SARS-CoV-2-Diagnostik: Die zweite Welle der Coronatests

In der zweiten Welle der Coronapandemie besteht eine Diskrepanz zwischen Bedarf und Verfügbarkeit von Virus­tests. Diese soll im Rahmen einer „nationalen Teststrategie“ durch Antigentests als Ergänzung zur PCR beseitigt werden. Empfindliche Labortests eignen sich, um infektiöse Patienten zu erkennen, nicht jedoch um eine Infektion auszuschließen. Streifentests sind noch weniger sensitiv; sie müssen vor dem Einsatz sorgfältig validiert werden.

Schlüsselwörter: CoV-2-Diagnostik, nationale Teststrategie, PCR, Antigentest, Schnelltest, POCT

Der Bedarf an Coronatests hat auf dem Höhepunkt der zweiten Welle der Pandemie noch einmal erheblich zugenommen. Meldete das RKI im Frühjahr maximal 400.000 Testungen pro Woche, so stiegen die Zahlen im Herbst auf über eineinhalb Millionen – und wenn es nach dem Willen der Politik geht, dann sollten es im Winter noch wesentlich mehr werden. Mit der PCR allein wird dieser Ansturm nicht zu bewältigen sein, denn die Anzahl der Labore, die das „Goldstandardverfahren“ anbieten, stagniert seit Langem und lässt sich wohl kaum noch steigern (Abb. 1).

Dazu kommt eine wachsende Ungeduld in der Bevölkerung, wenn es um die Befundübermittlungszeiten geht. Dringend gewünscht wären kurzfristig verfügbare Testergebnisse, beispielsweise in der Notaufnahme einer Klinik, bei der Besucherkontrolle in Altenheimen oder beim Verdacht auf einen Ausbruch in einer Schule. Aber de facto vergehen zwischen der Probennahme und der Befundübermittlung oft Tage, bedingt durch Transportzeiten und Staus in den Laboren. Leider hilft auch ein Goldstandard-Ergebnis nicht viel, wenn es zu spät kommt.

Nationale Teststrategie

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) eine natio­nale Teststrategie entwickelt, die in ihrer aktuellen Fassung für die Wintersaison 2020/2021 ganz ausdrücklich auf Antigentests als Ergänzung zur PCR setzt. Demnach sollen vor allem Schnelltests helfen, die zeitlichen und kapazitiven Engpässe in den Laboren zu beseitigen [1]. Es lohnt sich, den Originaltext der Verlautbarung im Kasten zu lesen, um zu ermessen, welch hohe – möglicherweise zu hohe – Erwartungen hier in der Ärzteschaft und vor allem auch der Bevölkerung geweckt werden.

Der Eindruck, dass Antigentests die Lösung für viele aktuelle Probleme darstellen, wird durch eine umfangreiche Liste kommerziell verfügbarer Testkits verstärkt, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf derselben Website publiziert. Laut BfArM beinhaltet sie „Tests zur professionellen Anwendung, die sich nach aktueller Kenntnis des BfArM in Deutschland in Verkehr befinden und laut Herstellerangaben die jeweils aktuellen – durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Abstimmung mit dem Robert Koch-Institut (RKI) festgelegten – Mindestkriterien für Antigen-Tests erfüllen.“ Die Liste wird in Fachkreisen kritisch gesehen [2], weil diese Mindestkriterien zum einen eine zu geringe Hürde darstellen und weil die Herstellerangaben ausdrücklich nur formal geprüft werden.
Unabhängig davon, ob die hohen Erwartungen bereits heute durch das aktuelle Angebot an Schnelltests erfüllt werden, ist aber der Wunsch nach einfacheren und schnelleren Alternativen zur PCR gerechtfertigt. Zu nennen sind hier drei Gruppen von Assays:

