Gerinnungsdiagnostik und -therapie bei COVID-19: Ein Überblick

Ein erheblicher Anteil der COVID-19-Patienten entwickelt eine schwere Lungenentzündung bis hin zu Atemversagen, Sepsis und Multiorganversagen. Schwere Verläufe sind mit Hyperkoagulabilität und hohen Raten an thrombotischen Komplikationen assoziiert. Die typische Laborkonstellation einer schweren COVID-19-assoziierten Koagulopathie sind deutlich erhöhte D-Dimere bei einem normalen oder erhöhten Fibrinogenspiegel.

Schlüsselwörter: Coronavirus, SARS-CoV-2, Koagulopathie, D-Dimere, Thrombose, Antikoagulation

Weltweit sind bis dato mehr als 66 Millionen Menschen an COVID-19 erkrankt; 1,5 Millionen Menschen hat die Infektionskrankheit bereits das Leben gekostet. Die meisten mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten sind entweder asymp­tomatisch oder weisen nur leichte bis mittelschwere respiratorische Symp­tome auf. Circa 15 % der Patienten entwickeln jedoch ein schweres Krankheitsbild mit Lungenentzündung und davon etwa 20 % einen kritischen Verlauf mit beatmungspflichtigem Lungenversagen und Multiorgandysfunktion [1]. 
Eine ausgeprägte Koagulopathie scheint eine zentrale Rolle in der SARS-CoV-2-Infektion zu spielen, die sich am häufigsten als prothrombotischer Zustand mit einer erhöhten Inzidenz von venösen und arteriellen Thrombosen manifestiert. Die Pathogenese ist immer noch nicht vollständig geklärt und schließt wahrscheinlich ein komplexes Zusammenspiel zwischen entzündlichen und prothrombotischen Faktoren ein [2], wobei eine hyperinflammatorische Reaktion mit Zytokinsturm, Endothelschäden, Hyperkoagulierbarkeit mit gesteigerter Thrombin- und Thrombozytenaktivierung, NETose und Komplementaktivierung eine wichtige Rolle spielt [3] (Abb. 1).

Pathologische Befunde unterstützen die Theorie der Thromboinflammation in der Lunge: Das vorrangige histologische Merkmal ist eine ausgedehnte diffuse Alveolarschädigung mit Bildung von hyalinen Membranen neben – durch Neutrophile und Lymphozyten infiltrierte – Thrombozyten-Fibrin-Mikro­thromben in den kleinen Lungengefäßen [4, 5]. Solche okkludierenden plättchenreichen Mikrothromben wurden bei Verstorbenen auch in anderen Organen wie Herz, Niere und Leber gefunden [4], was auf eine thrombotische Mikroangio­pathie bei COVID-19 hindeutet. 

Thromboseneigung

Mehrere Studien berichteten über erhöhte Raten an venösen Thromboembolien (VTE) bei hospitalisierten COVID-19-Patienten, insbesondere tiefe Beinvenenthrombosen (TVT) und Lungenembolien (PE), aber auch arterielle Ereignisse wie Schlaganfälle oder akrale Ischämie. Bereits frühe Berichte aus Wuhan, China [6–8], den Niederlanden [9–10], Frankreich [11–13] und Italien [14] lieferten alarmierende Informationen über eine hohe Inzidenz an thrombotischen Ereignissen bei Patienten auf der Intensivstation. Die höchste Inzidenz für TVT berichteten Llitjos et al. (69 %) und Ren et al. (85 %) aufgrund eines aktiven Ultraschallscreenings [7, 12]. Eine aktuelle systematische Metaanalyse von Di Minno und Kollegen untersuchte 20 Studien mit 1.988 an COVID-19 erkrankten Patienten und berichtete eine gewichtete mittlere Prävalenz (WMP) von 31,3 % für VTE mit einem WMP von 19,8 % für TVT und einem WMP von 18,9 % für PE [15]. Die bislang größte veröffentlichte Autopsieübersicht (n = 80) von Edler et al. bestätigte die hohe Prävalenz (40 %) für thrombotische Komplikationen (21 % PE, 19 % TVT) [16]. 

