Fachkräftemangel in medizinischen Laboren: Bedrohung oder Chance für die Diagnostik von morgen?

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.05.04

Der Fachkräftemangel macht auch vor dem Labor nicht halt: Es fehlen sowohl Medizinische Technolog:innen als auch Fachärzt:innen für Laboratoriumsmedizin sowie Naturwissenschaftler:innen. Hier sind innovative Ansätze gefragt, um das Fachgebiet Labormedizin zu stärken. Mitglieder der AG Junge Ärztinnen und Ärzte des ALM e. V. sowie der Sektion Junges Labor der DGKL beleuchten verschiedene Ansatzpunkte und werfen einen Blick in die Zukunft.

Schlüsselwörter: Work-Life-Balance, Sichtbarkeit, Berufseinstieg, Arbeitskultur, Health Education

In der Welt der Medizin sind Labore wie unsichtbare Motoren, die die Diagnostik, Patientenversorgung und Forschung vorantreiben. Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland und Europa droht dieser Motor ins Stottern zu geraten, da immer mehr qualifiziertes Personal fehlt. Dieser Fachkräftemangel macht sich auf allen Ebenen im Labor bemerkbar. Während ungelernte Hilfskräfte noch vergleichsweise einfach zu akquirieren sind, droht eine starke Unterversorgung der Labore an gut ausgebildeten Medizinischen Technolog:innen (MTL). Genauso schwer gestaltet sich mittlerweile auch die Besetzung von Stellen im akademischen Bereich. Neben Fachärzt:innen für Laboratoriumsmedizin fehlt es auch an entsprechend weitergebildeten Naturwissenschaftler:innen bzw. Klinischen Chemiker:innen. 2023 sind laut Ärztestatistik ca. 35 % der Fachärzt:innen für Laboratoriumsmedizin über 60 Jahre alt. Der Anteil an über 50-Jährigen beträgt ca. 70 %. Demgegenüber ist der Anteil an Fachärzt:innen unter 35 Jahren mit ca. 2,3 % verschwindend gering. Fragt man Medizinstudierende, so ist vielen gar nicht bewusst, dass es eine eigenständige Weiterbildung in der Labormedizin gibt. Dies wirft die dringende Frage auf, wie wir diese für die Patientenversorgung kritischen Berufe für zukünftige Generationen attraktiver gestalten können und inwieweit eine Unterstützung durch entsprechend ausgebildete Naturwissenschaftler:innen möglich ist.

Sollte es uns nicht gelingen, das Fach mehr in den Fokus der Öffentlichkeit, der Studierenden und der fachlichen Kolleg:innen zu rücken und dem Nachwuchsmangel wirkungsvoll entgegenzuwirken, so wird dies weitreichende Konsequenzen für die Labormedizin und damit für die gesamte Patientenversorgung nach sich ziehen. Wie wird das Fach in Zukunft repräsentiert und weiterentwickelt werden, wenn ausgeschriebene Professuren nur schwer oder gar nicht besetzt werden können? In diesem Artikel beleuchten wir innovative Ansätze zur Personalgewinnung und -bindung und diskutieren, wie technologische Fortschritte dazu beitragen könnten, eine sichere Patientenversorgung zu gewährleisten.

 

