Fachkräftemangel bei den Medizinischen Technolog:innen für Laboratoriumsanalytik (MTL): Wie tief ist die Schnittwunde?

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.05.06

Viele Labore haben aktuell Probleme, frei werdende Stellen von Medizinischen Technolog:innen neu zu besetzen. Glaubt man dem Gutachten des Deutschen Krankenhausinstituts, wird sich die Situation bis zum Jahr 2030 noch weiter verschärfen. Das Gesetz für Medizinische Technolog:innen in der Laboratoriumsanalytik stellt Labore vor große Herausforderungen, bietet aber auch Chancen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Ein gemeinsames Handeln von Laboratorien als Ausbildungsbetrieben, der Berufsfachschulen für Medizinische Technolog:innen und der Politik wäre in diesem Kontext sehr wünschenswert.

Schlüsselwörter: MTL, MTV, MTAG, MTAPrV, Praxisanleitung, Studiengang, Biomedizinische Analytik

Zieht man sich eine Schnittwunde zu, so möchte man zunächst wissen, wie tief die Wunde ist und welche Art von Erste-Hilfe-Maßnahmen notwendig ist: Kann der Schnitt selbstständig versorgt werden, oder bedarf es professionalisierter Hilfestellung, die dann auch mit einem finanziellen Aufwand verbunden ist und einen längeren Heilungsprozess nach sich zieht.

Dieses Bild lässt sich auf die aktuelle Situation der Berufe im Gesundheitswesen übertragen – insbesondere auf das Berufsfeld der Medizinischen Technolog:innen (MT), wo die Akquise von Auszubildenden und damit einhergehend der zukünftigen Fachkräftegewinnung bzw. Fachkräfteausbildung in den vergangenen Jahren fast ausschließlich den Berufsfachschulen für MT für Laboratoriumsmedizin (MTL-Schulen) oblag und potenzielle Arbeitgeber davon profitieren konnten.

 

Ausgangssituation

Seit Jahren stellen veränderte Rahmenbedingungen in Politik und Gesellschaft sowie die digitale Transformation und Entwicklungen in Medizin und Technik das Gesundheitswesen vor große Herausforderungen. In den kommenden Jahren – bis 2035 – werden laut einer Studie von PwC Deutschland etwa 1,8 Millionen Stellen im Gesundheitswesen nicht besetzt werden können [1]. Betrachtet man allein die Zahlen in deutschen Krankenhäusern, so waren im Jahr 2021 ca. 960.000 Vollzeitkräfte (VK) beschäftigt, davon gehörten etwa 780.000 VK dem Berufsstand der Gesundheitsberufe an. Die statistische Erhebung zeigt noch einen stetigen Anstieg der Beschäftigten in den Jahren bis 2021[2].

In den Laboratorien der Krankenhäuser zeigt sich für das Berufsbild der MTL hingegen ein anderes Bild. Laut Gutachten des Deutschen Krankenhausinstituts von 2019 ist die Zahl der in den Krankenhäusern beschäftigten MTL um 1.300 auf 18.500 gesunken. Ein gewisser Anteil der Personen ist aufgrund des Outsourcings der Labore aus den Kliniken ausgeschieden. Ein weiterer Faktor ist die Demografie: Ungefähr 25 % der in Krankenhäusern beschäftigten MTL sind 60 Jahre und älter. Die Studie ergab, dass bereits 24 % der Krankenhäuser Probleme bei der Besetzung von MTL-Stellen hatten [3]. Weiterhin zeigte sich nach Auswertung des Gutachtens, dass bis 2030 ein Mehrbedarf an MTL von ca. 6.100 Beschäftigten bestehen wird. Diese Anzahl wird weiterhin steigen, da die Strategie der Kliniken in der aktuellen Situation wieder auf Insourcing oder Kooperationen mit Laborverbünden setzt. Laboratoriumsdiagnostik wird als Rückgrat der medizinischen Versorgung gesehen, und es bedarf zunehmend qualifiziert ausgebildeter MTL, um die Qualität der Diagnostik aufrechtzuerhalten.