  • isothermale NAT-Verfahren
  • Antigentests
  • Antikörpertests

Die isothermalen Verfahren beschleunigen den Nukleinsäurenachweis durch Verzicht auf die zeitaufwendige zyklische Amplifikation im Thermocycler; die beiden anderen basieren auf immunchemischen Verfahren, die zwar nicht so empfindlich wie die Nukleinsäurenachweise sind, dafür aber deutlich leichter auf klassische Analysengeräte adaptiert werden können. 
Nur für Antigen- und Antikörpertests gibt es Schnelltests im Sinne der nationalen Teststrategie, die ähnlich wie ein Schwangerschaftstest mit freiem Auge ablesbar sind (Abb. 2). Einschränkend ist an dieser Stelle anzumerken, dass sich Antikörpertests nicht für die Akutdiagnostik eignen, weil die Immunabwehr bei COVID-19 Tage bis Wochen benötigt, bis nachweisbare Immunglobulin-Spiegel im Blut auftreten. Auf ihre Bedeutung kommen wir am Ende dieses Beitrags im Ausblick noch einmal zurück.

Antigentestung

Das Interesse des vorliegenden Artikels konzentriert sich auf Antigentests, deren Applikationen sich in Labor- und Point-of-Care-Tests gliedern lassen (Abb. 3). In ihrer typischen Ausprägung werden Labortests auf Analysegeräten etabliert, die auch für andere immunchemische Routine­untersuchungen zum Einsatz kommen. Sie eignen sich für Hochdurchsatzapplikationen, liefern erste Ergebnisse nach wenigen Minuten und sind im Vergleich zu Nukleinsäuretests häufig preisgünstiger. Bei Redaktionsschluss waren einschlägige Testkits der großen Hersteller allerdings noch in der Entwicklung bzw. standen kurz vor der Markteinführung. Deshalb liegen Erfahrungsberichte und externe Evaluatio­nen unseres Wissens noch nicht vor. 
Das andere Ende der Skala technischer Applikationen markieren Lateral-Flow-Immunoassays, die ohne Messgerät visuell abgelesen werden können (Abb. 2). Die Bezeichnung „Schnelltest“ ist insofern gerechtfertigt, als das Ergebnis ohne zeitaufwendigen Transport direkt vor Ort abgelesen werden kann. Ansonsten liegen sie mit Reaktionszeiten von 15 bis 30 Minuten durchaus im Rahmen anderer Immunoassays. 
Streifentests auf Lateral-Flow-Basis sind inzwischen in großer Zahl im Markt verfügbar, viele davon stammen aus dem asia­tischen Raum. Für Tests, die von großen IVD-Herstellern in Deutschland angeboten werden, gibt es eine ganze Reihe publizierter Evalua­tionstudien (s. u.), darunter einen Methodenvergleich aus der Charité Berlin [3] sowie eine Cochrane-Metaanalyse [4]. Sie belegen, dass die Performance der Streifentests je nach Hersteller stark schwankt und deshalb vor dem Einsatz sorgfältig geprüft werden muss. Eine Leitlinie des US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) beschreibt detailliert, wie solche Evaluationen mit Materialien von Nicht-Infizierten sowie von symptomatischen und asymptomatischen Patienten durchgeführt werden sollen [5].

Besonders interessant ist derzeit die in Abb. 3 unten in der Mitte dargestellte Gruppe der Spezialgeräte für Einzeltests und kleine Serien auf der Basis von Fluoreszenz- oder Lumineszenz-Immunoassays. Sie zeichnen sich im Vergleich zu den Streifentests durch höhere Sensitivität aus und können sehr universell eingesetzt werden. Im Zentrallabor gewährleisten sie beispielsweise einen Notfallbetrieb rund um die Uhr oder versetzen mittlere und kleine Krankenhäuser ohne eigenes PCR-Labor in die Lage, überhaupt Virusnachweise anzubieten. Dezentral können sie überall dort eingesetzt werden, wo Fachpersonal zur Verfügung steht oder zumindest eine fachärztliche Anleitung und Aufsicht gewährleistet werden kann, beispielsweise in Arztpraxen, Gesundheitsämtern oder Rehazentren sowie in Testzentren auf Flughäfen und Bahnhöfen. Altenpflegeheime oder Schulen, wo ebenfalls Bedarf an solchen Applika­tionen bestünde, sind dafür  in der Regel personell nicht ausgestattet. 

