Pflanzliche Wirkstoffe in der Klinischen Analytik: Tabak, Tollkirsche, Fingerhut und Zucchini

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.03.11

Die Analyse pflanzlicher Wirkstoffe kann bei Vergiftungen, beim Therapeutic Drug Monitoring oder bei der Kontrolle im Rahmen von Drogentherapien notwendig werden. Für die Diagnostik stehen sowohl Enzymimmunoassays mit kommerziell verfügbaren Testkits als auch flüssigchromatographische Messmethoden, die meist mit Massenspektrometrie gekoppelt sind, zur Verfügung.

Schlüsselwörter: Pflanzliche Wirkstoffe, Drogenscreening, TDM, Intoxikationen, HPLC/MS

Pflanzen sind nach Medikamenten und chemischen Produkten der dritthäufigste Anlass für Anrufe bei den deutschen Giftinformationszentren [1, 2]. Eine Reihe pflanzlicher Inhaltsstoffe stellt hierbei eine große, oft unbekannte und unterschätzte Gefahr für uns Menschen und insbesondere für Kinder dar, weil diese Inhaltsstoffe hochgiftig sind oder als Rauschdrogen missbraucht werden [3–5].

Ziel dieses Artikels ist es, einen Überblick über relevante pflanzliche Inhaltsstoffe in der klinisch-chemischen Praxis zu geben und die dafür zur Verfügung stehenden analytischen Messverfahren vorzustellen.

Im Folgenden sind die übergeordneten klinischen Fragestellungen zusammengefasst:

  1. Wenn bei medizinischen Notfällen der Verdacht auf eine Intoxikation unter anderem mit Pflanzengiften besteht, kann die strukturelle Aufklärung ein notwendiger Indikator sein, um wichtige therapeutische Maßnahmen, zum Beispiel die Gabe eines Antidots, einzuleiten.
  2. Einige pflanzliche Wirkstoffe sind wichtige Arzneistoffe, beispielsweise die Herzglykoside Digoxin und Digitoxin oder Colchicin zur Vorbeugung und Behandlung akuter Gichtanfälle. Für die Überprüfung der Wirksamkeit der Therapie und vor allem zur Vermeidung toxischer Nebenwirkungen werden die Arzneistoffspiegel im Rahmen des Therapeutic Drug Monitoring (TDM) regelmäßig überprüft.
  3. Die Kontrolle im Rahmen von Drogentherapien bzw. zur Einhaltung eines Rauchverbots (Cotinin) ist zur erfolgreichen Behandlung von Suchterkrankungen unerlässlich [6].
  4. Starke gastrointestinale Beschwerden (Bauchschmerzen, Durchfall, Erbrechen über mehrere Tage) können durch den Verzehr von bitter schmeckenden Kürbisgewächsen (z. B. Zucchini, Kürbis) verursacht werden. Der analytische Nachweis der Cucurbitacine (toxische Bitterstoffe, die sich spontan auch in Zuchtpflanzen anreichern) stellt ein wichtiges Element bei der Diagnose und Therapie der unspezifischen Symptomatik, besonders bei älteren Patienten, dar [7].

 

Analytische Messverfahren

Für die Analyse selbst stehen verschiedene immunochemische und flüssigchromatographische Messverfahren in Deutschland zur Verfügung.

Enzymimmunoassays (EA) als immunochemische Verfahren sind gut geeignet für das Drogenscreening und für Abstinenzkontrollen im Urin. Für pflanzliche Wirkstoffe existiert beispielsweise ein Assay zum Nachweis von Cotinin, einem Metabolit von Nicotin. Auch für die Spiegelkontrollen im Blut, z. B. für Digitoxin und Digoxin, finden EA Verwendung. Wenn der Verdacht einer Intoxikation mit Pflanzenteilen von Herzglykosiden besteht, sind EA jedoch in den meisten Fällen wegen der bestehenden Kreuzreaktivität ungeeignet und werden in der Regel durch chromatographische Messverfahren ersetzt.

