Roboter im Krankenhauslabor: Neuer Kollege mit Potenzial
DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.05.03In Zeiten des Fachkräftemangels stehen vor allem kleinere Labore, für die große Automationskonzepte wie Laborstraßen nicht infrage kommen, vor einer Herausforderung. Laborroboter können als präzise Helfer repetitive Prozesse übernehmen und das Laborpersonal Tag und Nacht entlasten. In zwei Krankenhauslaboren des LADR Laborverbundes Dr. Kramer & Kollegen ist seit Kurzem ein solcher Roboter im Einsatz. Eines der beiden Projekte wird hier vorgestellt.
Schlüsselwörter: Laborautomation, Hybridmodus, Walk-away-Zeit, Turn-around-Zeit, Laborrobotik
Die Entwicklung von Robotiklösungen für den Einsatz in medizinischen Laboren hat in letzter Zeit viele Fortschritte gemacht und trifft auf großes Interesse und eine hohe Nachfrage. Getrieben vom Fachkräftemangel müssen viele Labore innovative Konzepte für Laborsettings etablieren, die bisher nicht im Fokus der Laborautomation standen. Im Mittelpunkt stehen dabei unter anderem kleinere Krankenhauslabore im ländlichen Raum mit begrenztem Probenaufkommen. Diese Labore sind bisher oft noch gekennzeichnet durch eine Vielzahl von manuellen Laborprozessschritten: Mitarbeitende übernehmen die Probensortierung, die Auftragserfassung bzw. die Aktivierung von Order-Entry-Proben im Laborinformationssystem, die präanalytische Bearbeitung (z. B. Zentrifugation) und die Verteilung auf die unterschiedlichen Laborgeräte. Nach der Analytik erfolgt das manuelle Entladen der Proben aus den Laborgeräten und deren Archivierung. Alle diese Tätigkeiten stellen repetitive, automationsfähige Prozesse dar, für die sich Robotiklösungen anbieten.
Über ihre Erfahrungen mit einem Gelenkroboter für den Bereich der Präanalytik haben Julian Gebauer und Boris Rolinski 2023 im Sonderheft „Automation und Robotik“ von Trillium Diagnostik 2023 berichtet [1]. Für ein kleines Krankenhauslabor war bereits Ende 2021 über die Etablierung eines Laborroboter-Gesamtkonzepts berichtet worden [2], aber auch über den Einsatz von unterstützenden Robotiklösungen in Forschungslaboren und über kleine Tischroboter ist zu lesen [3]. Die bisher im Krankenhauslabor etablierten Robotiklösungen finden ihre Beschränkung im Funktionsumfang (Limitierung auf die Präanalytik) sowie in der Notwendigkeit zusätzlicher (POCT-)Backup-Konzepte bzw. über die Geräteredundanz. Nachteilig können zudem eine Vollinvestition mit Geräteherstellerbindung im Rahmen eines Gesamtkonzepts sowie die bisher teils aufwendigen Umrüstzeiten und -prozesse vom Betrieb durch Medizinische Technolog:innen für Laboratoriumsmedizin (MTL) hin zum Roboterbetrieb bewertet werden.
Für die Reorganisation eines LADR Krankenhauslabors wurde Ende 2022 das Projektziel formuliert, eine Laborrobotiklösung zu implementieren, deren Einsatzspektrum – über bisher bestehende Laborrobotikkonzepte hinaus – die Probenprozessierung mit den vorhandenen, im Routinebetrieb eingesetzten Laborgeräten für zwei Haupteinsatzszenarien automatisiert: zum einen den vollständig autonomen Nachtbetrieb und zum anderen den MTL-unterstützenden/hybriden Tagesbetrieb.
Die Turn-around-Zeit und die Zuverlässigkeit sollten eine vergleichbare Qualität wie bei der manueller MTL-Abarbeitung erreichen. Im Tageshybridmodus sollte durch die Erhöhung der Walk-away-Zeit für die angebundenen Laborgeräte eine Personalentlastung erreicht werden. Auf das Vorhalten kostenintensiver, paralleler (POCT-)-Backup-Lösungen oder den Parallelbetrieb ressourcenbindender Zweitlaborgeräte vor Ort sollte zukünftig verzichtet werden können.
