Medikamenten-Intoxikationen in der Klinischen Analytik: Therapeutische Dosierung oder behandlungsbedürftige Intoxikation?

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.03.09

Zu den häufigsten Vergiftungen mit Medikamenten gehören Intoxikationen mit Paracetamol, Benzodiazepinen und trizyklischen Antidepressiva. Zur Beurteilung der Schwere der Vergiftung können – neben der Symptomatik der Betroffenen – chemisch-toxikologische Untersuchungen von Urin- und Blutproben wichtige Hinweise geben. Insbesondere bei Paracetamol-Vergiftungen werden auch auf Basis des Substanznachweises Entscheidungen hinsichtlich einer möglichen Antidot-Therapie getroffen. Neben immunchemischen Untersuchungsmethoden kommen für eine eindeutige Identifizierung und Quantifizierung der jeweiligen Wirkstoffe vor allem chromatographische Verfahren zum Einsatz.

Schlüsselwörter: Immunchemie, Chromatographie, Massenspektrometrie, GC/MS, LC-MS/MS

Intoxikationen mit Medikamenten sind nach Alkohol-Intoxikationen die zweithäufigste Gruppe von behandlungspflichtigen Vergiftungen. Führend sind hier vor allem Vergiftungen mit Hypnotika (Schlafmitteln), Psychopharmaka und Analgetika [1]. Bei den Analgetika-Intoxikationen machen Paracetamol-Bestimmungen den Großteil der toxikologischen Analysen aus. Zwar gibt es auch immer wieder Opioid-Vergiftungsfälle, diese resultieren jedoch meist aus einer missbräuchlichen Einnahme zum Beispiel von Heroinersatzmedikamenten wie Methadon und nicht aus der Einnahme im Rahmen einer Schmerztherapie. Opioid-Intoxikationen werden im Artikel „Drogen in der Klinischen Analytik“ besprochen. Im Folgenden werden Vergiftungen mit dem Analgetikum Paracetamol, mit Benzodiazepinen (aus der Gruppe der Hypnotika/Sedativa) sowie mit trizyklischen Antidepressiva (TCAs) als wichtige Gruppe der Psychopharmaka näher vorgestellt. Diese Auswahl repräsentiert die am häufigsten nachgewiesenen Medikamente in unseren klinisch-toxikologischen Laboren, jedoch gibt es auch immer wieder Vergiftungsfälle mit anderen Arzneistoffen wie Antiarrhythmika oder Neuroleptika.

 

Paracetamol

Die Paracetamol-Vergiftung ist in Deutschland eine häufige Ursache für akutes Leberversagen. Sie ist durch Antidot-Gabe gut zu therapieren, wenn sie in den ersten 24 Stunden nach einer Paracetamol-Aufnahme erkannt wird. Bei Vergiftungen wird Paracetamol meist in suizidaler Absicht eingenommen; Überdosierungen bei Kindern im Rahmen der Therapie fiebriger Erkrankungen kommen hingegen selten vor. Bei Paracetamol handelt es sich um ein Latenzgift. Die Betroffenen haben zunächst keine oder leichte Oberbauchbeschwerden. Zum Leberversagen kommt es hingegen erst zeitversetzt nach ein bis zwei Tagen. Da die klinisch-chemischen Leberwerte ebenfalls erst verzögert ansteigen, wird bei begründetem Verdacht einer Paracetamol-Vergiftung direkt mit einer Antidot-Therapie mit Acetylcystein (ACC) begonnen. Acetylcystein fördert die Entgiftung des toxischen Paracetamol-Metaboliten N-Acetyl-Benzochinonimin (Abb. 1).

Dieser wird nach Aufnahme therapeutischer Dosierungen über Konjugation mit körpereigenem Glutathion renal ausgeschieden. Sind die Glutathion-Reserven erschöpft, bindet der Metabolit jedoch an Leberzellproteine und führt so zur Leberschädigung. Bei einer Aufnahmemenge von mehr als 250 mg Paracetamol je Kilogramm Körpergewicht ist eine Schädigung der Leber wahrscheinlich. Da jedoch nicht immer verlässliche Patientenangaben vorliegen, empfiehlt sich die Paracetamol-Bestimmung im Blutserum. Die Analytik erfolgt meist mittels Enzymimmunoassays (EA) kann aber auch mittels chromatographischer Verfahren wie einer Hochleistungsflüssigchromatographie mit Dioden-Array-Detektor (HPLC-DAD) oder Gaschromatographie-Massenspektrometrie-Kopplung (GC-MS) erfolgen.