Laborkonstellation

Die COVID-19-assoziierte Koagulopathie (CAC) ähnelt anderen Gerinnungsstörungen, die bei schweren systemischen Infektionen auftreten können, wie z. B. disseminierte intravaskuläre Gerinnung (DIC) oder thrombotische Mikroangiopathie (TMA). Es gibt jedoch deutliche Unterschiede zwischen CAC und klassischer DIC sowie TMA. Die charakteristischen Laborergebnisse von CAC sind massiv erhöhte Spiegel an D-Dimeren, Fibrinabbauprodukten und Fibrinogen, während andere DIC-Marker wie aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT), Prothrombinzeit (PT) und Thrombozytenzahl (Tc) relativ unverändert bleiben oder nur geringfügige Veränderungen zeigen. 

D-Dimere

Guan et al. berichteten über D-Dimer-Konzentrationen > 0,5 μg/ml bei insgesamt 46,4 % von 1.099 untersuchten COVID-19-Patienten. 59,6 % davon hatten einen schweren Krankheitsverlauf [17]. Die Erhöhung der D-Dimere auf über 1 µg/ml bei der stationären Aufnahme war mit einem 18-fach erhöhten Sterberisiko (95-%-KI: 2,6–128,6; p = 0,0033) assoziiert [18]. Cui et al. zeigten, dass ein D-Dimer-Grenzwert von 1,5 µg/ml eine VTE mit einer Sensitivität von 85,0 %, einer Spezifität von 88,5 % und einem negativen Vorhersagewert von 94,7 % prognostizierte [8]. Seitdem bestätigten zahlreiche Studien, dass der signifikante Anstieg der D-Dimere ein guter Marker für die Risikostratifizierung hinsichtlich thrombotischer Komplikationen, schwerer Verläufe und der Mortalität ist. In einer kürzlich veröffentlichten Metaanalyse, die 18 Studien mit insgesamt 3.682 Patienten analysierte, zeigte die gepoolte gewichtete mittlere Differenz (WMD) signifikant erhöhte D-Dimer-Spiegel bei verstorbenen Patienten im Vergleich zu den Überlebenden (WMD: 6,13 mg/l; 95-%-KI: 4,16–8,11; P < 0,001). In ähnlicher Weise waren die gepoolten mittleren D-Dimer-Spiegel bei Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion signifikant erhöht (WMD: 0,54 mg/l; 95-%-KI: 0,28–0,80; P < 0,001). Patienten mit erhöhten D-Dimer-Werten hatten ein viermal höheres Mortalitätsrisiko (RR: 4,11; 95-%-KI: 2,48–6,84; P < 0,001) sowie ein zweifach erhöhtes Risiko für schweren Krankheitsverlauf (RR: 2,04; 95-%-KI: 1,34–3,11; P < 0,001) als Patienten mit D-Dimer-Werten im Referenzintervall [19]. 

Thrombozytenzahlen

Die meisten Patienten mit COVID-19 weisen normale oder sogar erhöhte Thrombozytenzahlen auf. Eine milde Thrombozytopenie kann allerdings bei ca. 20–35 % der Patienten nachgewiesen werden [17, 20]. Liao et al. fanden bei 380 COVID-19-Patienten, dass eine Verringerung der Thrombozytenzahl (< 100 × 109/l) bei Patienten mit kritischer Erkrankung (49 %) signifikant häufiger vorkommt als bei Patienten mit schwerer (14 %) oder mittelschwerer (6 %) Erkrankung. Die Thrombozytopenie war mit einem über achtfach erhöhten Sterberisiko (OR: 8,33; 95-%-KI: 2,56–27,15) assoziiert [21]. In einer Metaanalyse von neun Studien (n = 1.779) fanden sich signifikant niedrigere Thrombozytenzahlen um etwa 31 x 109/l (95-%-KI: -35 bis -29 × 109/l) bei Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung, die bei Nichtüberlebenden noch ausgeprägter waren (WMD: -48 × 109/l; 95-%-KI: -57 bis -39 × 109/l). Die Thromozytopenie ging mit einem mehr als fünffach erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf und erhöhter Mortalität einher (OR, 5,1; 95-%-KI: 1,8–14,6) [22]. 
Tang et al. fanden eine leichte Verlängerung der PT bei nicht-überlebenden Patienten (15,6 s, 14,4–16,3) im Vergleich zu Überlebenden mit schwerem COVID-19 (13,6 s, 13,0–14,3) [23]. Dies wurde neulich in einer Metaanalyse (n = 1.107) bestätigt und ergab nur eine um 1,92 s höhere WMD (95-%-KI: 0,01 bis 3,84) der PT bei COVID-19-Patienten mit schweren Verläufen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung [24]. 