Projektverlauf
Zusammen mit einer Laborroboterfirma, die bereits erste vergleichbare Projekte durchgeführt hatte, erfolgte die Evaluation der vorhandenen Laborgeräte, der räumlichen Gegebenheiten und der aktuellen Laborprozesse. Erstmals wurde eine Laborrobotiklösung konzipiert, die einen auf einer Schiene fahrbaren Gelenkarmroboter integriert. Dieser innovative Konzeptvorschlag sollte der gestellten Anforderung an einen Tageshybridbetrieb Genüge leisten: Die gewonnene, zusätzliche Bewegungsfreiheit – gegenüber bisherigen, räumlich beengten Laborroboterlösungen – sollte ein arbeitsergonomisches Laborsetting schaffen, das einen jederzeitigen Switch zwischen manuellem MTL-Laborgerätebetrieb und Roboterbetrieb des Labors mit minimaler Umrüstzeit und minimalem Aufwand ermöglicht.
In einer mehrmonatigen Umsetzungsphase erfolgten 2023 die Installation, die Programmierung/das Teaching sowie die stetige begleitende Verbesserung des Laborroboters. Der Projektfortschritt war dabei in hohem Maße gekennzeichnet durch Innovationsstreben und -notwendigkeit, da sich bestehende Erfahrungen aus anderen Laborroboterinstallationen nur eingeschränkt auf die standortspezifischen Gegebenheiten übertragen ließen. Viele Verbesserungen zwischenzeitlich nachfolgender Laborrobotikinstallationen basieren auf den in diesem Projekt gewonnenen Erkenntnissen.
Arbeits- und Betriebskonzept
Der Laborroboter automatisiert mit hoher Zuverlässigkeit die wichtigsten und häufigsten Laborprozessschritte im Krankenhauslabor. Probenanalyseprozesse werden selbstständig durch den Laborroboter gestartet: Er übernimmt die Probenannahme, die Probenaktivierung im Laborinformationssystem, die Zentrifugation, das Proben-Decapping, die Probenrackplatzierung wie auch die Übergabe von verschiedenen Probentypen (EDTA, Lithium-Heparin, Serum, Citrat) an die Laborgeräte (Hämatologie-, Gerinnungs- und klinisch-/immunchemischer Analyzer). Zentrifuge und Gerinnungsgerät werden direkt durch den Laborroboter gesteuert, während der Hämatologie- und der klinisch-/immunchemische Analyzer indirekt durch Rackplatzierung gestartet werden. Die Entladung der Laborgeräte erfolgt in ein Archiv für EDTA- und Citrat-Proben. Serum- und Lithium-Heparin-Proben werden rackweise vom klinisch-/immunchemischen Analyzer entladen und separat archiviert. In der Zeit von 10 bis 18 Uhr arbeitet der Laborroboter im Tageshybridmodus die Routineproben vollständig autonom ab. Notfallproben, Nachforderungen und Massenprobenaufkommen können durch Pausierung des Roboters jederzeit und ohne Umrüstzeitverlust durch MTL manuell/priorisiert auf den Geräten abgearbeitet werden. Von 6 bis 10 Uhr übersteigt das Probenaufkommen die Leistungsfähigkeit des Laborroboters. In dieser Zeit werden neben der batchweisen Abarbeitung der Stationsroutineanalytik durch die MTL Wartungen, Gerätevorbereitungen sowie Kalibrations- und Kontrollmessungen durchgeführt. Von 18 bis 6 Uhr arbeitet der Laborroboter im autonomen Nachtbetrieb ohne MTL-Präsenz. Hier sind keine Priorisierungen möglich – aber aufgrund des geringen Probenaufkommens auch nicht notwendig, da alle Proben mit schnellstmöglicher Turn-around-Zeit prozessiert werden. Die Validation der Messergebnisse erfolgt telemedizinisch im nächstgelegenen LADR Krankenhauslabor, das 24/7 MTL-besetzt ist und als Notfall-Backup-Labor dient.
