Automation bei Point-of-Care-Geräten: Dezentral und konsolidiert

Derzeit werden viele neue Analysetechniken und Anwendungen für die patientennahe Labordiagnostik angeboten. Dies kann insbesondere im Krankenhaus bedeuten, dass das Nichtlaborpersonal eine Reihe verschiedener Geräte bedienen muss, wodurch unter Umständen die Patientensicherheit gefährdet wird. Daher gibt es verschiedene Ansätze, die Point-of-Care-Gerätelandschaft zu konsolidieren. Neben Geräten, die mithilfe verschiedener Kartuschensysteme unterschiedliche Analysemethoden vereinen, werden hier in Zukunft auch neuartige Systemarchitekturen für mehrere Analysesysteme eines Herstellers mit einem gemeinsamen Intelligent Device Management zum Einsatz kommen.

Schlüsselwörter: Point of Care Testing, POCT, IDM, Blutgasanalytik, NAT, Qualitätskontrolle

Die patientennahe Labordiagnostik, auch Point of Care Testing (POCT) genannt, kann in der Regel sehr kurze Analyse­zeiten gewährleisten und verur­sacht dank direkter Zufuhr von Patientenmaterial (z. B. Kapillarblut) in das POCT-Gerät so gut wie keinen präanalytischen Aufwand. Die Anwendung von POCT ist vor allem dann sinnvoll, wenn die Einzelbestimmung eine sofortige therapeutische Konsequenz zur Folge hat. Automatisierte, seriell durchgeführte patientennahe Analysen sind regulatorisch nicht als POCT, sondern als vollwertige Laborbestimmungen anzusehen. Wenn ein Test nicht in einem Zentrallabor, sondern am Patientenbett durchgeführt werden kann oder soll, sind es häufig laborunerfahrene Pflegekräfte oder medizinische Fachangestellte, die nach einer adäquaten Schulung die Testungen übernehmen.

Das Tempo, in dem neuartige Analyse­techniken entstehen und auch neue Anwendungen für POCT-Methoden gefunden werden, ist derzeit besonders beeindruckend. Die Coronavirus-Pandemie hat die herausragende Bedeutung und Leis­tungsfähigkeit des POCT eindrucksvoll beispielsweise durch die Weiterentwicklung von POCT-fähigen molekularen Nachweisverfahren für Infektionserreger bewiesen. POCT ist in manchen Bereichen zu einem festen Bestandteil vieler klinischer Algorithmen geworden.

 

Status quo

Patientennahe labordiagnostische Verfahren haben sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten stark verbreitet. Im ambulanten Bereich, zum Beispiel in Arztpraxen, werden oft POCT-Analysen von nur wenigen Kenngrößen wie Blutzucker, HbA1c oder INR vorgehalten, während in Krankenhäusern häufig verschiedenste Analysen am POC durchgeführt werden. Wenn ein mittelgroßes Krankenhaus ohne Zentrallabor auskommen muss, resultiert daraus häufig ein Szenario, das mit dem Oxymoron „POCT-Labor“ umschrieben wird.

Wenn viele verschiedene Tests auf vielen unterschiedlichen Geräten durchgeführt werden sollen, stellt dies für das Pflegepersonal häufig eine große Herausforderung dar; Fehler in der Bedienung der unterschiedlichen Systeme sind häufig vorprogrammiert. Dieses Szenario, das in Trillium Diagnostik bereits vor zehn Jahren mit einem „Bauchladen“ verglichen wurde [1], sollte von der jeweiligen Klinikleitung aus Qualitäts- und Effizienzgründen unbedingt kritisch hinterfragt werden. Die damalige  Forderung nach einer Konsolidierung der POCT-Analysesysteme ist also weiterhin nicht von der Hand zu weisen.

Im Folgenden werden dafür zukunfts­fähige Konzepte vorgestellt. Es steht zu hoffen, dass sie das Leben für die POCT-Nutzer, zumeist Pflegekräfte und medizinische Fachangestellte, erleichtern und die Fehlerhäufigkeit im Sinne einer verbesserten Patientensicherheit minimieren.