Die am häufigsten zur analytischen Bestimmung von pflanzlichen Wirkstoffen eingesetzten Messverfahren sind flüssigchromatographische Methoden („high-performance liquid chromatography“; HPLC), die meistens mit einem Massenspektrometer (MS) zur Identifikation und Quantifizierung gekoppelt sind. Wenn die jeweiligen Messbereiche justiert werden, sind die chromatographischen Verfahren sowohl für die Abstinenzkontrolle, das Drogenscreening und die Spiegelkontrolle als auch für die Intoxikation skalierbar. Auf der Basis dieser verschiedenen Untersuchungszwecke sind in der Regel unterschiedliche Konzentrationsbereiche in den humanen Proben zu erwarten.

In Tab. 1 sind die entsprechenden pflanzlichen Wirkstoffe, die jeweiligen Untersuchungszwecke, die aktuell in Deutschland verfügbaren analytischen Verfahren sowie die zugehörigen Pflanzen orientierend zusammengefasst.

Tab. 1: Zusammenstellung pflanzlicher Wirkstoffe und der zugehörigen Pflanze; Untersuchungszwecke und eingesetzte analytische Untersuchungsverfahren.

Wirkstoff

Pflanze (lat.)

Pflanze (deutsch)

Untersuchungszweck

Analytische Methode

Lit.

Aconitin

Aconitum

Eisenhut

Pharmakon, Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Anabasin

Nicotiana

Tabak, Tabakbaum

Missbrauch, Toxin

EA

HPLC/MS/MS

 

[6]

Atropin

Atropa belladonna, Brugmansia, Datura, Hyoscyamus

Tollkirsche, Engels­trompete,

Stechapfel, Bilsenkraut

Missbrauch,

Pharmakon, Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Brucin

Ignatia amara, Strychnos

Ignatius-Brechnuss,

gewöhnliche Brechnuss

Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Colchicin

Colchicum autumnale, Gloriosa

Herbstzeitlose, Ruhmeskrone

Pharmakon, Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Coniin

Cicuta virosa, Conium maculatum

Wasserschierling, Schierling

Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Cotinin

Nicotiana

Tabak, Tabakbaum

Missbrauch, Toxin

EA

HPLC/MS/MS

 

[6]

Cucurbitacin

Begonia, Bryonia, Cucurbita

Begonie, Zaunrübe, Kürbisgewächse

Toxin

HPLC/MS

[7]

Cytisin

Genista, Laburnum, Sophora

Ginster, Goldregen,

japanischer Schnurbaum

Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Digitoxin

Digitalis

Fingerhut

Pharmakon, Toxin

EA

 

Digoxin

Digitalis

Fingerhut

Pharmakon, Toxin

EA

 

Harmin

Passiflora, Peganum

Passionsblume, Steppenraute

Missbrauch

HPLC/MS/MS

[6]

Ibogain

Tabernanthe iboga

Iboga

Missbrauch

HPLC/MS/MS

[6]

Jervin

Veratrum album

Weißer Germer

Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Lupinin

Lupinus

Lupine

Nahrungsergänzungsmittel, Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Nicotin

Nicotiana

Tabak, Tabakbaum

Missbrauch, Toxin

EA

HPLC/MS/MS

 

[6]

Oleandrin

Nerium oleander

Oleander

Toxin

EA

HPLC/MS/MS

 

[8]

Protoveratrin A

Veratrum album

Weißer Germer

Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Ricinin

Ricinus communis

Wunderbaum

Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Scopolamin

Atropa belladonna, Brugmansia, Datura, Hyoscyamus

Tollkirsche, Engels­trompete,

Stechapfel, Bilsenkraut

Missbrauch,

Pharmakon, Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Senecionin

Senecio jacobaea

Jakobskreuzkraut

Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Spartein

Cytisus, Genista, Lupinus

Besenginster, Ginster, Lupine

Nahrungsergänzungsmittel, Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Strychnin

