Laborautomation: Spiel ohne Grenzen?
Man liegt wahrscheinlich nicht völlig falsch, wenn man sich die Pioniere der modernen Laborautomation – etwa Masahide Sasaki in Japan, David O‘Brian in den USA oder André von Froreich in Deutschland – als gestandene Laborchefs und zugleich als „große Buben“ vorstellt, die Spaß an überdimensionalen Spielzeugeisenbahnen hatten. Vor 25 Jahren gab es gar keine andere Wahl, als mit langen Förderbändern die verschlungenen Arbeitsabläufe kleinteiliger Laboratorien physikalisch nachzubilden und mit komplizierten Gelenkrobotern die menschliche Handarbeit, beispielsweise beim Entstöpseln der Blutröhrchen und Beladen der Analysatoren, in Mechanik zu übersetzen.
Dies hat sich grundlegend geändert: Die Arbeitsabläufe sind inzwischen nach dem Motto „simplify, simplify, simplify – then automate!“ von allen Schnörkeln befreit (S. 208 ff.), analytische und präanalytische Module können nach dem Baukastenprinzip platzsparend aneinander gekoppelt werden (S. 192 ff.), und bei Neuinstallationen muss man das Automationssystem nicht einmal mehr an die bestehenden Räumlichkeiten anpassen, sondern baut nach Möglichkeit ein maßgeschneidertes Gebäude darum herum (S. 211 ff.). Durch diese Entwicklungen haben moderne Hochdurchsatzlaboratorien einen Grad der Produktivität erlangt, den man wohl kaum noch steigern kann. Ist das Spiel damit also an seinen Grenzen angekommen?
Neue Spielfelder
Die Antwort ist nein. Es gibt durchaus Hochdurchsatzbereiche, in denen die Möglichkeiten der Automation noch nicht ausgeschöpft sind. So eröffnet derzeit die Molekulardiagnostik ein neues Spielfeld für Roboterfans, denn ihre Abläufe sind noch immer zu sehr im Fluss, als dass sie bereits automationsgerecht standardisiert werden könnten. Also bleibt nichts anderes übrig, als weiterhin flexible Roboter einzusetzen, etwa um eine DNA-Library für das Next Generation Sequencing zu pipettieren (S. 214 ff.). Allerdings ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch diese Abläufe ausreichend standardisiert sein werden, um sie nach den Prinzipien der klassischen Labormedizin zu automatisieren.
Big-Data-Anwendungen
Eine weitere Spielwiese für Automationsfreaks sind sogenannte Big-Data-Anwendungen, beispielsweise bei der routinemäßigen Überprüfung von Referenzintervallen (S. 216 ff.) mithilfe von Algorithmen, die eine zumindest semiautomatische Auswertung von Massendaten aus dem Laborinformationssystem ermöglichen. Auch hier dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis dieser Prozess vollautomatisch abläuft – beispielsweise nachts, wenn die Arbeitslast in der Datenverarbeitung gering ist. Ähnlich wie bei der klassischen Qualitätskontrolle erhielte man dann eine Liste mit Auffälligkeiten, bei denen Handlungsbedarf besteht, etwa wegen eines Tippfehlers in den Stammdaten.
Wirklich grenzenlos ist die Spielwiese der Automationsentwickler aber wohl dennoch nicht, denn quasi als Gegenpol zur technologischen Aufrüstung der Zentrallaboratorien zeichnet sich ein Trend zur Dezentralisierung ab. Point-of-Care-Testing, Self-Testing, Continuous Monitoring sind die neuen Anglizismen, die die Zukunft der Labormedizin im 21. Jahrhundert entscheidend mitprägen werden. Und da haben Spielzeugeisenbahnen keinen Platz mehr – so ausgereift sie auch immer sein mögen.