 

Konsolidierungsbemühungen

In der einschlägigen Literatur sind keine Informationen über Geräteentwicklungen der patientennahen Labordiagnostik zu finden, die die oben erwähnten Anforderungen an eine neue Generation von POCT-Systemen vollumfänglich erfüllen. Dennoch sind bei aufmerksamer Beobachtung des IVD-Markts zwei unterschiedliche Herangehensweisen/Philosophien zur Konsolidierung der POCT-Gerätelandschaft auszumachen.

 

Lösung 1

Einige Unternehmen entwickeln Kleingeräte als Plattformen für Teststreifen oder Kassetten. Diese ermöglichen es, verschiedene Messgrößen mit teils unterschiedlichen Analyseprinzipien zu quantifizieren. Meist bieten die Hersteller für diese Systeme zusätzlich eine integrierte Anbindung an ein Krankenhausinformationssystem (KIS) an (Abb. 1).

Es gibt bereits Geräte, deren Portfolio Blutgas- sowie klinisch-chemische, hämostaseologische, hämatologische und immunologische Analysen auf zahlreichen unterschiedlichen Einzelkartuschen umfasst. Die Analysezeiten liegen bei zwei bis 15 Minuten und erfüllen somit die Anforderungen an eine patientennahe Sofortdiagnostik.

 

Lösung 2

Eine andere Strategie baut auf eine neuartige Systemarchitektur, die für verschiedene eigene Analysesysteme ein gemeinsames Intelligent Device Management (IDM) etabliert. Ein proprietär gestaltetes Smartphone dient dabei als Interface (Abb. 2).

Diesen Ansatz kann man durchaus als Schritt in Richtung eines ganzheitlichen POCT-Konzepts bezeichnen. Endziel einer derartigen Vereinheitlichung der POCT-Diagnostik wird wohl sein, für das IDM die Smartphones der Benutzer:innen selbst einzusetzen. Eine regulatorisch unbedenkliche Internetanwendung der IDM-App für Google Android oder Apple iOS ist aber noch in weiter Ferne.

Die geschilderten Konsolidierungskonzepte betreffen viele Analysemethoden, vor allem Spektrophotometrie und Immunoassays, aber auch Particle Counting in der Hämatologie und Gerinnungsverfahren mit einer sehr großen Zahl an Kenngrößen.

 

Blutgasanalytik

Eine Sonderstellung im Kontext der POCT-Automation nimmt traditionell die Blutgasanalytik (BGA) ein. Sie gilt bereits seit Jahrzehnten als klassische POCT-Dia­gnostik, die dezentral überall dort durchgeführt wird, wo rasche Resultate für die Behandlung von Patient:innen besonders dringend benötigt werden, zum Beispiel im OP, auf den Intensivstationen oder in der Notaufnahme. Als Proben­material kommt hauptsächlich heparinisiertes Vollblut zum Einsatz; die Messungen der Blutgasparameter pO2, pCO2 und pH (neben weiteren metabolischen Parametern wie Laktat, Glukose u. a.) müssen wegen der Probeninstabilität rasch ausgeführt werden. Die BGA-Geräte sind in ihrer Funktionalität bereits sehr ausgereift, einfach zu bedienen und haben häufig eine automatische RiliBÄK-konforme Qualitätskontrolle an Bord.

Eine weitere Konsolidierung für die BGA wird von vielen IVD-Unternehmen auch aufgrund des breiten Parameterspektrums nicht angestrebt. Zwei Unternehmen folgen hier aber einem anderen Weg: Für die oben genannten Intensiv- und OP-Bereiche bieten sie zusätzlich zu ihren BGA-Systemen Immunoassay- bzw. klinisch-chemische Geräte an, die bauähnlich zu den jeweiligen BGA-Geräten den POCT-Nutzer:innen eine sehr ähnliche Bedien­barkeit ermöglichen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass dadurch die Zahl der Geräte am Einsatzort erneut steigt.