Ignatia amara, Strychnos

Ignatius-Brechnuss,

gewöhnliche Brechnuss

Missbrauch, Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Taxinin M

Taxus baccata

Eibe

Missbrauch, Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Taxol A

Taxus baccata

Eibe

Missbrauch,

Pharmakon, Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Yohimbin

Pausinystalia yohimbe, Rauwolfia

Yohimbe-Baum, Schlangenwurz

Missbrauch, Toxin

HPLC/MS/MS

[6]

Beispiele von Vergiftungsfällen

In Tab. 2 sind beispielhaft die im Institut für Rechtsmedizin Dresden zwischen 2016 und 2023 untersuchten Vergiftungsfälle mit ausgewählten Pflanzen mit überlebtem oder tödlichem Ausgang zusammengestellt.

Tab. 2: Vergiftungsfälle am Institut für Rechtsmedizin in Dresden (2016–2023).

Wirkstoff

Pflanze (deutsch)

Exposition von

Fallzahl

Konz. im Blut [ng/ml]

Aconitin

Eisenhut

Wurzel

5

2,0–10,2

Colchicin

Herbstzeitlose

Wurzel

5

3,7–96

Ricinin

Wunderbaum

Samen

1

128

Taxinin M

Eibe

Nadeln, Samen

22

0,26–67

Jervin

Weißer Germer

getrocknete Pflanzenteile

3

0,15–0,28

Cucurbitacin-E-glykosid

Begonie, Zaunrübe, Kürbisgewächse

Frucht (Zucchini)

5

0,17–1,5

Die analytische Quantifizierung erfolgte nur von Substanzen, für die entsprechende Standards kommerziell erhältlich sind. Die Analysemethoden sind nach den Richt­linien der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie (GTFCh) [9] vollständig validiert.

Die identifizierten Substanzen sind als die jeweils geeignetsten analysierbaren „Marker“ nach Exposition der jeweiligen Pflanzenart (siehe Tab. 1) zu betrachten.

 

Mit Ausnahme von Colchicin liegen bei Vergiftungsfällen mit Pflanzen für die nachgewiesenen Wirkstoffe (Tab. 2) keine Angaben zur toxikologischen Relevanz vor [10]. Die jeweils analysierten Konzentratio­nen bilden daher die bei den Vergiftungen aufgetretenen Konzentrationsbereiche ab. Sie sind als Hinweise für die bei Intoxikationsfällen zu erwartenden Konzentrationen im Blut bzw. Plasma zu verstehen.

Neben Blut ist auch Plasma als Untersuchungsmaterial geeignet. Aus den beiden Materialien bestimmte Konzentrationen können herangezogen werden, um den Verlauf, z. B. bei einer Intoxikation, abzuschätzen.

Weiterhin können die Analysen aus Urin durchgeführt werden. Urin hat gegenüber Blut ein längeres Nachweisfenster, was insbesondere beim Drogenscreening und bei Abstinenzkontrollen von Vorteil sein kann oder wenn – z. B. bei unklarer Auffindesituation der Betroffenen – eine Ursachenfindung erst spät erfolgen kann.

 

Fazit

Ein Konzept für die analytische Bestimmung von pflanzlichen Wirkstoffen sollte auch im klinisch-chemischen Labor für Intoxikationsfälle verfügbar sein. Prinzipiell sind substanzabhängig sowohl immunochemische als auch chromatographische Methoden für diese Untersuchungen geeignet. Eine eindeutige Identifizierung und Quantifizierung pflanzlicher Wirkstoffe in humanem Material verlangt allerdings zumeist die Analyse in spezialisierten Laboratorien unter Verwendung von kommerziell erhältlichen Referenzstandards.  

Autoren
Prof. Dr. Jörg Pietsch (korr. Autor)
Technische Universität Dresden
Institut für Rechtsmedizin
Abteilung Toxikologische Chemie
Peggy Kießling
Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH
Leitung Toxikologie
Dr. Stefan Neubeck
Carl-Thiem-Klinikum Cottbus
Institut für Laboratoriumsmedizin
Toxikologie und Forensik
Aus der Rubrik