Vereinbarkeit von Privatleben, Familie und Beruf

Die Vereinbarkeit von Privatleben, Familie und Beruf stellt aktuell sicherlich den größten Konflikt für die junge arbeitende Generation dar. Die Work-Life-Balance als Teil einer gesunden und nachhaltigen Lebensweise rückt immer mehr in den Fokus. Eine gerechte Vergütung, insbesondere für die Arbeit zu ungünstigen Zeiten zur Aufrechterhaltung einer 24/7-Notfallversorgung, sowie eine lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung sind heutzutage wichtiger denn je. Erwerbstätigkeit und Care-Arbeit werden zunehmend gleichberechtigt ausgeübt. Dies erfordert ein hohes Maß an Organisation und Verständnis. Arbeit in Teilzeit ist häufig unvermeidbar, um den familiären Belastungen gerecht zu werden. Flexibilität bei der Arbeitsalltagsgestaltung und mobiles Arbeiten sind daher essenziell. Viele Unternehmen unterstützen bereits mit kreativem Engagement ihre Mitarbeitenden. Betriebs-Kitas, ein ergänzendes Kindergeld, zusätzliche Kinderkrankentage, Betreuungsangebote für die Ferienzeit, Familienurlaub zur Geburt eines Kindes, Stillfreundlichkeit im Labor, Unterstützung beider Elternteile bei Elternzeit und Wiedereinstieg, ein betriebliches Gesundheitsmanagement, Hilfe bei der Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen sowie Benefits für Mitarbeitende werden zunehmend realisiert. Die Arbeitgeber springen hier allerdings auch für politische Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte ein. Der Protest an die Verantwortung der Politik zur Realisierung nachhaltiger Betreuungs- und Pflegekonzepte muss noch viel lauter werden.

 

Sichtbarkeit der Labormedizin

Viele der oben genannten Möglichkeiten lassen sich schon jetzt mit einer Tätigkeit im Labor vereinbaren, besonders im Vergleich zu anderen Berufsfeldern in der Medizin. Nur, wie lassen sich die fachlichen und alltäglichen Vorzüge der Laborberufe bekannter machen? Die junge, digitale Generation begegnet ihren Vorbildern und Influencern online via Social Media. Die Leistung der Labore, die zuverlässig eine qualitativ hochwertige Diagnostik in der Patientenversorgung sicherstellen, ist im Fokus der Öffentlichkeit und auch bei unseren Kolleg:innen im Gesundheitswesen stark unterrepräsentiert. Um fachlichen Nachwuchs für unser Fach zu gewinnen, muss die Sichtbarkeit der Laborberufe grundlegend verbessert werden. Wir als Gesichter und Persönlichkeiten der Labormedizin müssen analog und digital die Türen zu unseren Laboren öffnen. Eine zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit, um potenzielle Fachkräfte während des Studiums oder der Ausbildung zu erreichen, ist hierfür entscheidend, denn die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist groß.

Erleichterung des Berufseinstiegs

Der Abbau von bürokratischen Hürden ist für einen leichteren Berufseinstieg in die Labormedizin dringend erforderlich. Medizinstudierende müssen Famulaturen oder das praktische Jahr in der Labormedizin deutschlandweit in ambulanten und Krankenhauslaboren ableisten können. Aktuell ist dies aufgrund der Vorgaben der Landesprüfungsämter nur an einzelnen universitären Einrichtungen möglich. Die Laborfächer müssen stärker in der universitären Lehre und Forschung verankert werden und labormedizinische Lerninhalte in der ärztlichen Approbationsordnung. Außerdem muss die strukturierte postgraduale Aus- und Weiterbildung von Naturwissenschaftler:innen gestärkt werden, um ein vergleichbares und einheitliches Qualifikationsniveau zu erreichen. Die Anerkennungsverfahren ausländischer Abschlüsse im technischen, ärztlichen und naturwissenschaftlichen Bereich wie auch der Quereinstieg aus anderen Fachberufen stellen sich immer noch als äußerst aufwendige und langwierige Prozesse dar. Eine Shorttrack-Ausbildung von der Qualifikation der biologisch-technischen (BTA)- oder chemisch-technischen Assistent:innen (CTA) zur MTL existiert bisher noch nicht. Hier muss dringend nachjustiert werden.

Arbeitskultur und Werte

Ein weiteres Schlüsselelement zur Gewinnung von neuen, aber auch zur Verankerung des bestehenden Personals sind die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Aus- und Weiterbildung, gegenseitige Wertschätzung sowie die Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Berufe in der Medizin sind mit dem höchsten Maß an Verantwortung verbunden. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an die Qualität der Aus- und Weiterbildung. Unsicherheit, Personalmangel, Zeitdruck wie auch psychische und physische Belastungen können zur Gefährdung der Patientenversorgung und zu wachsender Unzufriedenheit bei den Mitarbeitenden führen. Eine offene Fehlerkultur sowie Partizipationsmöglichkeiten sind in den Laboren daher dringend notwendig.

