Hodgkin-Lymphom
Neuer Standard in fortgeschrittenen Stadien
Hodgkin-Lymphome werden immer mehr mit Immuntherapien behandelt: Neben dem Antikörper-Toxin-Konjugat Brentuximab-Vedotin (BV) rücken Immuncheckpoint-Inhibitoren, die die PD-1-/PD-L1-Achse hemmen, zunehmend in den Vordergrund. In der US-amerikanischen Phase-III-Studie SWOG S1826, die bei der ASCO-Jahrestagung 2023 in Chicago, IL/USA, in der Plenary Session vorgestellt worden war, hat sich der PD-1-Inhibitor Nivolumab in der Erstlinientherapie fortgeschrittener Erkrankungen dem Immuntoxin überlegen gezeigt.
Wie Prof. Alex Fancisco Herrera, Duarte, CA/USA, berichtete, wurden 976 Patient:innen (≥ 12 Jahre) mit neu diagnostiziertem Hodgkin-Lymphom im Stadium 3–4 eingeschlossen. Sie erhielten sechs Zyklen AVD (Doxorubicin, Vinblastin, Dacarbazin) und dazu randomisiert entweder Nivolumab oder BV. Danach wurden in der Positronenemissionstomografie (PET) metabolisch aktive Lymphknoten bestrahlt. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS); hier zeigte sich bei der zweiten geplanten Interimsanalyse nach median einem Jahr eine Halbierung des Risikos mit Nivolumab (Hazard Ratio [HR] 0,48; 99%-Konfidenzintervall [99%-KI] 0,27–0,87; p = 0,0005), bei 1-Jahres-Raten von 94 bzw. 86 % und in allen untersuchten Subgruppen.
Der Checkpoint-Inhibitor könne also gegenüber dem Immuntoxin das PFS verlängern, so Herrera, sodass das Nivolumab-Protokoll in Nordamerika wohl zum neuen Erstlinienstandard beim fortgeschrittenen Hodgkin-Lymphom avancieren werde.
Anders in Deutschland und dem größten Teil Europas: Hier ist der Standard in dieser Indikation bisher das durch die Deutsche Hodgkin-Studiengruppe (GHSG) etablierte eskalierte BEACOPP-Protokoll (BEACOPPeskaliert; Bleomycin, Etoposid, Doxorubicin, Cyclophosphamid, Vincristin, Procarbazin, Prednison). Dieses hat in der Erstlinie die besten Überlebensresultate gebracht [1], doch sind vor allem für Jüngere die häufig langfristigen Nebenwirkungen (kardial, neurologisch, in Bezug auf Fertilität etc.) ein ernstes Problem. Dem begegnet man teilweise dadurch, dass man bei negativem PET nach zwei Zyklen (PET2) insgesamt nur vier Zyklen BEACOPPeskaliert gibt, bei positivem PET2 hingegen sechs – eine Strategie, die auf die HD18-Studie der GHSG zurückgeht [2].
In der großen Phase-III-Studie HD21 (ClincalTrials.gov NCT02661503), deren erste Resultate Prof. Peter Borchmann, Köln, beim ICML-Kongress in Lugano, Schweiz, in der Late-Breaking-Abstract-Session vorstellen konnte [3], kombinierte die GHSG nun BV mit einem modifizierten Chemotherapieregime aus Etoposid, Cyclophosphamid, Doxorubicin, Dacarbazin und Dexamethason und testete das in einem vergleichbaren, PET2-abhängigen Protokoll randomisiert gegen BEACOPPeskaliert. In 233 Zentren in neun Ländern erhielten 1.500 Patient:innen im Alter von 18 bis 60 Jahren je nach dem Resultat der PET2-Untersuchung insgesamt entweder vier oder sechs Zyklen eines der beiden Protokolle.
Beim primären Endpunkt des PFS durfte nach dem statistischen Plan nach fünf Jahren der absolute Unterschied weniger als 6 % betragen, um eine Nichtunterlegenheit von BrECADD zu belegen. 59 % der Patient:innen erhielten vier Zyklen, die übrigen 41 % sechs Zyklen der jeweiligen Therapie. In der Interimsanalyse nach median 40 Monaten betrug die 3-Jahres-Rate für das PFS 92,3 % für BEACOPPeskaliert und 94,9 % für BrECADD. Die HR lag mit 0,63 weit unter der vorgegebenen Grenze von 1,69 für eine Nichtunterlegenheit. Anders als erwartet zeigte sich sogar ein starker Trend zur Überlegenheit von BrECADD gegenüber BEACOPPeskaliert mit einem 99%-Konfidenzintervall von 0,37–1,07. Das Gesamtüberleben (OS) nach drei Jahren ist mit 98,5 % in beiden Armen bisher identisch und sehr hoch.
BrECADD weist gegenüber BEACOPPeskaliert eine relevante Reduktion des Transfusionsbedarfs, wesentlich geringere Neuro- und gonadale Toxizität sowie keinerlei behandlungsbedingte Mortalität auf. Die PFS-Raten unter individualisiertem BrECADD sind die höchsten bislang beobachteten. Sie machen dieses Protokoll daher zur derzeit wirksamsten Therapie des fortgeschrittenen klassischen Hodgkin-Lymphoms. Für die GHSG werde dieses Regime daher ab sofort der neue Therapiestandard für solche Patient:innen sein, so Borchmanns Fazit.
Im Rezidiv kombinierte Immuntherapie sehr wirksam
Auch im Rezidiv des Hodgkin-Lymphoms nach autologer Stammzelltransplantation (ASCT) sind PD-1-/PD-L1-Inhibitoren wirksam; sie erzielen aber nur Komplettremissionsraten von rund 20 %. Weil aber Komplettremissionen für den Erfolg einer nachfolgenden allogenen Stammzelltransplantation essenziell sind, unterstützten italienische Hämatolog:innen die Checkpoint-Inhibitor-Behandlung durch die Infusion unselektierter autologer Lymphozyten – nach folgender Rationale: Ein Debulking durch die Konditionierung vor der ASCT minimiert die Krankheitslast für den Checkpoint-Inhibitor, und die Reinfusion der Lymphozyten verbessert seine Wirksamkeit, indem sie die Post-Transplantations-Immundepression verringert.
In einer Phase-II-Studie wurden Dr. Fabio Guolo, Genua, Italien, zufolge bei Patient:innen, die auf eine Erstlinientherapie nicht angesprochen hatten, mittels Apherese autologe Lymphozyten gewonnen [4]. Nach dem Versagen einer konventionellen Zweitlinienchemotherapie erhielten sie BV. 21 Patient:innen, die damit keine Komplettremission erreichten, wurden in einen aktiven Behandlungsarm eingeschlossen: Sie unterzogen sich der ASCT und erhielten einen Checkpoint-Inhibitor sowie autologe Lymphozyten.
Ohne Nebenwirkungen (einschließlich immunbedingter Toxizität) kamen alle so behandelten Patient:innen in eine PET-negative Komplettremission, und acht wurden mit allogener Stammzelltransplantation konsolidiert. Alle Patient:innen in diesem aktiven Behandlungsarm sind nach median 32 Monaten krankheitsfrei am Leben; in einem Kontrollarm mit Patient:innen, die andere Behandlungen erhalten oder auf konventionelle Salvagetherapien angesprochen hatten, wurde lediglich ein Medianwert von 22 Monaten erreicht (Abb. 1).