Dieses Bild spiegelt sich ebenso im Branchenmonitoring von Rheinland-Pfalz wider. Das Branchenmonitoring, beauftragt vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz (RLP) und durchgeführt vom Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK, Frankfurt), informiert alle fünf Jahre über die Entwicklung im Sektor der Gesundheitsberufe – etwa über die Fachkräftesituation und Fachkräftesicherungsmaßnahmen sowie über die Ausbildungsstättenplanung und Ausbildung in den 18 bundes- und landesrechtlich geregelten Gesundheitsfachberufen [4]. Mit der Gegenüberstellung von Fachkräfteangebot und -nachfrage liefert das Webportal ein umfassendes Bild zur Situation in Rheinland-Pfalz, was durchaus auf das Bundesgebiet Deutschland erweitert werden kann. Das Monitoring zeigt, dass bis zum Jahr 2035 ca. 740 MTL in RLP für die Laboratoriumsanalytik fehlen. In 2020 belief sich die Zahl der Auszubildenden für Laboratoriumsanalytik allein in RLP an den fünf MTL-Schulen auf 220 [4]. Betrachtet man die Anzahl der Auszubildenden an den 76 MTL-Schulen in Deutschland, dann zeigt sich, dass sich die Zahl von 2018 auf 2019 um über 200 % erhöht hat (Abb. 1a).

Dieser Sprung ist allein darauf zurückzuführen, dass im Jahr 2019 deutschlandweit eine Ausbildungsvergütung und die Schulgeldfreiheit eingeführt wurden. Dieses zahlenmäßig hohe Niveau an Auszubildenden hat sich in den vergangenen vier Jahren gehalten, wenngleich bezüglich der Anzahl der Absolvent:innen in den Jahren von 2020 bis 2023 ein Rückgang von 8 % (Abb. 1b) zu verzeichnen war.

Dieser Rückgang kann unter anderem durch die Komplexität der Ausbildung, die fehlenden beruflichen Karrierechancen im Berufsfeld MTL oder den Wechsel in einen Studiengang begründet sein. Ein weiterer Grund könnten durch die Coronavirus-Pandemie bedingte Ausbildungsabbrüche sein: Einige Auszubildende kamen mit den digitalen Unterrichtsformen nicht zurecht (hier liegen allerdings noch keine validen statistischen Daten vor).

In Deutschland sind insgesamt 70.485 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Medizinische Technolog:innen für Laboratoriumsanalytik angestellt. Der Anteil an beschäftigten MT für Veterinärmedizin (MTV) beläuft sich auf 1.011 Personen, die nicht nur in veterinärmedizinischen, sondern auch in den unterschiedlichsten medizinischen Laboratorien tätig sind [2].

In Abb. 2 ist zu erkennen, dass in den nächsten zehn Jahren altersbedingt ungefähr 20.000 MTL bzw. MTV in den Ruhestand gehen werden, was einen Rückgang von 28,4 % bedeutet [2].

Der Frauenanteil ist in den MT-Berufen immer noch dominierend: Nach statistischer Aufstellung sind 87,5 % der sozialversicherungspflichtig beschäftigten MTL Frauen. Ein Großteil der Frauen arbeitet in Teilzeit. Laut einer Erhebung der Berufsangehörigen der MT für Radiologie sind hier 45,8 % in Teilzeit angestellt; weitere 15,7 % planen zu reduzieren [5]. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Zahlen bei den MTL ähnlich sind. Derartige Tendenzen zeigen sich auch in anderen Gesundheitsberufen. Sie sind seit einigen Jahren bekannt, in diversen Gutachten publiziert sowie politisch und gesellschaftlich veröffentlicht.

Diese statistischen Zahlen zeigen deutlich, dass die Wunde schmerzt und dass gemeinsam Lösungen entwickelt werden sollten, um die Gesamtversorgung diagnostischer Leistungen zu sichern.

