Zentrales Anliegen des nationalen Netzwerks für Genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM) sei es, personalisierte Lungenkrebstherapien in die Breite der Versorgung in Deutschland zu bringen und sie inhaltlich weiterzuentwickeln, erklärte Prof. Jürgen Wolf, Köln. Beim NSCLC hätten derzeit über 50 % der Erkrankten personalisierte Therapieoptionen. „In Deutschland wurde diese neue Art der Therapie sehr zurückhaltend aufgenommen“, berichtete Wolf. Dies, obwohl schon früh unterstützende Real-World-Daten generiert wurden, die den Benefit verdeutlichten. „Jeder vierte bis fünfte Patient wurde nicht auf die Biomarker für die etabliertesten Therapien wie EGFR-, ALK-, ROS1- und BRAF-Mutationen getestet“, kommentierte Wolf die im CRISP-Register 2015–2019 erfassten Raten an molekularen Testungen vor Beginn der Erstlinientherapie [1]. Auch heute noch sei die Testrate auf Mutationen, die in späteren Therapielinien zumindest im Rahmen von Studien behandelt werden könnten, verbesserungsbedürftig. Der mangelhafte Innovationstransfer hänge auch mit dem dezentralen deutschen Gesundheitssystem zusammen. Dieses erfordere eine neue Arbeitsteilung, bei der die molekulare Diagnostik, Therapieempfehlungen und -evaluationen sowie die Datensammlung in den spezialisierten Zentren wie auch die Therapiedurchführung bei den regionalen Partnern wohnortnah erfolgen.
NGS-Diagnostik bringt Überlebensvorteil
Diese Philosophie steht hinter dem nNGM mit seinen derzeit 28 NGM-Zentren sowie etwa 500 regionalen Partnern. Mit den meisten gesetzlichen Krankenkassen bestehen besondere Versorgungsverträge, sodass für über 90 % der gesetzlich Versicherten mit einem nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) die NGS-Diagnostik erstattet wird – nicht nur bei Erstdiagnose und im Rezidivfall, sondern seit Neuerem auch für Liquid Biopsies und in frühen Krankheitsstadien. „Dabei ist es egal, ob die Erkrankten stationär oder ambulant behandelt werden. Es gibt kein weiteres Land auf der Welt, in dem die gesetzlichen Krankenkassen so großzügig NGS-Diagnostik bezahlen wie in Deutschland“, betonte Wolf. Die erste externe Evaluation zeigte einen signifikanten Überlebensvorteil für die im Rahmen des nNGM behandelten NSCLC-Patienten [2]. Die Evaluation wurde beim DKK 2024 als eines der Best Abstracts ausgezeichnet [3].
Evidenzgenerierende genomische Medizin
Alle Zentren sind im nNGM gleichberechtigt vertreten, außerdem gibt es verschiedene themenbezogene Task Forces (TF). So erreichte die TF Molekulardiagnostik die Einführung einheitlicher, kontinuierlich aktualisierter NGS-Panels, SOPSs („standard operating procedures“) und Berichte. Aktuelle Projekte sind die Einführung der Transkriptomdiagnostik, der Multiplex-Immunhistochemie und der Liquid Biopsies zur Einschätzung des Metastasierungsrisikos. Vorhaben der TF Molekulares Tumorboard sind die MURIEL-Datenbank mit Therapieempfehlungen sowie daran angeschlossen die jährlich aktualisierte MuriPedia-Datenbank mit Informationen zu einzelnen Treibermutationen, zum Zulassungsstatus und zu klinischen Studien. Auch eine Validierungsplattform wurde aufgebaut, um seltene Mutationen unklarer Signifikanz präklinisch zu charakterisieren. Insgesamt wolle man sich wissenschaftlich noch weiterentwickeln, so Wolf. Beispielhaft nannte er den Einstieg in eine personalisierte Immuntherapie – untersucht werden soll hier unter anderem die Assoziation von Biomarkern im Tumor Microenvironment mit dem Ansprechen auf eine Immuntherapie. Das nNGM orientiere sich auch in Richtung der europäischen Datenharmonisierung und des European Health Data Space (EHDS).
