Checkliste zur Selbstbewertung
Referenzbereiche im medizinischen Labor
Die regelmäßige Überprüfung der Referenzbereiche gehört zu den verpflichtenden Aufgaben jedes Labors. Durch die Einführung indirekter Verfahren wird das praktische Vorgehen erheblich vereinfacht, da hierbei die Prüfung aus Routinedaten erfolgen kann. Eine Checkliste der AG Richtwerte der DGKL soll helfen, nichts Wesentliches zu übersehen – nicht zuletzt auch im Hinblick auf Zertifizierung und Akkreditierung von Laboren.
Schlüsselwörter: Referenzgrenzen, Entscheidungsgrenzen, Rili-BÄK, DIN/EN/ISO 15189
Für die Erstellung eines medizinischen Laborbefundes ist es zwingend erforderlich, auf geeignete Vergleichswerte Bezug zu nehmen, um eine korrekte Interpretation der berichteten Werte vornehmen zu können. 2019 veröffentlichte die Arbeitsgruppe Richtwerte der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) Empfehlungen [1], die es erleichtern sollen, die diesbezüglichen Anforderungen der „Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen“ (Rili-BÄK) [2] und der DIN/EN/ISO 15189 [3] umzusetzen.
Die Publikation ist im Internet frei zugänglich (https://doi.org/10.1515/labmed-2018-0500) und enthält eine Checkliste, die es ermöglichen soll, einfach und strukturiert die erforderlichen Angaben laborspezifisch zu erstellen. Das Sektorkomitee Medizinische Laboratorien der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) wird überprüfen, inwieweit dieses Vorgehen für akkreditierte Laboratorien empfohlen werden kann.
Wichtig ist in diesem Kontext die Unterscheidung zwischen Referenzbereichen (genauer: Referenzintervallgrenzen) und klinischen Entscheidungsgrenzen (s. u.). Beide können unter dem Begriff „Richtwerte“ subsummiert werden.
Richtwerte
Typischerweise werden Referenzbereiche für quantitative Laborverfahren aus den Packungsbeilagen der Hersteller von In-vitro-Diagnostika (IVD) oder aus der aktuellen Literatur übernommen. Da nicht zwangsläufig davon auszugehen ist, dass das Referenzkollektiv, an dem diese Bereiche bestimmt wurden, dem Patientenklientel des eigenen Einsenderpools entspricht, müssen diese Angaben im Labor kritisch überprüft werden. Bei qualitativen Tests liegen der Entscheidung in positiv/negativ typischerweise metrische Werte und definierte Cut-offs zugrunde. Auch diese müssen auf ihre Eignung überprüft werden. Das genaue Vorgehen wird derzeit in der Arbeitsgruppe Richtwerte diskutiert.
Klinische Entscheidungsgrenzen beruhen typischerweise auf wissenschaftlichen Studien und/oder Expertenkonsens und können für verschiedene Fragestellungen durchaus verschieden sein (siehe Kasten). Eine einheitliche Definition für klinische Entscheidungsgrenzen ist nicht vorhanden.
Rili-BÄK und ISO 15189
Die Rili-BÄK verpflichtet Laboratorien in den Abschnitten 6.2.3 und 6.3.2 zur Festlegung von Referenzintervallgrenzen. Das Labor muss zu allen Parametern dokumentieren, aus welchen Quellen diese Referenzbereiche stammen (zum Beispiel Fachliteratur, Produktinformation des Assayherstellers) und ob sie möglicherweise angepasst worden sind. Referenzbereiche werden typischerweise als zentrales 95%-Intervall der Messwerte einer gesunden Personengruppe angegeben, reichen also von der 2,5. bis zur 97,5. Perzentile.