Einsatzbereiche und Performance

Das Faltblatt des BMG zur nationalen Teststrategie empfiehlt den Einsatz von Antigentests vor allem zum Screening außerhalb von Ausbruchssituationen bei Krankenhauspatienten, bei Bewohnern von Pflegeeinrichtungen und deren Besuchern, sowie bei Personal im Krankenhaus und in Arztpraxen. Bei Ausbrüchen, Einreisenden aus Risikogebieten sowie symptomatischen Patienten und deren Kontaktpersonen ist wegen der höheren Sensitivität die PCR die Methode der Wahl.  
Bei der Entscheidung, welcher Antigentest sich für welche Indikation eignet, steht letztlich – neben technischen, organisatorischen und wirtschaftlichen Fragen – die analytische und diagnostische Leistungsfähigkeit (Performance) im Vordergrund. Von der Spezifität her schneiden Protein- und Nukleinsäurenachweise vergleichbar gut ab, aber bei der Sensitivität sind die Antigentests um mindestens Faktor 1.000 weniger leistungsfähig. Dabei ist aber klar zu unterscheiden, ob man infizierte oder infektiöse Personen erkennen möchte. 

Erkennung infektiöser Personen

Als eine „human infektiöse Dosis“ (HID), die für eine Ansteckung über die Atemwege ausreicht, gelten bei CoV-2 etwa tausend Viren (zum Vergleich: Bei oraler Rota- und Norovirus-Infektion reichen 1 bis 10, bei parenteral übertragener Hepatitis B 30 bis 100 Partikel). In klinischen Proben aus Abstrichen gilt eine Viruslast von einer Million CoV-2-Kopien pro ml als Grenzwert für Infektiosität; dies entspricht in der PCR einem ct-Wert von etwa 30. 
Allerdings liefern Tests verschiedener Hersteller unterschiedliche Kalibrationskurven, sodass ein ct-Wert von 30 nur eine ungefähre Angabe der Kopienzahl ermöglicht (Abb. 4). Eigene Vergleiche von Tests dreier Hersteller für drei verschiedene Gene (E, N und ORF) ergaben beim ct-Grenzwert von 30 eine Schwankungsbreite von etwa 10.000 bis 60.000 Kopien pro ml. Diese Konzentration liegt also deutlich unter dem Grenzwert für Infektiosität. Zusammenfassend lässt sich deshalb sagen: 
Fluoreszenz-/Lumineszenz-basierte Anti­gentests erkennen infektiöse Patienten relativ sicher, nicht aber infizierte mit geringer Viruslast.
Visuell ablesbare Antigen-Tests identifizieren nur hochinfektiöse Patienten.

Fazit und Ausblick

Mit der nationalen Teststrategie hat das BMG den grundsätzlich richtigen Weg gewiesen, um die Verfügbarkeit von CoV-2-Assays zu verbessern und das Problem der zu späten Erkennung infektiöser Patienten in den Griff zu bekommen. Die unkommentierte Auflistung von nicht evaluierten Schnelltests ist allerdings kritisch zu sehen: Auch Streifentests müssen sorgfältig validiert werden; ihr Einsatz beschränkt sich auf Situationen, in denen ein Transport der Probe ins Labor einen unzumutbaren Zeitverzug darstellt.
Im Zentrallabor und in der patientennahen Labordiagnostik dagegen werden automatisierbare Antigentests in der Wintersaison 2020/21 eine wichtige Rolle als Ergänzung zur PCR spielen. Problematisch sind derzeit noch der Umgang mit dem infektiösen Probenmaterial im Routinelabor und das Fehlen von Ringversuchen für die externe Qualitätskontrolle.
Es ist absehbar, dass ab dem Frühjahr 2021 Antikörper-Assays eine „dritte Welle der Coronatests“ einläuten werden – dann nämlich, wenn die Durchseuchung der Bevölkerung zunimmt und die ersten Impfungen verfügbar sind. 

Autoren
Prof. Dr. Georg Hoffmann
Herausgeber und korresp. Autor
Priv.-Doz. Dr. Andreas Ambrosch
Prof. Dr. Rudolf Gruber
Prof. Dr. Lutz G. Gürtler
Redaktion bzw. Fachbeirat
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