Integrierte Lösungen am Point of Care: Traditionelles Konzept für eine aktuelle Herausforderung

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.05.02

Um dem Fachkräftemangel im Labor zu begegnen, werden im Krankenhausbereich bereits seit Längerem Point-of-Care-Lösungen erfolgreich eingesetzt. Entscheidend sind hierfür eine gute Schulung des Personals sowie ein Qualitätssicherungskonzept. Eine Anbindung der Geräte an das Labor- oder Krankenhausinformationssystem ist unbedingt notwendig. Trotz der Zusatzaufgabe, die die Point-of-Care-Analytik für das Pflegepersonal mit sich bringt, kann die schnellere Abarbeitung der Behandelten eine erhebliche Entlastung bedeuten.

Schlüsselwörter: POC, Medizinischer Technologe, Notdienst, Präanalytik, Postanalytik, Middleware

Der Fachkräftemangel im Bereich der Medizinischen Technolog:innen (MT) ist regional unterschiedlich stark ausgeprägt. Besonders gravierend wirkt er sich auf die Versorgung mit Laborleistungen für kleinere Krankenhäuser in dünn besiedelten Gegenden sowie in den Randgebieten Deutschlands aus. Die eigene langjährige Erfahrung als Laborleiter im äußersten Südosten Deutschlands hat gezeigt, dass es immer schwieriger wird, einen 24-Stunden-Betrieb mit ausgebildeten Laborfachkräften (MTL) sieben Tage pro Woche an allen Standorten aufrechtzuerhalten.

Verschiedene ungünstige Faktoren wie etwa der demografische Wandel, die mangelnde Attraktivität strukturschwacher Gegenden als Wohnort oder das ständig abnehmende Angebot an Ausbildungsplätzen wirken hier zusammen. Geschätzt wird ein Zusatzbedarf an MTL bis 2030 von ca. 4.000 Vollzeitkräften. Laut Studie setzt sich diese Zahl aus dem altersbedingten Ersatzbedarf und fallzahlenbedingten Zusatzbedarf zusammen [1].

Unter diesen Umständen wird das Angebot an Fachkräften für die Aufrechterhaltung des Tagdienstes unter der Woche gerade noch ausreichen, aber für den Nacht- und Wochenenddienst sind dann nicht mehr genügend Kapazitäten an allen Standorten vorhanden. Ziel muss es daher auch sein, die Labore sichtbarer zu machen, um im von McKinsey ausgerufenen „War for Talents“ bei den „Millennials“ und der „Generation Z“ zu punkten.

 

Notfallkonzepte

Im ganzen Land entstehen zunehmend Notfallkonzepte, durch die die Laboranalytik so weit wie möglich zentralisiert und das Vakuum in der Peripherie ohne Fachpersonal gefüllt werden soll. Probentransport mit Drohnen und Vor-Ort-Analytik mit Robotern sind zwei technische Lösungen, die derzeit zwar Schlagzeilen machen, aber vielfach noch im Erprobungsstadium stecken oder an bürokratischen Hürden scheitern. Der Point-of-Care(POC)-Ansatz, den wir am InnKlinikum in Südostbayern seit nunmehr zwanzig Jahren verfolgen, um eine qualitativ hochwertige 24/7-Labordiagnostik zu gewährleisten, ist eher traditionell.

Dies war und ist bis heute aus zwei Gründen nicht einfach: Zum einen müssen Pflegekräfte ausgebildet und motiviert werden, das „MTL-Vakuum“ zu füllen, und zum anderen sind die von den IVD-Herstellern angebotenen Point-of-Care-Testing(POCT)-Lösungen nicht dafür konzipiert, die Vollversorgung eines Krankenhauses mit dem gesamten Spektrum benötigter Tests vom Hämoglobin und Kalium bis zum Troponin und TSH zu gewährleisten.