Neues MT-Berufe-Gesetz: Chancen

Mit dem Gesetz für Medizinische Technolog:innen in der Laboratoriums­analytik (MTAG) vom Februar 2021 sowie der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (MTAPrV) vom September 2021 wurden zahlreiche Änderungen der Ausbildung wie auch des Berufsfeldes vorgenommen, um den zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden. Neben der Namensänderung sind weitere wichtige Punkte im MT-Berufe-Gesetz mitaufgenommen, die eine Stärkung der interprofessionellen und interdisziplinären Kommunikation sowie die Zusammenarbeit auf Augenhöhe in den verschiedenen Fachbereichen aufzeigen. Mit der Erweiterung der Stunden an praktischer Ausbildung von 1.730 (MTAG von 1993) auf 2.000 Stunden (MTAG von September 2021) wird der Modernisierung und damit der engeren Verzahnung der theoretischen und praktischen Ausbildung an MT-Schulen mit der praktischen Ausbildung im Labor Rechnung getragen. Dabei muss beachtet werden, dass die geforderten 2.000 Stunden praktische Ausbildung aus der MTAPrV (von 2021) auf die unterschiedlichen Kompetenzbereiche und damit auch unter den Laboratorien aufzuteilen sind (Vorgaben s. MTAPrV Anlage 6 Teil A). Diese Stunden, abzüglich der 120 Stunden interprofessionelles Praktikum, müssen vorerst bis 2030 nach MTBG (MTBG § 19 Abs. 2) von qualifizierten praxisanleitenden Personen im Umfang von mindestens 10 % (in NRW und Sachsen mindestens 15 %) begleitet werden. Nach 2030 erfolgt die Erweiterung auf mindestens 15 % der praktischen Anleitung. Diese Aufgaben bedeuten für einige Laboratorien wie auch MT-Schulen eine Herausforderung, da sie einschneidende Veränderungen mit sich bringen. Es werden nun pädagogische und didaktische Anforderungen an MTL als praxisanleitende Personen in der Diagnostik gestellt – Themen, mit denen sich in der praktischen Ausbildung der vergangenen Jahre nur teilweise auseinandergesetzt wurde. Auszubildende müssen jetzt noch aktiver als bisher in die Prozesse einbezogen werden und sollen nicht den „Zuschauermodus“ einnehmen. Die strukturierte Begleitung der Auszubildenden in der praktischen Ausbildung sowie die Verknüpfung theoretisch fundierten Wissens mit berufsspezifischen Aufgaben werden zukünftig insgesamt die Qualität der Ausbildung verbessern sowie die Lern- und Lehrprozesse unterstützen. Um den regelmäßigen Austausch zwischen praxisanleitenden Personen und Auszubildenden sowie ihre Kompetenzentwicklung und das Lernverhalten intensiver zu beobachten, werden seitens der MTL-Schulen Lehrende als Praxisbegleiter (lt. MTAPrV § 9) eingesetzt.

Damit eine Person in der Praxisanleitung eingesetzt werden kann, müssen sich das Tätigkeitsprofil und damit auch die Rolle dieser Person ändern. Eine gut angeleitete praktische Ausbildung bietet somit eine Chance für Arbeitgeber und Arbeitnehmer:innen, sich intensiver mit den Auszubildenden auseinanderzusetzen und Letztere bereits in der Ausbildungsphase an die Laboratorien zu binden. Laboratorien stehen mit ihren neuen Aufgaben und der verstärkten Rolle eines Ausbildungsbetriebs mehr als vor der Ausbildungsnovellierung im Fokus der zukünftigen Arbeitnehmer/-innen. Wenn die Absolvent:innen nach der veränderten Ausbildung direkt in die Laboratorien übernommen werden, müssen voraussichtlich keine wesentlichen zeitlichen Ressourcen zur Einarbeitung aufgebracht werden.

Das MT-Berufe-Gesetz zeigt mit seinen Ausbildungszielen auch auf, dass die Ausbildung ein gutes Fundament für weitere Entwicklungen, zum Beispiel in den Bereichen Robotik, Künstliche Intelligenz und Biotechnologie, bietet. Das Berufsbild der MTL wird mit der Ausbildung und den zukünftigen Anforderungen insgesamt ein verändertes Rollenbewusstsein erfahren, in dem Qualität und Evidenz grundlegende Elemente in einer verantwortungsvollen gesicherten Patientenversorgung darstellen [6].

 

Handlungsoptionen für eine zukunftsfähige Diagnostik

Veränderungen brauchen Zeit. Doch haben Laboratorien diese Zeit? Und an welchen Stellschrauben muss gedreht werden, damit es gelingt, Fachkräfte zu binden? Ein Blick auf Umfragen unter jungen MTL-Absolvent:innen vom Juni 2023 hat gezeigt, dass der Anspruch an die Berufswelt sich in einigen Punkten verändert hat. Zukünftige Arbeitnehmer:innen erwarten beispielsweise den Austausch auf Augenhöhe; das bedeutet unter anderem, dass sie bei relevanten Entscheidungen in der Diagnostik oder in Fallkonferenzen miteinbezogen werden möchten. Ebenso wird eine wertschätzende Kommunikation erwartet, aber auch die Anerkennung und Unterstützung von Weiterbildungen, die im Berufsfeld der MTL Karriereplanungen ermöglichen. Dazu gehören Studiengänge für das Fach Biomedizinische Analytik, die bei all unseren europäischen Nachbarn bereits seit Jahren etabliert sind. Deutschland ist mittlerweile das einzige Land in der EU ohne diesen Mehrwert im Handlungsfeld der biomedizinischen Analytik.