vWF und ADAMTS-13

Die beschriebenen Laborveränderungen sind also insgesamt nicht typisch für eine klassische DIC. Zudem weist die CAC neben dem pathologischen Befund einer multisystemischen mikrovaskulären Thrombosierung auch einige Labormerkmale einer TMA auf, einschließlich hoher Laktatdehydrogenase und massiv erhöhter Ferritinwerte [25]. Bei Patienten mit COVID-19 wurden prominente Erhöhungen des von-Willebrand-Faktors (vWF) infolge von Endothelaktivierung und -schäden berichtet [26–28]. Es kann vermutet werden, dass hohe vWF-Spiegel zu einem sekundären ADAMTS-13 (Desintegrin und Metalloproteinase mit einem Thrombospondin-Typ-1-Motiv, Mitglied 13)-Mangel führen können. Da ADAMTS-13 eine zentrale Rolle beim Spalten ultrahoher, hyperadhesiver vWF-Multimere spielt, kann ein relativer Mangel zu einer verstärkten Thrombozyten-Endothel-Wechselwirkung führen und ein TMA-ähnliches Phänomen verursachen. Kürzlich berichteten mehrere Arbeiten über einen relativen Mangel an ADAMTS-13 [27, 29–32] sowie eine deutlich erhöhte vWFAg/ADAMTS-13-Ratio (Mittel: 8,5, SD: 6,7; Norm: 0,5–2,0), die mit einer erhöhten Mortalität korrelierten [30, 32, 33]. Weitere Studien sind dringend erforderlich, um die zugrunde liegenden Mechanismen der COVID-19-induzierten mikrovaskulären Thrombosierung aufzuklären, da daraus wichtige therapeutische Konsequenzen abgeleitet werden könnten.

Fibrinolyse

Neuere Erkenntnisse belegen auch eine signifikante Beeinträchtigung der Fibrinolyse bei Patienten mit schwerem COVID-19. Mehrere Berichte konnten eine Hyperkoagulabilität sowie eine Hypofibrinolyse mittels viskoelastischer Testverfahren (Thromboelastographie oder Rotationsthromboelastometrie) feststellen [34–40]. Es konnte gezeigt werden, dass im Falle eines Fibrinolyse-Shutdowns deutlich häufiger thrombotische Komplikationen auftraten [38, 39, 41]. Die COVID-19-Erkrankung verändert das Gleichgewicht zwischen Gerinnung und Fibrinolyse und ist mit erhöhtem Plasminogenaktivator-Inhibitor-1(PAI-1)- und erhöhten Gewebetyp-Plasminogenaktivator(tPA)-Spiegeln verbunden. Die Überexpression von PAI-1 überwindet die lokale uPA- und tPA-Wirkung und führt zur Hypofibrinolyse mit Fibrinpersistenz [35, 42]. 
Die wichtigsten Veränderungen von Gerinnungsparametern sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Therapeutische Implikationen

Mehrere internationale und nationale Fachgesellschaften für Thrombose und Hämostase haben ihre Empfehlungen zur Antikoagulation bei COVID-19-Patienten formuliert [46–51]. Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion haben eine Hyperkoagulabilität und ein erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien, daher sollte das individuelle VTE-Risiko evaluiert und die Indikation für eine medikamentöse VTE-Prophylaxe großzügig gestellt werden (Abb. 2).

