Kleine Häuser – großes Potenzial
Laborversorgung mit POCT-Geräten
So idyllisch kleine „Schwarzwaldkliniken“ auch sein mögen, so schwierig ist dort die Versorgung mit Labordiagnostik. Welche organisatorischen und technischen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um diese Lücke zu schließen?
Schlüsselwörter: POCT, Satellitenlabor, Labormanagement
Point-of-Care-Tests (POCT) sind dem Wortlaut nach Laboranalysen, die unmittelbar am Ort der Patientenversorgung durchgeführt werden können. Weitere Definitionen beziehen sich auf den Testaufbau und die Präanalytik: Beispielsweise müssen die Proben ohne vorherige Bearbeitung analysiert werden können, und nach der strengen Rili-BÄK-Definition sind nur Einmalmaterialien (single unit tests) wie etwa Teststreifen oder Kartuschen zulässig. Ein weiteres Kriterium ist der Verzicht auf labormedizinisches Fachpersonal; die Bedienung erfolgt durch (in der Regel eingearbeitete) Laien oder auch durch den Patienten selbst.
Wenn auch eine allgemeine, international anerkannte Definition von POCT fehlt, sind die prägenden Eigenschaften doch recht eindeutig (Tab. 1). Sie stellen auf den ersten Blick durchwegs eine Verbesserung zur herkömmlichen zentralen Labordiagnostik dar – doch womöglich trügt der Schein.
Labor im kleinen Krankenhaus
Neben der weitverbreiteten POC-Diagnostik in der Arztpraxis (Blutzucker) oder auf der Intensivstation (Blutgase) gibt es interessante neuere Entwicklungen in der patientennahen Labordiagnostik für kleinere Krankenhäuser oder Außenstellen im stationären und niedergelassenen Bereich, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen. Es geht vor allem um die Frage, welche Voraussetzungen ein System bzw. Hersteller erfüllen muss, damit der Routinebetrieb in einer medizinischen Einrichtung ohne eigenes Labor abgedeckt werden kann. Eingeschlossen sind somit nicht nur POC-Tests im engeren Sinn (nach Rili-BÄK), sondern um jede Form der dezentralen Testung, die ohne ständige Präsenz von speziell ausgebildeten MTLA, Klinischen Chemikern und Laborärzten erbracht werden kann.
Trotz fallender Tendenz gibt es in Deutschland noch immer sehr viele kleine Krankenhäuser mit deutlich weniger als 500 oder gar 200 Betten (Abb. 1). Lange Zeit waren die Personalkosten der Hauptgrund für die Vergabe von Labordiagnostik dieser Einrichtungen an externe Dienstleister. Mittlerweile kommt aber als weiteres Problem der Mangel an qualifiziertem Fachpersonal (MTLA, Laborärzte) dazu, der einen deutschlandweit flächendeckenden 24/7-Laborbetrieb oder auch nur eine Tagesbesetzung unmöglich macht.
Die entscheidende Frage lautet also: Welche Labordiagnostik muss und kann man im Satellitenlabor einer Klinik mit medizinischen Fachangestellten (MFA) ohne spezielle Laborfachkenntnis abdecken, wenn das „Mutterlabor“ innerhalb einer zu definierenden Zeit – zum Beispiel 60 Minuten –mit einem gut organisierten Fahrdienst rund um die Uhr erreichbar ist? Und was muss zusätzlich vorgehalten werden, wenn das Zentrallabor höchstens zweimal am Tag angefahren wird?
Ist der Laborarzt unabdingbar?