Ebenso werden Wünsche zu veränderten und individuell angepassten Arbeitszeiten sowie nach Teilzeitbeschäftigung geäußert, die die private Situation (Familie, Kinder etc.) berücksichtigen. Seit etwa zwei Jahren ist zudem das Thema Nachhaltigkeit und deren Umsetzung in den MTL-Berufen virulent und wird bei der Wahl des zukünftigen Arbeitgebers beachtet [7].

Um MTL-Fachkräfte für das Berufsfeld zu akquirieren, müssen zukünftig alle gemeinsam – Träger, Kooperationspartner der Ausbildungen und MT-Schulen – Ressourcen für mehr Marketing­kampagnen einsetzen. Nur so kann die Zahl der Bewerber:innen gesteigert und der Beruf in der Öffentlichkeit präsenter werden. In der Vergangenheit wurden MTL entweder über Anzeigenschaltungen in Fachzeitschriften und Onlineportalen oder über direkte Verbindungen zu MT-Schulen angeworben. Das spiegelte sich auch in den monatlichen statistischen Arbeitsmarktdaten nach Zielberufen für Arbeitslose, Arbeitssuchende und gemeldete Arbeitsstellen der Bundesagentur für Arbeit (BA) wider [8]. Ihnen zufolge gab es für die MT-Berufe keinen Fachkräftemangel. Der Bedarf wurde an die Arbeitsagenturen seitens der Arbeitgeber nicht gemeldet. Das Resultat war schließlich, dass die MT-Berufe keine Beachtung in Projekten zur Fachkräftemangelbehebung fanden. Selbst Forderungen seitens des DVTA e. V., Ausbildungsplätze zu schaffen, wurde nicht nachgekommen. Im Gegenteil: Ausbildungsplätze wurden gestrichen und MT-Schulen geschlossen. Jetzt muss dringend gegengesteuert werden.

Marketingmaßnahmen sowie Präsenz auf Jobmessen oder andere Maßnahmen, die in Industrie und Handwerk bereits seit Langem durchgeführt werden, sollten dringend in Prozessplanungen von Laboratorien mitaufgenommen werden.

Ein weiterer Punkt ist die Unterstützung von Anerkennungsverfahren von Personen, die aus anderen EU-Staaten oder Drittstaaten zu uns kommen. Hier ist der Bedarf an Nachqualifikationen sehr hoch. Verantwortliche der MTL-Schulen und Laboratorien sowie Verantwortliche aus politischen Gremien und Ministerien sollten sich an einen Tisch setzen und gemeinsam gesetzeskonforme Lösungen entwickeln. Sprachliche und teilweise fachliche Hürden sind hier häufig die größten Hindernisse, um Qualifikationen für das Berufsfeld MT in Deutschland erreichen zu können. Sprachbegleiter:innen in den Laboratorien oder Begleitseminare müssten verstärkt angeboten werden, um Nichtmuttersprachler:innen den Einstieg in Ausbildung und Beruf zu ermöglichen.

Ausblick

Wenn wir gemeinsam die Herausforderungen des Fachkräftemangels bei MTL bewältigen wollen, so müssen wir im Berufsleben und den schulischen Ausbildungen flexibler agieren. Wir brauchen sowohl Spezialist:innen in unseren Fachbereichen als auch diejenigen, die über ihre Spezialisierungen hinaus weitere Kompetenzbereiche miteinbeziehen, um eine qualitätsgesicherte Patientenversorgung weiterhin gewährleis­ten zu können. Das MT-Berufe-Gesetz hat den Weg dazu bereitet. Jetzt müssen die Akteure noch enger als in der Vergangenheit zusammenarbeiten, sodass die geforderten Kompetenzen gelehrt bzw. erlernt und anschließend in der Diagnostik eingebracht werden können. Diese Kompetenzen dürfen dann nicht auf ein Abstellgleis geraten, sondern müssen weiterentwickelt werden – sei es in Form von fachspezifischen Weiterbildungen oder der Weiterbildung auf Hochschulebene sowie in Form von Studiengängen für Medizinpädagogik – und das nicht nur für die Pflegepädagogik, sondern für alle Gesundheitsberufe.