 

Vorbehaltene Tätigkeiten

In der Nacht oder/und am Wochenende ist das Labor in der Peripherie geschlossen. Wie bei uns übernimmt dann oft die Notaufnahme oder eine andere bettenführende Einheit die Analytik mit POCT-Systemen. Das ist mittlerweile gut darstellbar und mit einem ordentlichen Qualitätsmanagement auch sehr sicher durchzuführen. Problem bei diesen Lösungen ist dann aber besonders oft die Immunhämatologie – also die Be­arbeitung der Blutgruppenbestimmungen und der serologischen Verträglichkeitsproben (Kreuzproben) – die den MTL vorbehaltene Tätigkeiten sind. Laut MT-Berufe-Gesetz (MTBG) dürfen diese Untersuchungen nur von einem sehr eingeschränkten Personenkreis durchgeführt werden. Eine richtlinienkonforme Bearbeitung der immunhämatologischen Untersuchungen ist derzeit allein im POCT-Bereich nicht möglich. Denkbar sind jedoch Konzepte in Verbindung mit immunhämatologischen Laboratorien in einer gewissen geografischen Nähe.

 

Analytisches Spektrum am POC

Die Schwerpunkte der Analytik sind darum die Klinische Chemie, die Hämatologie und die Immunchemie. Das Spektrum umfasst oft ein Blutbild, das C-reaktive Protein (CRP), hochsensitives Troponin (hs-Troponin), D-Dimer und Thyroidea stimulierendes Hormon (TSH) sowie die Blutgase, die Basisgerinnung und nach Möglichkeit die Gamma-Glutamyl-Transferase (GGT), Alkalische Phosphatase (AP) und Lipase. Auch POCT-Geräte für den molekulardiagnostischen Nachweis von Infektionserregern sind in den Einheiten bereits zu finden – seit der Coronavirus-Pandemie vermehrt.

 

Weiterentwicklungen

Die Technik für das POCT wird leider nur sehr langsam weiterentwickelt. Eine gewisse Evolution erleben wir bei den Blutgasgeräten, die dank eines erweiterten Spektrums einen erheblichen Teil der am POC benötigten Analytik in weniger als einer Minute abarbeiten können. Das Spektrum umfasst unter anderem die Elektrolyte Na, K und Ca, Substrate wie etwa Glukose, Laktat, Harnstoff und Kreatinin sowie Hämoglobin und seine Derivate [2].

Generell kann festgestellt werden, dass derzeit die POCT-Geräte auf sehr heterogenen Plattformen angeboten werden. Das reicht vom einfachen Handgerät („hand-held“) für die Glukosemessung über Geräte, die deutlich mehr Platz beanspruchen. Sie haben Technik an Board, die man auch in Laborgeräten des Zentral­labors findet, bis hin zu hochtechnisierten Einheiten mit Applikationen wie dem Nukleinsäurenachweis mittels PCR.

Damit ist auch die Problematik verbunden, dass das Bedienpersonal mit einer großen Vielfalt an Gerätetypen und Techniken arbeiten muss. Dies bedeutet ein hohes Maß an Flexibilität bei der Abarbeitung für Einzelaufträge – mit entsprechend hohem Schulungsbedarf und deutlich mehr „Berührungssorgen“ der Bedienenden. Ein entscheidender Vorteil für uns wäre eine Plattform, die mit einer Probeneinbringung in einem einzigen Bedienvorgang eine Vielzahl der geforderten Parameter gleichzeitig bestimmen kann und damit erheblich zur Akzeptanz und Bedienerfreundlichkeit beitragen würde.

 

Präanalytik

Die Hauptprobleme für das Pflegepersonal ergeben sich im präanalytischen Bereich: Welches Material für welche Untersuchung und welches Gerät? Mischen der Probe vor der Messung? Richtige Abnahme – also zum Beispiel Röhrchen korrekt gefüllt oder nicht geronnen bei antikoagulierten Proben? Richtige Dosierung und Handhabung der Testmaterialien und Geräte? RiliBÄK eingehalten und aktuell bewertet? Um all dies ordentlich abzubilden, sind ein hoher Aufwand, sehr viel Schulung und ein vorschriftsmäßiges POCT-Qualitätsmanagement notwendig. Eine POCT-Kommission, die sich aus Verantwortlichen von Labor und Klinik zusammensetzt, ist unabdingbar!