In der DIN/EN/ISO 15189 wird im Abschnitt 3.4 der Begriff „biologisches Referenzintervall“ definiert. In den Abschnitten 5.4.2, 5.5.2, 5.5.3 und 5.8.3 fordert diese Norm ihre Dokumentation, Verwendung und regelmäßige Überprüfung. Eine Eigenerstellung von Referenzbereichen an gesunden Kollektiven wird nicht verlangt.
Bei den meisten Untersuchungsverfahren kommen kommerziell verfügbare In-vitro-Diagnostika (IVD) zum Einsatz, deren Spezifikationen laut EU IVD Regulation [4] Angaben zu den Referenzintervallen enthalten sollen. Wird im Labor ein neuer Test eingeführt oder ein bestehender Test modifiziert, so sollte im Rahmen der Verifizierungsaktivitäten zeitgleich auch eine erste Überprüfung erfolgen, ob die Ergebnisse Gesunder im angegebenen Referenzintervall liegen.
Ähnlich verhält es sich bei der Validierung von Inhouse-Methoden oder modifizierten IVD. Hier sind die „Allgemeinen Sicherheits- und Leistungsanforderungen“ gemäß Anhang I der IVD-Verordnung (EU) 2017/746 zu erfüllen. Diese Überprüfung sollte nach Einführung des Verfahrens fortgeführt und beim nächsten Audit überprüft werden.
Direkte und indirekte Verfahren
Bei einem Teil der Untersuchungsverfahren zeigt es sich regelhaft, dass die vom IVD-Hersteller bereitgestellten Referenzintervalle nicht für das eigene Patientengut geeignet sind. In diesem Falle muss die Bestimmung im Labor selbst erfolgen, wenn keine analytischen Ursachen für die Abweichungen verantwortlich sind.
Hierzu gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten: die direkte Ermittlung in einer gesunden Referenzpopulation oder die indirekte Berechnung aus Datensätzen, die routinemäßig in medizinischen Laboratorien anfallen [1]. Bei den direkten Verfahren erfolgt die Definition der „offensichtlich Gesunden“ nach klinischen, bei den indirekten Verfahren nach statistischen Gesichtspunkten (vgl. dazu Abb. 1).
Für das indirekte Verfahren hat die Arbeitsgruppe Richtwerte eine Software (Reference Limit Estimator, RLE) entwickelt, die die indirekte Ermittlung und Überprüfung von Referenzintervallgrenzen deutlich erleichtert [5]. Das Programm ist sowohl als Stand-alone-Version verfügbar als auch in einigen Laborinformationssystemen (iSolutions, OSM) enthalten.
Unter Umständen ist hier ein multizentrischer Ansatz von Vorteil, um die Fallzahlen zu erhöhen. Dabei sollten aber die beteiligten Laboratorien ein vergleichbares Patientenklientel aufweisen. Ein angemessener Stichprobenumfang sollte bei direkten Verfahren nach CLSI 120 Proben pro Subkollektiv nicht unterschreiten (CLSI-Standard EP28-A3c). Der RLE benötigt für das indirekte Verfahren ca. 4.000 Werte [5].
Um die generelle Vergleichbarkeit von Laboruntersuchungen zu gewährleisten, sollte die Bestimmung laboreigener Referenzbereiche allerdings nur dann zum Einsatz kommen, wenn die national oder international verfügbaren Daten aufgrund eigener Überprüfungen nicht geeignet sind. Daher sollte vor der Neuerstellung eigener Referenzbereiche stets überprüft werden, ob eine Anpassung an das eigene Laborklientel erforderlich ist.
Bei der routinemäßigen Überprüfung von Richtwerten – insbesondere auch im Rahmen der Zertifizierung und Akkreditierung von Laboren – sollten folgende Punkte abgefragt bzw. bestätigt werden:
1. Es liegen Richtwerte vor. Diese sind auf Grundlage von nachvollziehbaren Kriterien ausgewählt worden und werden nach Referenzintervallen und klinischen Entscheidungsgrenzen unterschieden.