Für die korrekte Einschätzung der Schwere der Vergiftung ist – sofern bekannt – der zeitliche Abstand zwischen der Paracetamol-Ingestion und der Blutentnahme maßgeblich. Bei der Blutentnahme sollten vier Stunden zwischen Paracetamol-Einnahme und Blutentnahme nicht unterschritten werden. Nur dann ist bei einer einmaligen oralen Einnahme eine Abschätzung anhand des Nomogramms nach Rumack und Matthew (Abb. 2) verlässlich möglich [2].

Dieser wird nach Aufnahme therapeutischer Dosierungen über Konjugation mit körpereigenem Glutathion renal ausgeschieden. Sind die Glutathion-Reserven erschöpft, bindet der Metabolit jedoch an Leberzellproteine und führt so zur Leberschädigung. Bei einer Aufnahmemenge von mehr als 250 mg Paracetamol je Kilogramm Körpergewicht ist eine Schädigung der Leber wahrscheinlich. Da jedoch nicht immer verlässliche Patientenangaben vorliegen, empfiehlt sich die Paracetamol-Bestimmung im Blutserum. Die Analytik erfolgt meist mittels Enzymimmunoassays (EA) kann aber auch mittels chromatographischer Verfahren wie einer Hochleistungsflüssigchromatographie mit Dioden-Array-Detektor (HPLC-DAD) oder Gaschromatographie-Massenspektrometrie-Kopplung (GC-MS) erfolgen.

Für die korrekte Einschätzung der Schwere der Vergiftung ist – sofern bekannt – der zeitliche Abstand zwischen der Paracetamol-Ingestion und der Blutentnahme maßgeblich. Bei der Blutentnahme sollten vier Stunden zwischen Paracetamol-Einnahme und Blutentnahme nicht unterschritten werden. Nur dann ist bei einer einmaligen oralen Einnahme eine Abschätzung anhand des Nomogramms nach Rumack und Matthew (Abb. 2) verlässlich möglich [2].

 

Liegt die gemessene Konzentration oberhalb der Geraden, wird die Therapie mit ACC gemäß des Schemas fortgesetzt (oder begonnen), um eine Leberschädigung zu verhindern. Hierbei werden über 20 Stunden insgesamt 300 mg/kg infundiert. Wenn nach Ablauf des Schemas die Paracetamol-Konzentration im Serum weiterhin über 30 mg/l liegt, kann die Gabe für 24 Stunden in einer Dosierung von 150 mg/kg ACC fortgesetzt werden. Wenn die Paracetamol-Einnahme bereits länger als 24 Stunden zurückliegt, ist der laborchemische Nachweis des Paracetamols aufgrund der kurzen Halbwertszeit meist nicht mehr möglich und daher die Paracetamol-Bestimmung hinsichtlich einer zurückliegenden Ingestion auch nicht mehr aussagekräftig.

 

Benzodiazepine und analoge Substanzen

Benzodiazepine werden häufig zur Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen, zur Sedierung in der Intensiv- und Notfallmedizin sowie bei Angst- und Panikstörungen verordnet. Jedoch werden Benzodiazepine auch missbräuchlich als „Downer“ von drogenabhängigen Menschen konsumiert. Die Symptome einer Überdosierung sind vor allem Schläfrigkeit und Sedierung bis hin zum Koma. Insbesondere in Kombination mit anderen zentral dämpfenden Substanzen steigt die Toxizität von Benzodiazepinen [3]. Bei der Überwachung intoxikierter Personen sollten die unterschiedlich langen Halbwertszeiten der jeweiligen Benzodiazepine beachtet werden. Für die Analytik stehen zum schnellen Nachweis immunchemische Assays zur Verfügung, die jedoch bei einem positiven Ergebnis keine Auskunft darüber geben, welcher Wirkstoff in welcher Konzentration im Blut vorhanden ist, da die Kreuzreaktivitäten der verschiedenen Benzodiazepine sehr unterschiedlich sein können. Zum Beispiel kann das lang wirksame Diazepam auch in therapeutischer Dosierung ein hochpositives Ergebnis verursachen, während Clonazepam in toxischer Dosierung nur einen schwach positiven immunchemischen Befund zur Folge hat. Zur weiteren Abklärung können quantifizierende Untersuchungen beispielsweise mittels Liquid-Chromatographie-Massenspektrometrie/Massenspektrometrie (LC-MS/MS) angeschlossen werden, die eine zweifelsfreie Zuordnung und Konzentrationsbestimmung erlauben. Darüber hinaus können mit chromatographisch-massenspektrometrischen Verfahren auch die Benzodiazepin-Analoga wie Zopiclon, Zolpidem und Zaleplon (sogenannte Z-Substanzen) erfasst werden, die bei den immunchemischen Assays üblicherweise nicht detektiert werden.