Alle stationär behandelten Patienten sollten Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin (NMH) in einer für den Hochrisikobereich zugelassenen Dosierung erhalten. Es gibt allerdings noch offene Fragen hinsichtlich der Wahl und Intensität der Antikoagulation. Viele Beobachtungsstudien zeigten hohe VTE-Raten (insbesondere pulmonale Thrombosen) trotz Anwendung von Thromboseprophylaxe mit NHM oder UFH [9–13]. Stals und Kollegen untersuchten in drei niederländischen Krankenhäusern die Inzidenz von VTE bei allen hospitalisierten Patienten mit COVID-19 (n = 579) und verglichen die Inzidenz mit zwischen 2013 und 2018 hospitalisierten Influenza-Patienten (n = 27.980). Trotz Thromboseprophylaxe zeigte sich eine deutlich erhöhte Inzidenz an VTE von 18,7 % (95-%-KI: 14,0–23,4) versus 1,04 % (95-%-KI: 0,92–1,16) [52]. Etwa 80 % der VTE-Ereignisse waren Lungenembolien. Eine multizentrische Studie (CRICS TRIGGERSEP Group) mit 150 COVID-19-Patienten zeigte ebenso trotz prophylaktischer oder therapeutischer Antikoagulation eine 43-prozentige Prävalenz für Thrombose [13]. Diese Daten führten dazu, dass einige Expertengruppen eine intensivierte prophylaktische Dosis oder sogar volltherapeutische Dosis statt der Standardprophylaxe bei Intensivpatienten mit COVID-19 befürworten. Eine Intensivierung der NMH-Dosis kann unter Berücksichtigung des individuellen Blutungsrisikos bei einem starken Anstieg der D-Dimere oder beim Anzeichen für ein akutes Atemversagen, was auf eine pulmonale Thrombose hinweisen könnte, erwogen werden. Die optimale Antikoagulation bei COVID-19-Patienten bleibt jedoch offen, bis die Ergebnisse aus mehreren laufenden randomisierten, kontrollierten klinischen Studien (RCT) vorliegen [51, 53, 54]. Hinsichtlich einer erweiterten VTE-Prophylaxe bei COVID-19-Patienten nach Entlassung aus dem Krankenhaus liegen keine Daten vor. Nach einer individualisierten Risikostratifizierung für das thrombotische und hämorrhagische Risiko könnte eine erweiterte Prophylaxe (für bis zu 45 Tage) bei Patienten mit erhöhtem VTE-Risiko und geringem Blutungsrisiko erwogen werden [55]. 
Angesichts des gestörten Gleichgewichtes der Fibrinolyse wurde eine fibrinolytische Therapie bei Patienten mit COVID-19 diskutiert [56]. Es exis­tieren einzelne Fallserien [57–59], die eine vorübergehende Verbesserung der Sauerstoffversorgung sowie von Beatmungsparametern nach t-PA-Therapie berichteten. Mehrere randomisierte kontrollierte Studien sind im Gange, um den klinischen Stellenwert einer fibrinolytischen Therapie zu beantworten [60, 61].

Fazit

Das Management der mit COVID-19 verbundenen Koagulopathie – ausgelöst durch die von Sars-CoV-2 induzierte massive systemische Entzündungsreaktion bis zum Zytokinsturm – und eine endotheliale Dysfunktion, befindet sich in dynamischer Entwicklung und bleibt herausfordernd. Die Labordiagnostik leistet einen großen Beitrag bei der Früherkennung und der engmaschigen Überwachung der Koagulopathie (D-Dimere, PT, Fibrinogen, Tc-Zahl) sowie der systemischen Entzündungsreaktion (IL-6, C-reaktives Protein, Ferritin und Procalcitonin) bei COVID-19-Patienten und unterstützt somit
(i)    die Identifizierung von Patienten mit hohem Risiko für eine schlechtere Prognose, 
(ii)    die Einleitung/Intensivierung einer Antikoagulation zur Vorbeugung thromboembolischer Komplikationen und
(iii)    die Verbesserung des klinischen Outcomes.
Eine Thromboseprophylaxe ist für alle stationär behandelten Patienten mit COVID-19 empfohlen, soweit keine Kontraindikationen vorliegen. Die offenen Fragen hinsichtlich der optimalen Antikoagulation und alternativen Therapieoptionen bei COVID-19-Patienten auf der Intensivstation, bei Entlassung aus dem Krankenhaus und bei ambulanten Patienten mit hohem Thromboserisiko werden in aktuell laufenden RCTs ermittelt.