Im privaten und beruflichen Kontext sind für die junge Generation Nachhaltigkeit, Gleichberechtigung und Diversität elementare Grundvoraussetzungen. Traditionelle Führungsmodelle mit starren Hierarchien sind überholt. Die junge Generation wünscht sich eine Führung auf Augenhöhe und Transparenz. Es besteht der Wunsch, in Prozesse und Entscheidungen in Form eines Shared Decision Making mit einbezogen zu werden. Ein regelmäßiger Perspektivenaustausch und Job-Sharing-Modelle bieten ein großes Potenzial für Innovationen, Umdenken und gegenseitiges Lernen, das aktuell noch zu wenig ausgeschöpft wird.

 

Ausblick: Health Education, Prävention und Digitalisierung

Prävention und individuelle Therapiekonzepte werden das Gesundheitswesen von morgen bestimmen. Health Education und die diagnostische Medizin werden hierzu das Fundament bilden. Die Labordiagnostik sollte im Fokus der Prävention und der individuellen Medizin einen noch höheren Stellenwert einnehmen. Wir als junge Generation werden die erforderlichen Entwicklungen für eine Labor­medizin der Zukunft weiter vorantreiben. Für uns gehören Digitalisierung, Robotik und Künstliche Intelligenz (KI) zunehmend zu unserem (Labor-)Alltag. Unser Fach zeichnet sich in der Medizin schon immer als Vorreiter in der Nutzung technischer Innovationen einschließlich Digitalisierung und der Anwendung von KI aus. Diesen Vorsprung müssen wir nutzen. Akut gilt es, Use Cases in den Laboren zu identifizieren, KI-Anwendungen rechtlich zu verankern, Robotorsysteme zu trainieren, Daten­sicher­heit zu gewährleisten und Inter­operabilität zu ermöglichen. Entscheidend ist hierbei auch, allen Mitarbeitenden einen einfachen Zugang zu vielversprechenden Innovationen zu ermöglichen. KI wird nicht nur eine entscheidende Rolle in der Diagnostik, sondern auch in unserer Ausbildung einnehmen und zu einer Optimierung von Arbeitsprozessen führen. Auf diese Weise kann in naher Zukunft eine effiziente Entlas­tung unserer Arbeitsprozesse und unseres Personals bei einer gleichzeitigen Qualitätssteigerung gelingen. Je moderner, digitaler, interoperabler und innovativer sich die Labormedizin entwickeln und präsentieren wird, desto attraktiver wird sie auch für junge Fachkräfte sein.

Insgesamt wird die Bewältigung des Fachkräftebedarfs keinesfalls ein einfacher Prozess. Neben Ausdauer und Hartnäckigkeit sind vor allem auch eine Veränderung von Perspektiven und Mut zu neuen Heran­gehensweisen gefragt. Verschiedenste der genannten Ansätze müssen parallel verfolgt und kontinuierlich reevaluiert werden, um die vielversprechenden Chancen voll ausschöpfen zu können. Rollenbilder und Strukturen werden sich verändern. Vor allem sollte der akademische, aber auch der nichtakademische Labornachwuchs in diese Prozesse aktiv mit einbezogen werden. Ein offener Dialog, innovative Konzepte sowie adäquate Aus- und Weiterbildungs­angebote werden die Schüsselelemente für eine gelungene Transformation für eine Labormedizin der Zukunft sein. Als Labornachwuchs treten wir diese Herausforderung optimistisch an.

Autoren
Dr. med. Nathalie Winkler
AG Junge Ärztinnen und Ärzte des ALM e. V.
Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH
Dr. med. Justin Rothschuh
AG Junge Ärztinnen und Ärzte des ALM e. V.
Labor 28 MVZ GmbH, Berlin
Dr. med. Jakob Adler
Sektion Junges Labor der DGKL
IMD Institut für Medizinische Diagnostik
Berlin-Potsdam GbR sowie IHP Institut für Hämostaseologie und Pharmakologie Berlin
Dr. troph. Ronald Biemann
Sektion Junges Labor der DGKL
Universitätsklinikum Leipzig AöR
Institut für Laboratoriumsmedizin Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik
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