Technisch und rechtlich gesehen ist ein Laborbetrieb ohne eigenen Laborarzt durchaus möglich. Selbst Zentrallabore an größeren Kliniken werden häufig von leitenden MTLA unter der ärztlichen Aufsicht eines Internisten mit entsprechender Qualifikation geführt. Doch es gibt Ausnahmen: Insbesondere für die Transfusionsmedizin ist die Leitung durch einen Laborarzt oder Arzt für Transfusionsmedizin zwingend vorgeschrieben. Diese Kompetenz kann allerdings auch von externen Fachärzten eingekauft werden, die in regelmäßigen Abständen vor Ort nach dem Rechten sehen und für die Einhaltung der Transfusionsrichtlinien bezüglich der Labordiagnostik verantwortlich sind.
Komplizierter wird es, wenn man die erbrachten Leistungen für Privatpatienten nach GOÄ abrechnen will – und welcher Klinikleiter will das nicht? Nach allgemeiner Auffassung und Rechtssprechung ist in diesem Fall derzeit ein Laborarzt vor Ort während der Erbringung der Leistungen nötig. Und wenn der Klinik ein MVZ angegliedert ist, braucht man nicht nur einen Laborarzt, sondern einen Laborarztsitz, um die erbrachten Leistungen – dann auch von Kassenpatienten – abrechnen zu können. Die Zahl der „Alt-Internisten“ mit entsprechender Ermächtigung geht altersbedingt stark zurück, und für die nachrückende Generation gibt es eine allgemeine Laborermächtigung nicht mehr.
MTLA-Vorbehalt
Inwieweit lässt sich Labordiagnostik auch ohne MTLA durchführen? Nach dem MTLA-Gesetz (MTAG von 1993, letztmals geändert 2016) gibt es Tätigkeiten mit MTLA-Vorbehalt: „…Auf dem Gebiet der Humanmedizin dürfen ausgeübt werden … die folgenden Tätigkeiten nur von Personen mit einer Erlaubnis nach § 1 Nr. 1 (MTLA, Anm. d. Red.): Durchführung von Untersuchungsgängen in der morphologischen Hämatologie, Immunhämatologie und Hämostaseologie … in der Klinischen Chemie … in der Mikrobiologie, Parasitologie und Immunologie einschließlich Ergebniserstellung, Qualitäts- und Plausibilitätskontrolle…. Ausgenommen von den … genannten Tätigkeiten sind einfache klinisch-chemische Analysen sowie einfache qualitative und semiquantitative Untersuchungen von Körperflüssigkeiten, Ausscheidungen und Blut…“
Das heißt im Klartext: Viele einfache Tests sind ohne MTLA als POCT durchführbar, aber Immunhämatologie mit Sicherheit nicht. In diesem Kontext ist außerdem zu bedenken, dass die Intensivpauschale wohl in bestimmten Bundesländern vom MDK nicht anerkannt wird, wenn kein Blutdepot in der Klinik mit 24/7-Versorgung vorhanden ist. Die Erreichbarkeit eines Transfusionsarztes rund um die Uhr wurde diskutiert, vorerst aber zurückgestellt.
Zentrale fachliche Organisation
Auch wenn es heute eine Vielzahl von Geräten gibt, die von Laien bedient werden können, ist es keineswegs trivial, die nötigen Voraussetzungen für eine sinnvolle und qualitätsgesicherte POC-Diagnostik zu schaffen. Geeignete Räumlichkeiten sind die Grundvoraussetzung, wobei auch ausreichend Lagerflächen für Reagenzien und Kontrollen mit entsprechender Kühlkapazität vorzusehen sind.
Vor allem soll aber eine verantwortliche Person stets schnell erreichbar sein, die sich um die Einrichtung und Abläufe kümmert. Es gilt, SOPs zu schreiben, Mitarbeiter einzuweisen und regelmäßig nachzuschulen, Qualitätskontrollen zu messen und an Ringversuchen teilzunehmen, Wartungsarbeiten durchzuführen, die Datenübertragung zu organisieren und vieles mehr.
