OS. Neue Medikamente wie die bispezifischen CD3xCD20-Antikörper Epcoritamab und Glofitamab sind bislang als Monotherapie ab der Drittlinie zugelassen und haben auch in Kombination mit R-CHOP in der Erstlinie gute Resultate gezeigt. In der Phase-Ib/II-Studie EPCORE NHL-5, die David Lavie, Jerusalem, Israel, beim EHA 2024 vorstellte, wurde Epcoritamab daher in der Erstlinientherapie des DLBCL mit bis zu acht Zyklen zum Pola-R-CHP-Protokoll hinzugefügt [7].
Für die bislang 27 Teilnehmenden mit auswertbaren Ergebnissen liegt die Ansprechrate nach median 7,4 Monaten bei 100 % und die CR-Rate bei 89 %. Im Median erfolgte das Ansprechen binnen weniger als drei Monaten, und die mediane Dauer der aufgetretenen CR ist bisher noch nicht erreicht.
Bei akzeptabler Verträglichkeit, so Lavie, scheine diese Kombination den bisher gebräuchlichen Erstlinientherapieprotokollen R-CHOP und Pola-R-CHP überlegen zu sein.
Neue Optionen beim r/r follikulären Lymphom
Das follikuläre Lymphom (FL) ist bisher nicht heilbar: Mit jedem weiteren Rezidiv werden die bislang verfügbaren Therapien weniger wirksam. Bispezifische Antikörper, die das CD20-Antigen auf B-Lymphom-Zellen und das CD3-Antigen auf zytotoxischen T-Zellen erkennen, könnten hier weiterhelfen. Dies wurde beim EHA 2024 anhand der Resultate zweier Phase-II-Studien deutlich.
Bispezifischer CD20xCD3-Antikörper Odronextamab
In der ELM-2-Studie hatten 128 FL-Patienten mit im Median drei Vortherapien (maximal 13) und überwiegender Refraktärität gegenüber einem CD20-Antikörper den bispezifischen CD20xCD3-Antikörper Odronextamab erhalten – bis zur Progression. Laut Michał Taszner, Gdańsk, Polen, lag in der primären Analyse die ORR nach median 20 Monaten Nachbeobachtung bei 80,5 % mit einer CR von 73,4 % [8]. Im Median dauerten die Remissionen 22,6 und die CR sogar 25,1 Monate an. Es wurde ein medianes PFS von 20,7 Monaten (24-Monats-Rate 46,1 %) erzielt, wohingegen beim OS der Medianwert noch nicht erreicht war; der 2-Jahres-Wert betrug 70,1 %.
Die Toxizitäten waren im Allgemeinen gut handhabbar, mit einer einschleichenden Dosierung gab es nur einen Fall eines Zytokinfreisetzungssyndroms (CRS) vom Grad 3; fast alle CRS traten im ersten Zyklus auf und waren binnen zwei Tagen reversibel. Ein Patient hatte eine neurologische Nebenwirkung (ICANS) vom Grad 2.
3-Jahres-Daten zu Mosunetuzumab
Mosunetuzumab ist beim FL bereits ab der Drittlinie mit maximal acht Zyklen zugelassen. In der Phase-II-Zulassungsstudie für die Erstlinie waren 60 % CR aufgetreten, bei akzeptablem Sicherheitsprofil. Subgruppenanalysen nach mindestens drei Jahren stellte Dr. Sarit Assouline, Montreal, Kanada, beim EHA 2024 vor [9]. Patienten mit einem hohen Rezidivrisiko schnitten demnach vergleichbar genauso gut ab wie die Gesamtpopulation: War die Krankheit binnen 24 Monaten nach der Erstlinientherapie rezidiviert (POD24), kam es ebenfalls bei 60 % zu einer CR, bei den über 65-Jährigen in 67 % der Fälle und in 55 % der Fälle bei denen, die Mosunetuzumab in der vierten oder einer noch höheren Therapielinie erhalten hatten. Die Dauer dieser CR lag bei median mindestens 33 Monaten, beim PFS und der Zeit bis zur nächsten Therapie waren die Verhältnisse vergleichbar.
Die Sicherheit war ebenfalls für alle untersuchten Subgruppen akzeptabel – auch für die über 65-Jährigen, was die ambulante Gabe sinnvoll erscheinen lässt.
APL: ATRA/ATO auch bei Patienten mit hohem Risiko?