 

Spezialfall NAT-Systeme

Nucleic-Acid-Testing (NAT)-POCT-Systeme muss man getrennt von den anderen POCT-Anwendungen betrachten. Grund dafür sind die anders gelagerten Anforderungen, die an ein derartiges Gerät gestellt werden. Hier stehen Identifika­tion und gegebenenfalls Charakterisierung eines Infektionserregers im Vordergrund. Die Konsolidierung betrifft dann vor allem den Multiplexgrad, also die Möglichkeit, mit einem Gerät viele potenzielle Erreger sequenziell oder besser simultan detektieren zu können. In den vergangenen Jahren hat es – getriggert durch die Coronavirus-Pandemie – eine regelrechte Revolution in der Geräteentwicklung gegeben [2, 3]. Gekennzeichnet ist diese vor allem durch eine spezielle Kartuschentechnik mit mikrofluidisch gesteuerten Prozessabläufen, die eine kontaminationsfreie Nukleinsäure-Amplifikation und gleichzeitig multiplexe Detektionsschritte ermöglicht hat.

Folgende Prozessschritte werden dabei durchlaufen: die Nukleinsäure-Extraktion (sowohl für DNA als auch für RNA), die Nukleinsäure-Amplifikation (PCR oder isothermale Amplifikationsmethoden) sowie die Detektion der Amplifikationsprodukte. Der molekulare Nachweis des zumeist bakteriellen oder viralen Infek­tionserregers kann in der Regel innerhalb von deutlich unter 60 Minuten erbracht werden. Natürlich ist für den molekulargenetischen Nachweis eines Erregers die Kenntnis seines Genoms essenziell. Daher sind die auf dem Markt zugelassenen NAT-Nachweisverfahren nur so gut wie die in der Kartusche ausgewählten Primer für die Zielsequenz (zumeist mehr als eine).

NAT ist ein häufiger Laborstandard in der Diagnostik von akuten bakteriellen und viralen Atemwegsinfektionen. Nicht nur, aber vor allem auch beim SARS-CoV-2-Nachweis ist die Identifizierung von infizierten Personen im frühesten Stadium der Erkrankung erforderlich; dies wird durch eigens hierfür entwickelte POCT-Kassettengeräte gewährleistet. Aber auch andere perakute Krankheitszustände wie Sepsis, Meningitis oder Durchfallerkrankungen können heute bereits sehr effektiv mit sogenannten syndromischen Multiplex-PCR-Panels patientennah mit Analysezeiten von unter einer Stunde diagnostiziert werden.

Bei den NAT-POCT-Geräten mit Einzelkassetten sind Handhelds für den klinischen Einsatz in Deutschland und Europa, aber besonders auch in den Entwicklungsländern sehr verlockend, da sie tragbar sind und verlässliche Ergebnisse liefern. Daneben sind die sogenannten Desktop-Geräte in Notaufnahmen, Intensivstationen oder Arztpraxen sehr nützlich. Für diese Geräte, die mit geschlossenen Kartuschen arbeiten, ist jedoch die Qualitätssicherung der Ergebnisse ein wichtiger Aspekt. Neben der in Deutschland geltenden Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (Rili-BÄK), die seit Mai 2023 der NAT-Analytik mit Kartuschensystemen spezielle qualitätssichernde Regeln aufgegeben hat, muss man auch die zumindest in Krankenhäusern etablierten POCT-Koordinatoren als Prozesspartner einplanen, welche bei der Implementierung einer NAT-POCT-Analytik wichtige Hilfestellungen leisten können [4]. 

 

Resümee

Auch wenn die hier beschriebenen Ansätze innovativ und vielversprechend sind,  steckt noch viel Potenzial für die Patientenversorgung und Ablaufoptimierung in handlichen, einfach zu bedienenden POCT-Geräten. Die unterschiedlichsten Anwender – niedergelassene Ärzt:innen, kleine Krankenhäuser, große Universitätsambulanzen – hoffen darauf, dass die Konsolidierung des Geräteparks voranschreitet. POCT ermöglicht am Ort der Patientenversorgung eine schnelle klinische Beurteilung, die zu qualitativ besserer und effizienterer Versorgung durch Klinik- und Praxispersonal sowie höherer Zufriedenheit bei Patient:innen führen kann [5]. Zentrallabore werden dadurch entlastet und können ein verbessertes Angebot an neuartigen, analytisch aufwendigen dia­gnostischen Tests, zum Beispiel für die Präzisionsmedizin, anbieten. 

Autor
Prof. Dr. med. Peter Luppa
Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie
Klinikum rechts der Isar der TU München
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