Grenzen der molekularen Sequenztherapie
„Das Problem der sequenziellen, molekular geführten Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKIs) ist, dass die genomische Komplexität der Tumorerkrankung im Therapieverlauf zu- und die therapeutische Effizienz mit jeder Therapielinie abnimmt“, konstatierte Wolf. Drei Strategien könnten diesem derzeit unausweichlichen Verlauf entgegenwirken: Zum einen sei das eine „feiner granulierte“ Diagnostik, die die Wahl einer noch gezielteren Erstlinientherapie auch unter Zuhilfenahme von Künstlicher Intelligenz ermöglicht. Wolf: „Dies steht noch am Anfang, aber es laufen schon viele Projekte.“ Zweitens soll die Erstlinientherapie intensiviert werden. „Bei den EGFR-mutierten Tumoren haben wir schon Phase-III-Ergebnisse, die ein deutlich längeres Ansprechen zeigen, wenn man die Behandlung mit Chemotherapie kombiniert“, legte er dar. Drittens sollten nach TKI-Therapie resistente Tumorzellen durch ergänzende Therapiemaßnahmen eliminiert werden, zum Beispiel mit immuntherapeutischen Strategien abseits der ICI wie CAR-T-Zellen, bispezifischen T-Cell-Engagern (BiTEs) oder Vakzinierung.
Was tun bei seltenen EGFR-Mutationen?
In Deutschland würden im Jahr etwa 500- bis 750-mal seltene („uncommon“) EGFR-Mutationen nachgewiesen, sagte Dr. Marianne Janning, Mannheim. Ein wesentlicher Anteil sind „compound mutations“, bei denen mehrere EGFR-Mutationen vorliegen. Janning wies auf die breite Zulassung von EGFR-Inhibitoren der ersten bis dritten Generation bei „aktivierender EGFR-Mutation“ in der metastasierten Situation hin. Sie betonte, dass auch Patienten mit „major uncommon EGFR mutations“ (L861Q, S786I, G719X & Compounds) vom Zweitgenerations-EGFR-Inhibitor Afatinib oder dem Drittgenerations-EGFR-Inhibitor Osimertinib profitieren; allerdings sei die Effizienz etwas schlechter als bei klassischen EGFR-Mutationen. Exon-19-Insertionen und Compound-Mutationen, die eine klassische EGFR-Mutation enthalten, könnten ebenfalls mit einem EGFR-Inhibitor behandelt werden. Für alle anderen seltenen EGFR-Mutationen kann in der MURIEL-/Muri-Pedia-Datenbank des nNGM gesucht oder die Arbeitsgruppe konsultiert werden (preclinical[at]nngm[dot]de).
Ist Heilung mit neuen TKIs möglich?
Prof. Benjamin Besse, Villejuif Cedex, Frankreich, wies darauf hin, dass auch bei den Next-Generation-TKIs letztlich Rezidive aufgrund von Resistenzmutationen entstehen. Für die Langzeitansprechenden mit remissionsfreiem Überleben unter kontinuierlicher TKI-Therapie in fortgeschrittenen Tumorstadien fehle derzeit ein eigener Begriff. Ob hier Kombinationen eine Heilung ermöglichen könnten, bleibe abzuwarten. In frühen Stadien sei das Design der derzeitigen Studien mit EGFR-/ALK-TKIs möglicherweise nicht ausreichend, um tatsächlich eine Heilung nachzuweisen.
Monitoring auf ctDNA
Vielversprechend für die Einschätzung des Therapie-Benefits sei das Monitoring auf zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) beziehungsweise auf die minimale Resterkrankung (MRD). „In der Bildgebung sind Tumorreste unter 3 mm Durchmesser nicht zu sehen. Aber in einem 3 -mm-Tumor stecken sieben Millionen Tumorzellen“, betonte Besse. Auch Prof. Sonja Loges, Mannheim, sprach in ihrem Vortrag zu dynamischen Biomarkern für das Therapiemanagement vom „enormen“ Potenzial der Liquid Biopsy vor allem beim MRD-Monitoring mittels ctDNA-Nachweis. Sei nach der Operation von NSCLC im lokalen Stadium dauerhaft keine MRD nachweisbar, könnte dies prädiktiv für Heilung sein [4].
ctDNA-Clearance und pCR nach Immunchemotherapie
Nach neoadjuvanter Immunchemotherapie sei das Erreichen einer pathologischen Komplettremission (pCR) beziehungsweise einer „major pathologic response“ (MPR) prädiktiv für das Gesamtüberleben, sagte Loges. Die zusätzliche Rolle von ctDNA in diesem Zusammenhang sei noch unklar. In explorativen ctDNA-Analysen aus der Phase-III-Studie AEGEAN, in der die präoperative Immunchemotherapie mit Durvalumab untersucht wurde, war es unwahrscheinlich, dass Patienten, die unter der neoadjuvanten Immunchemotherapie keine ctDNA-Clearance aufwiesen, eine pCR erreichten. Die ctDNA sei damit als „early-response biomarker“ zur Identifizierung von Patienten geeignet, die von neoadjuvantem Durvalumab plus Chemotherapie profitierten, so die Autoren [5].