Die akute Promyelozytenleukämie (APL) ist als bislang einzige akute Leukämie in nahezu allen Fällen heilbar, bei niedrigem oder intermediärem Risiko sogar ohne Chemotherapie mit einer Kombination aus All-trans-Retinsäure (ATRA) und Arsentrioxid (ATO). Bei hohem Risiko ist der Standard bislang eine Kombination aus ATRA und Idarubicin (AIDA). Dieser wurde in der europäischen Phase-III-Studie APOLLO randomisiert gegen ATRA/ATO getestet, wie Uwe Platzbecker, Leipzig, in der Plenarsitzung des EHA 2024 berichtete [10].
Eine Hochrisiko-APL war Voraussetzung für den Einschluss in die Studie (mindestens 109 Leukozyten/l). Alle Patienten erhielten initial zwei Dosen Idarubicin zur Zytoreduktion und um schwere Blutungen zu vermeiden. Zur Induktion wurde im Verumarm täglich ATRA und ATO bis zum Erreichen einer CR gegeben und danach zusätzlich eine Konsolidierung mit ATRA/ATO. Im Kontrollarm bestand die Induktion aus dem AIDA-Protokoll, danach gab es eine konsolidierende Chemotherapie sowie eine Erhaltung. Primärer Endpunkt war das ereignisfreie Überleben (EFS) nach zwei Jahren.
Der geplante Einschluss von 280 Patienten wurde nicht erreicht, da während der COVID-19-Pandemie die Rekrutierung nur schleppend voranging und weil ATO nicht mehr verfügbar war.
Für den primären Endpunkt auswertbar waren 131 Patienten: Davon erzielten 93 % im ATRA/ATO-Arm und 91 % im AIDA-Arm eine CR (p = 0,65). Bei fünf frühen Todesfällen im ATRA/ATO- und sieben im Kontrollarm war die Ursache meist eine Hirnblutung. Nach median 31 Monaten erreichte der Unterschied beim primären Endpunkt, also dem EFS nach zwei Jahren, für die 120 Teilnehmenden mit auswertbaren Daten mit 88 % im ATRA/ATO- und 70 % im AIDA-Arm trotz der reduzierten Patientenzahlen statistische Signifikanz (p = 0,02). Die geschätzten 5-Jahres-Raten lagen bei 87 versus 55 % (p = 0,0034). Die 2-Jahres-OS-Werte unterschieden sich noch nicht (93 und 87 %; p = 0,33). Ein molekulares Rezidiv, das heißt das Wiederauftreten einer minimalen Resterkrankung (MRD), fand sich bislang bei einem Patienten im ATRA/ATO- gegenüber sieben im AIDA-Arm.
Die (nahezu) chemotherapiefreie Behandlung war ausgesprochen gut verträglich, und die Überlegenheit des ATRA/ATO-Protokolls sei damit trotz des Einschlusses von weniger als der Hälfte der vorgesehenen Patienten nachgewiesen, resümierte Platzbecker.
AML: Kombinationen mit Venetoclax wirksam
Die Prognose der akuten myeloischen Leukämie (AML) – mit Ausnahme der APL – ist nach wie vor sehr eingeschränkt, vor allem in R/R-Stadien. Für fitte Patienten ist der Standard der Erstlinientherapie in den meisten Fällen eine intensive Chemotherapie, nach Erreichen einer CR möglichst gefolgt von einer allogenen Stammzelltransplantation (alloSCT). Für nicht fitte Patienten ist der BCL2-Inhibitor Venetoclax in Kombination mit einer hypomethylierenden Substanz (HMA: Azacitidin oder Decitabin) zugelassen. Venetoclax wird derzeit vielfach als Basis für Kombinationen verwendet, für die noch größere Effektivität erwartet wird. Beim EHA 2024 ging es in einer ganzen Sitzung um diese Thematik.
Cytarabin/Mitoxantron plus Venetoclax
Fitte AML-Patienten erzielen im Rezidiv mit Salvage-Therapien auf der Basis von hochdosiertem Cytarabin CR-Raten von 44 bis 55 %. Die deutsche Study Alliance Leukemia (SAL) konnte in der Phase I ihrer RELAX-Studie eine Rate von 92 % für eine Kombination aus hochdosiertem Cytarabin und Mitoxantron (HAM) mit Venetoclax demonstrieren. In den kombinierten Resultaten aus den Phasen I und II, die Leo Ruhnke, Dresden, vorstellte [11], lag bei 51 Patienten mit auswertbaren Daten die CR-Rate bei insgesamt 75 %. 100 % waren es für Patienten mit günstiger Prognose nach den Kriterien des European Leukemia Network (ELN) aus dem Jahr 2022, 92 % für solche mit intermediärem und 57 % für diejenigen mit hohem ELN-Risiko.
30 Patienten mit einer CR unterzogen sich einer alloSCT. Nach median sieben Monaten war die mediane OS-Dauer noch nicht erreicht, die 12-Monats-Rate lag bei 63 %, so Ruhnke.