Vorteile für das Krankenhaus: Prozessoptimierung
Zur Einführung des Laborroboters waren Anpassungen in den klinikinternen, präanalytischen Prozessen notwendig, deren Umsetzung mehr Zeit in Anspruch genommen hat als es im Projektplan vorgesehen war. Letztendlich führte die Implementation des Laborroboters indirekt zu klinikinternen Prozessoptimierungen: Die Probentypen wurden auf eine Standardgröße harmonisiert, und die bisher erfolgte „ständerweise“ Probenabgabe einer Station – teils erst am frühen Nachmittag – wurde auf den Zeitraum bis 10 Uhr limitiert. Stationen und Ambulanzen konnte durch einen kontinuierlichen Lernprozess vermittelt werden, dass der Laborroboter im Tageshybridmodus Kapazitätsgrenzen hat, die durch eine rechtzeitige morgendliche Probenabgabe umgangen werden können. Die Laborergebnisse stehen seitdem früher im Tagesverlauf zur Verfügung. Der Vorteil einer kontinuierlichen, unmittelbaren Probenübergabe an den Laborroboter für eine sofortige, schnelle und effektive Laboranalytik wird zudem von der Notaufnahme positiv bewertet: (Pflege-)Personalbindende POCT-Lösungen können vermieden werden.
Zusätzlich haben sich die präanalytischen Fehler reduziert. Der Laborroboter ist konsequent fehlerintolerant: Falsch geklebte oder verwischte Barcodes führen ebenso zu fehlender Analytik wie nicht korrekte Probentypen oder fehlerhaft durchgeführte Order-Entry-Anforderungen. In Tab. 1 sind die für den zuverlässigen Laborroboterbetrieb zu erfüllenden Voraussetzungen exemplarisch aufgeführt.
Tab. 1: Voraussetzungen für einen zuverlässigen Laborroboterbetrieb.
Voraussetzungen für einen zuverlässigen Laborroboterbetrieb |
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Neuer Kollege Laborroboter als Innovationstreiber
Der Laborroboter schafft deutliche Personalentlastung sowohl im hybriden Tages- als auch im autonomen Nachtbetrieb. Die Besetzung der MTL-Nachtdienste konnte auf den Backup-Laborstandort konzentriert werden. Der Laborroboter wird durch die Labormitarbeiter:innen als hilfreiche Unterstützung empfunden – die Betrachtung des Laborroboters als „Kollegen“ hat die anfängliche Skepsis überwunden. Vorteilhaft ist insbesondere das unterbrechungsfreie Arbeiten für die MTL, weil Routineanalytikprozesse autonom und ohne Zeitverlust automatisiert gestartet werden. Die damit gewonnenen Valenzen können für die Konzentration auf komplexe Laboraufgaben, zum Beispiel im Bereich der manuellen immunhämatologischen Diagnostik, genutzt werden.
Gleichzeitig erbrachte die Installation des Laborroboters einen Innovationsschub für das Labor: Für die standortübergreifende MTL-Arbeit wird unter anderem ein neues telemedizinisches Gerätebetriebskonzept des Herstellers genutzt, das eine einfache Remote-Gerätesteuerung über ein Tablet ermöglicht. Zusätzliche Harmonisierungen der Laborprozesse sowie die digitale Vernetzung mit Remote-Zugriffen/-Steuerung zwischen Laborroboter- und Backup-Laborstandort führen die Laborversorgung für das Krankenhaus insgesamt in Richtung langfristig zukunftssicherem „Telelabor“. Die Patientenversorgung kann weiterhin 24/7 durch eine qualitativ hochwertige, stets vergleichbare Laboranalytik sichergestellt werden, ohne dass es zu Methodenbrüchen kommt (z. B. durch POCT-Lösungen).
Aktuelle Herausforderungen und What’s next?