Wenn diese Aufgaben unter der Verantwortung eines Zentrallabors organisiert werden, so sind dem Personal all diese Standardarbeiten bekannt und können professionell durchgeführt werden. Sind die Geräte aber auf den Stationen und Funktionseinheiten ohne zentrale Zuständigkeit verstreut, so ist es oft schwierig, die nötige Betreuung zu organisieren – häufig allein schon, weil Labordiagnostik und Labor-IT nicht zu den Prioritäten des klinisch tätigen Personals gehören und die Grundausbildung der Mitarbeiter eine völlig andere ist.
Testspektrum
Aus aktueller Erfahrung mit der Einrichtung eines Satellitenlabors in einer spezialisierten Einrichtung (siehe Tab. 2) ist festzuhalten, dass die Wünsche der Kliniker in der Regel weit über das hinausgehen, was der Markt aktuell an geeigneten Tests und Geräten bietet bzw. was ökonomisch darstellbar ist. Das hier zusammengestellte Testspektrum ist das Ergebnis detaillierter Umfragen bei Herstellern und Anwendern, erhebt jedoch keinen Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit. Je nach Patientenkollektiv und Auftragsvolumen können Equipment und Testangebot stark variieren.
Auch für die oben erwähnten Engpässe bei der Versorgung mit Blut gibt es Ideen, wie etwa eine „Fernversorgung“ mit den nötigen Spezialparametern und Blutkonserven. Ab einer bestimmten Stufe und Qualität der medizinischen Versorgung mit OP und Intensivstationen, Anfahrt von Notarztwägen oder dem Rettungshubschrauber ist diese Lösung allerdings äußerst kritisch zu bewerten.
Es besteht Handlungsbedarf
Im Zentrallabor ist seit mehr als einem Jahrzehnt die Komplettversorgung auf einer einheitlichen Laborplattform möglich und Stand der Technik. Im POCT-Bereich sind wir von dieser Situation noch weit entfernt: Hier dominiert eine bunte Ansammlung von Stand-alone-Geräten mit unterschiedlichsten Bedienungsvorschriften, Probenmaterialien, IT-Voraussetzungen und Qualitätsansprüchen. Selbst bei den einfach zu bedienenden Laminar-Flow-Immunoassays können häufig nicht einmal die Tests ein und desselben Herstellers auf demselben Gerät abgelesen werden.
Für die Qualität der Labordiagnostik ist insbesondere eine qualitativ hochwertige Präanalytik entscheidend. Im Zentrallabor dient beispielsweise der sog. HIL-Check (Hämolyse, Ikterus, Lipämie) als wichtiges Kontrollinstrument, um zuverlässige Ergebnisse zu sichern. Nur weil man im Kapillarblut und anderen Vollblutproben keine Hämolyse, Ikterus oder Lipämie sieht, heißt das nicht, dass diese Störfaktoren nicht vorhanden sind. Generell ist die Qualität der Kapillarblutabnahmen mit einer lege artis durchgeführten venösen Probennahme nicht zu vergleichen. Gewebsverletzung und Quetschen führen zu nicht erkennbaren Verdünnungseffekten und Hämolysen sowie zur Gerinnungsaktivierung.
70 Tests aus einem Blutstropfen?
Ohne Zweifel ist der Bedarf an hochwertigen POC-Tests gewaltig. Wie groß das (bislang nicht annähernd realisierte) Potenzial ist, erkennt man an der Geschichte der US-Firma Theranos. Für die Idee, aus einem Tropfen Blut mehr als 70 Laborparameter zu bestimmen, wurde die Gründerin Elizabeth Holmes zur gefeierten „Self-made-Milliardärin“ – und fiel aufgrund massiver Qualitätsmängel und falscher Versprechungen so tief, dass ihr nun 20 Jahre Haft wegen Betrugs drohen.
Trotz dieses gewaltigen Dämpfers für voreilige Spekulanten sollten Entwickler, Hersteller und Anwender den Traum vom „schnellen Labor aus einem Blutstropfen“ nicht aufgeben. Die Technik schreitet rascher voran, als viele von uns glauben.