 

Trizyklische Antidepressiva

Trizyklische Antidepressiva werden häufig im Rahmen von suizidalen Ereignissen bewusst überdosiert und führen zu Hospitalisierung sowie intensivmedizinischer Betreuung. Die meisten trizyklischen Antidepressiva haben eine enge therapeutische Breite. Als Faustregel gilt (ungeachtet der unterschiedlichen Potenz der trizyklischen Antidepressiva) eine Einnahme von 10 bis 20 mg/kg Körpergewicht als potenziell lebensbedrohlich [4]. Die Symptome einer Vergiftung, die typischerweise innerhalb von 60 Minuten nach Einnahme auftreten, können vor allem anticholinerge Effekte, kardiovaskuläre Effekte und Krampfanfälle sein – wobei das Auftreten dieser Symptome je nach Dosis und Wirkstoff variieren kann. Es kann jedoch zu einem schlagartigen Bewusstseinsverlust und zu Krampfanfällen kommen.

Zur Toxizität der trizyklischen Antidepressiva tragen mehrere Wirkmechanismen bei: A) Anticholinerge Wirkungen und die Hemmung der neuronalen Wiederaufnahme von Katecholaminen führen zu Tachykardie und Hypertonie. B) Eine periphere alpha-adrenerge Blockade kann zu einer Vasodilatation und Hypotonie führen. C) Die sogenannte Chinidin-ähnliche Wirkung führt zu einer Hemmung des schnellen Natriumkanals am Herzen und damit zur Störung des Aktionspotenzials der Herzzellen. D) Krampfanfälle treten unter anderem als Folge der Hemmung der Wiederaufnahme von Noradrenalin oder Serotonin auf.

Die Therapie erfolgt in der Regel symp­tombezogen. Dazu steht eine Reihe von Wirkstoffen zur Verfügung, wie zum Beispiel Natriumhydrogencarbonat, welches bei Personen mit verlängerter QRS-Zeit eingesetzt werden kann. Analytisch können die trizyklischen Antidepressiva mittels immunchemischen Assays nachgewiesen werden. Hier gilt ebenfalls, dass ein positives Ergebnis keine Auskunft darüber gibt, welcher Wirkstoff in welcher Konzentration im Blut vorhanden ist. Zur weiteren Abklärung können auch hier quantifizierende Untersuchungen beispielsweise mittels LC-MS/MS angeschlossen werden.

 

Exkurs: Vergiftungen mit Glykolen und Methanol

Neben verschiedenen Medikamenten und dem Trinkalkohol (Ethanol) können auch andere Alkohole zu Vergiftungen führen. Hierbei sind insbesondere Ethylenglykol und Methanol zu nennen. Diese Vergiftungen sind vergleichsweise selten, bedürfen jedoch umgehender Behandlung. Ethylenglykol wird unter anderem als Frostschutzmittel in Kraftfahrzeugen eingesetzt; Methanol kann in selbstgebranntem Alkohol enthalten sein oder wird als Treibstoff für Modellflugzeuge verwendet. Beide Vergiftungen sind vor allem durch eine metabolische Azidose gekennzeichnet, da bei der Metabolisierung von Ethylenglykol und Methanol saure Abbauprodukte entstehen. Der laborchemische Nachweis erfolgt meist über gaschromatographische Verfahren [5] (Ethylenglykol: GC/MS; Methanol: Headspace-Gaschromatographie mit Flammenionisationsdetektor – Headspace-GC-FID), die nur in wenigen klinisch-chemischen Laboren zur Verfügung stehen. Alternativ oder ergänzend zum direkten Nachweis der Toxine können die Anionen-Lücke und die osmotische Lücke klinisch-chemisch bestimmt werden. Zur Behandlung von Ethylenglykol- und Methanol-Vergiftungen stehen Ethanol und Fomepizol als Antidota zur Verfügung. Ziel der Antidot-Therapie ist es, die Giftung zu den sauren Metaboliten zu blockieren. Die bestehende Azidose sollte durch die Gabe von Natriumbicarbonat behandelt werden. Gegebenenfalls ist auch eine Dialyse erforderlich, um Ethylenglykol und Methanol zu eliminieren und den Säure-Basen-Haushalt zu korrigieren.

Autoren
Dr. rer. nat. Hilke Jungen
Institut für Rechtsmedizin, Arbeitsbereich
Forensische und Klinische Toxikologie
Uniklinikum Hamburg-Eppendorf
Univ.-Prof. Dr. Markus R. Meyer
Experimentelle und Klinische Toxikologie und Pharmakologie
Universität des Saarlandes
Aus der Rubrik