Bisher etablierte Laborrobotiklösungen basieren weitestgehend auf der Programmierung fester, definierter Abläufe. Ausgehend von verschiedenen Variablen (z. B. Probentyp, Cito-Position im Probenübergabebereich und Anzahl weiterer zu bearbeitender Proben) führt der Laborroboter die ihm beigebrachten Prozessschritte aus. Insbesondere, wenn Laborgeräte verschiedener Hersteller und/oder Gerätegenerationen angebunden werden sollen, können dabei Limitierungen auftreten: Es bestehen aktuell keine oder bestenfalls monodirektionale Kommunikationswege mit den Laborgeräten. Der Laborroboter erhält keine direkten Informationen über den Gerätezustand oder Workload eines Laborgeräts. Es fehlt die Möglichkeit, gegebenenfalls auf Gerätefehler (durch Unterbrechung der weiteren Probenzufuhr) oder den Gerätebeladungszustand zu reagieren (Priorisierung von Probenentladung vor weiterer Probenzufuhr). Vielmehr ist ein Laborroboter der aktuellen Generation darauf angewiesen, dass die Prozesse in den Laborgeräten mit höchster Zuverlässigkeit immer gleich ablaufen. Auf Abweichungen kann nicht flexibel reagiert werden.
Die Laborgerätehersteller sind in diesem Aspekt zur Innovations- und Weiterentwicklung ihrer Analyzer für einen (hybriden) Roboterbetrieb gefordert. Alle Laborgeräte sind bislang auf menschliche Steuerung ausgerichtet: Informationen über den Gerätezustand oder über Gerätefehler werden auf Bildschirm-Interfaces oder über optische (Warnleuchten) bzw. akustische Signale (Signaltöne) den Mitarbeitenden mitgeteilt, die dann entsprechend reagieren können. Mechanische Komponenten (z. B. Rackzufuhr oder Probenladeschubladen) lassen Impräzisionen im Millimeterbereich zu, die ein Mensch unbewusst korrigiert. Die hohe und exakte Präzision der Laborroboterbewegungen wird damit jedoch vor Herausforderungen gestellt.
Andererseits ist es denkbar, dass der Fortschritt innerhalb der Laborrobotik sehr schnell die Entwicklungen im Bereich Künstlicher Intelligenz und dynamischer Sensorikverarbeitung aufgreift: Laborroboter werden über Kamera-/Audiosysteme flexibel ihre Umwelt erkennen und darauf reagieren können. Durch Künstliche Intelligenz werden sie lernen, wie sie auf den aktuellen Zustand eines Laborgeräts zu reagieren haben. Diese Entwicklung ist hochspannend, weil damit die Implementierung standortindividueller Laborrobotiklösungen sehr vereinfacht würde. Statt langwieriger, komplexer Programmierungen und Teachings eines Laborroboters mit hohem Trial-&-Error-Anteil – wie in diesem Artikel beschrieben – könnten zukünftig selbstlernende Laborrobotersysteme zum Einsatz kommen.
Fazit zum aktuellen Stand der Laborrobotik
Standortindividuelle Laborrobotiklösungen sind in einem Krankenhauslabor zur autonomen Übernahme von standardisierten, repetitiven Laborprozessen einsetzbar. Sie erhöhen die Walk-away-Zeit und schaffen Personalentlastung. Die Gewährleistung einer 24/7-Laboranalytik im Krankenhauslabor kann durch Laborrobotik für die Patientenversorgung sichergestellt werden. Herausforderungen bestehen in fehlenden Geräte-/Industriestandards beim Robotereinsatz für die Laborautomation. Aktuell ist die Implementierung von Laborrobotiklösungen im Krankenhauslabor durch ein hohes Maß an Projektindividualität gekennzeichnet, und die Realisierung ist mit einer hohen Komplexität verbunden: Für eine erfolgreiche Implementierung sind Koordination und Wissen zu Laborgerätesteuerung und -bedienung (Hersteller und MTL), zu standortspezifischen Prozessen im Labor (MTL und Labororganisation) sowie zum jeweiligen Krankenhaus (Krankenhausstruktur und Anforderungsverhalten) notwendig. Standardisierung und zunehmender Routineeinsatz sind für die Zukunft zu erwarten und werden diese Aspekte zusammen mit den technischen Fortschritten in der Laborrobotik vereinfachen.