2. Referenzintervalle aus externen Quellen werden verifiziert, indem sie mit möglichst unabhängigen Quellen verglichen und auf Plausibilität überprüft werden.
3. Die Übertragbarkeit der Referenzpopulation auf das eigene Patientengut wird zumindest im Hinblick auf Alter und Geschlecht, zudem bei Bedarf nach der Ethnie sowie generellen Einsendermerkmalen (Blutspender, stationär/ambulant) bewertet werden. Wichtig sind dabei auch die Übertragbarkeit eines Messverfahrens einschließlich präanalytischer Prozesse und dessen Rückführbarkeit.
4. Für den Fall, dass die Plausibilitätsprüfung keine eindeutigen Aussagen ergibt, sollen Laboratorien ihre Referenzintervalle mittels indirekter Methoden überprüfen, wenn eine ausreichende Menge an Labordaten aus geeigneten medizinischen Fachrichtungen und Patientenkollektiven verfügbar ist. Liegen nicht genügend Labordaten vor, sollte eine direkte Methode zur Verifizierung verwendet werden, wobei ein Stichprobenumfang von 20 pro Subkollektiv nicht unterschritten werden sollte [6]. Unterschiede zwischen den verglichenen Referenzintervallen sollten mindestens hinsichtlich der Messunsicherheiten und ggf. anderer Faktoren bewertet werden. Auswahl, Plausibilitätsprüfung, Festlegung und Verifizierung von Referenzintervallen einschließlich der zugehörigen Datensätze müssen abschließend von einem qualifizierten Arzt überprüft und genehmigt werden.
5. Wenn insbesondere für Inhouse-Messverfahren keine Referenzintervalle verfügbar oder festgelegt sind, müssen sie mit direkten Methoden, z. B. nach CLSI-Standard EP28-A3c, ermittelt werden. Bei der Bestimmung der Referenzintervalle müssen mindestens Alter und Geschlecht berücksichtigt werden. Relevante andere biologische Faktoren sollten ebenfalls bewertet werden.
6. Referenzintervalle müssen innerhalb eines vorgegebenen Zeitintervalls periodisch überprüft werden. Die Überprüfung von Referenzintervallen beinhaltet auch eigene Laborergebnisse mittels indirekter Methoden.
7. Im Befundbericht ist eindeutig auszuweisen, ob eine klinische Entscheidungsgrenze oder eine Referenzintervallgrenze angegeben wird. Ist beides vorhanden, besitzen klinische Entscheidungsgrenzen grundsätzlich die höhere Priorität (EP28-A3c). Die zugrundeliegenden Quellen der Richtwerte werden entweder im Bericht genannt oder auf andere Weise (z. B. Website, Vademecum usw.) bereitgestellt. Der vorläufige Status noch nicht verifizierter Referenzintervalle sollte im Bericht angegeben werden.
Die komplette Checkliste kann kostenfrei von der Website des DeGruyter-Verlags heruntergeladen werden:
www.degruyter.com/view/j/labm.2019.43.issue-3/labmed-2018-0500/suppl/labmed-2018-0500_suppl.zip
Checkliste
Aus den Dokumenten zum Qualitätsmanagement des Labors muss nachvollzogen werden können, aus welcher Quelle die verwendeten Richtwerte stammen (EP28-A3c). Zudem muss ein Verfahren zur regelmäßigen Überprüfung der Referenzintervalle festgelegt sein. Das Ergebnis der Überprüfungen ist zu dokumentieren, zum Beispiel mit einem Auditprotokoll. Die Festlegung von Referenzintervallen muss ärztlich freigegeben werden.
Für die Ermittlung und Überprüfung von Referenzintervallen findet sich in der oben zitierten Publikation [1] eine hilfreiche Zusammenstellung mit dem Entwurf einer Checkliste. Dabei werden in Form eines Selbstbewertungsbogens die nebenstehenden Fragen zur Handhabung von Richtwerten überprüft.