 

Postanalytik

Bleibt nach der größtenteils automatisierten und störungsfreien Analytik noch die Postanalytik. Ohne Middleware, die die Messwerte der angeschlossenen Analysegeräte zusammenfasst, verarbeitet und in das Laborinformationssystem (LIS) bzw. ins Klinikinformationssystem (KIS) übermittelt, ist die Bewertung der Ergebnisse auf Station nur schwer möglich.

Auch hier sei ein frommer Wunsch erlaubt: Die Schnittstellen der einzelnen POCT-Geräte sind ähnlich heterogen wie die Geräte selbst. Ein echter Standard wäre ein richtiger Gewinn. Derzeit gibt es Anschlüsse von USB über seriell bis RJ45 oder auch drahtlos. Die Übertragungsprotokolle sind sehr unterschiedlich, und es ist immer wieder ein Aha-Erlebnis, wenn das Zeichen „µ“ zu „Ä#u“ oder Ähnlichem mutiert und dann nicht richtig übertragen wird.

Die Referenzintervalle der POCT-Methoden unterscheiden sich häufig von denen im Zentrallabor, und auch die Wertelage ist deshalb oftmals eine andere. Beispielsweise wird im Zentrallabor Gesamtkalzium, auf dem POC-Gerät jedoch ionisiertes Kalzium gemessen, dessen Werte nur etwa halb so hoch liegen. POCT-Methoden müssen daher in der Befundansicht unbedingt gesondert mit eigenen Entscheidungsgrenzen auch im Verlauf dargestellt werden. Auf die Behandelnden kommt somit eine größere Verantwortung bei der Validierung der Ergebnisse zu. Wichtig wäre bei der Befundansicht auch, dass Meldungen des Messgeräts angezeigt werden (zu wenig Probe, Messwert größer oder kleiner als Messbereich, hämolytisch/lipämisch usw.)

Der technische Aufwand für die Pflege bleibt dabei gering. Vorbereitung und Probenzuführung sind sehr einfach und in kurzer Zeit zu bewältigen. Die Pflegekraft muss auch nicht am Gerät stehen bleiben, denn nach Fertigstellung der Analytik werden die Ergebnisse automatisch übertragen.

 

Entlastung der Behandelnden

Auch wenn diese Zusatzaufgaben für das Pflegepersonal eine Mehrbelastung bedeuten, ergibt sich durch die Einführung eines POCT-Konzepts auch eine erhebliche Entlastung. Durch die extrem schnelle Analytik stehen den Behandelnden oft schon während der Anamnese die Ergebnisse zur Verfügung. Laut Definition der POC-Analytik kann das umgehend therapeutische Konsequenzen nach sich ziehen, was eindeutig dem Outcome zugutekommt und die Aufenthaltszeiten in der Notaufnahme deutlich verkürzt. Dies führt zu einer besseren Patientenlogistik und auch zu einer Reduktion der Belastung für das Pflegepersonal. Das erlebe ich in den Gesprächen immer wieder.

 

Ausblick

Der Fachkräftemangel im medizinisch-technischen Bereich ist kein wirklich neues Phänomen, hat sich jedoch in den vergangenen zehn Jahren beschleunigt. Das hier vorgestellte Konzept, das weiterhin auf Menschen statt Roboter setzt, kann dazu beitragen, dass sich die Situation stabilisiert. Wenn wir gezwungenermaßen an kleineren Standorten keine Nachtdienste oder Wochenendzeiten besetzen können, werden die Arbeitsbedingungen im Labor attraktiver, weil Arbeitszeiten besser mit der Freizeit koordiniert werden können. Und das ist den Arbeitskräften der Zukunft sehr wichtig. So kann die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, gepaart mit der zweifelsfrei sinnstiftenden Arbeit im medizinischen Labor, ein echtes Pfund in der Akquise neuer MTL sein.