Rasches Handeln ist nötig!
Auswirkungen der IVD-Verordnung auf medizinische Laboratorien
Die neue IVD-Verordnung betrifft nicht nur klassische Hersteller, sondern auch alle medizinischen Labore, die „laboratory developed tests“ (LDT) einsetzen. Die wichtigste Neuerung ist der verpflichtende Nachweis, dass es im Markt kein vergleichbares Produkt gibt. Auch selbst entwickelte Software kann betroffen sein.
Schlüsselwörter: IVDD, IVDR, MPG, MDR, Rili-BÄK, Risikoklassen, Eigenherstellung, Qualitätssicherung
26. Mai 2022. Das ist das Datum, an dem die Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates über In-vitro-Diagnostika (kurz: IVDR) Gültigkeit erlangt [1]. Sie ist seit dem 25. Mai 2017 in Kraft und formuliert die Anforderungen an die Inverkehrbringung von In-vitro-Diagnostika deutlich konkreter als es die derzeit gültige Richtlinie 98/79/EG über In-vitro-Diagnostika (kurz: IVDD) tut [2]. Dies hat nicht nur auf „klassische“ IVD-Hersteller teilweise erhebliche Auswirkungen, sondern auch auf medizinische Laboratorien.
Die IVDR ist eine Verordnung (engl. regulation) und muss somit nicht mehr von den Mitgliedsstaaten in nationale Gesetze umgewandelt werden. Dies war bei der IVDD, einer Richtlinie (engl. directive), noch nötig und resultierte unter anderem in unserem heutigen Medizinproduktegesetz (MPG) [3]. Konsequenterweise können wir spätestens zum Mai 2022 eine umfangreiche Anpassung des Medizinproduktegesetzes erwarten – wahrscheinlicher ist jedoch 2020, mit Gültigkeit der Medizinprodukteverordnung (MDR).
Wie sich anhand der etwa viermal so vielen Artikel und der mehr als dreifachen Seitenzahl andeutet, liefert die IVDR umfassende Informationen zur Erfüllung der Anforderungen. Im Gegensatz dazu mussten die Hersteller zusätzlich zur IVDD zahlreiche ergänzende Dokumente studieren (z. B. Guidance-Dokumente der GHTF bzw. IMDRF, MEDDEV), die den aktuellen Stand der Technik darstellen.
Risikoklassen
Eine der wichtigsten Neuerungen der IVDR gegenüber der IVDD ist das risikobasierte Klassifizierungssystem. Das listenbasierte System der IVDD wurde unter der IVDR durch eine Regel-basierte Zuordnung in Risikoklassen (A: geringes Risiko bis D: höchstes Risiko) abgelöst. Dies ermöglicht eine Klassifizierung aller in-vitro-diagnostischen Produkte im Sinne der Patientensicherheit. Viele Produkte, die früher als sog. sonstige IVD klassifiziert waren, werden nun in Risikoklasse B oder höher einsortiert. Die Hersteller müssen ab Klasse B eine Benannte Stelle beauftragen, um ihre Produkte unter IVDR in Verkehr zu bringen. Die praktischen Auswirkungen sind erheblich, denn nach ersten Schätzungen steigt der Anteil an IVD-Produkten, die unter Hinzuziehung einer Benannten Stelle zugelassen werden müssen, von bisher ca. 20 bis 30 auf voraussichtlich 70 bis 80%. Da manche Hersteller wahrscheinlich die anfallenden Mehrkosten nicht aufbringen können, kann dies im schlimmsten Fall zu gefährlichen Engpässen in der medizinischen Versorgung führen und Innovation verhindern.
Produkte aus Eigenherstellung
Jedoch ist, wie bisher auch, nicht immer eine Benannte Stelle zur Inverkehrbringung notwendig. Dies trifft insbesondere auf medizinische Laboratorien zu. Viele Laboratorien haben Produkte aus Eigenherstellung (engl. laboratory developed tests, abgekürzt LDT) entwickelt und wenden diese an. Dabei reicht das Spektrum der LDT von einfacher Auswertesoftware (ggf. auch auf Excel-Basis) bis hin zu selbst entwickelten Verfahren, die typischerweise kommerziell verfügbare Produkte (u. a. In-vitro-Diagnostika) nutzen. LDT sind nach IVDR „… Produkte, die ausschließlich innerhalb von in der Union ansässigen Gesundheitseinrichtungen hergestellt und verwendet werden, …“ (IVDR, Artikel 5) wobei man als Gesundheitseinrichtungen diejenigen Organisationen bezeichnet, „… deren Hauptzweck in der Versorgung oder Behandlung von Patienten oder der Förderung der öffentlichen Gesundheit besteht; …“ (IVDR, Artikel 2). In dieser Definition dürften sich viele medizinische Laboratorien wiederfinden. Gemäß IVDR besteht für Labore weiterhin die Möglichkeit, ihre LDT in Betrieb zu nehmen, ohne eine Benannte Stelle beauftragen zu müssen oder eine CE-Kennzeichnung anzubringen.
Anforderungen an LDT
Anforderungen an LDT und deren Betrieb sind bisher im MPG und der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) genannt; in einigen Punkten ähneln sie sehr den Anforderungen der IVDR. Laut MPG § 12 müssen LDT derzeit die „Grundlegenden Anforderungen“ gemäß Anhang I der IVDD erfüllen. Weiterhin gibt die MPBetreibV in § 9 vor, dass ein Qualitätssicherungssystem nach Teil A der Rili-BÄK (Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen) einzurichten ist. Die IVDR widmet sich dem Thema in Artikel 5, Absatz 5 und listet eine Reihe von Bedingungen. So müssen für LDT auch die in Anhang I der IVDR beschriebenen „Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen“ erfüllt werden. Das Labor hat der EN ISO 15189 (oder gegebenenfalls nationalen Vorschriften) zu entsprechen und die Herstellung und Verwendung der LDT erfolgen im Rahmen geeigneter Qualitätsmanagementsysteme (QMS), was bedeutet, dass abhängig vom LDT z.B. Kapitel 7 der ISO 13485 beachtet werden sollte (Tab. 1).
MPG/MPBetreibV/IVDD | IVDR |
Grundlegende Anforderungen nach IVDD Anhang I (s. MPG § 12 (1)) | Grundlegende Sicherheits- und Leistungsanforderungen nach IVDR Anhang I |
Klassifizierung nach IVDD Anhang II und Konformitätsbewertungsverfahren nach IVDD Artikel 9 und damit verbundene Anforderungen (s. MPG § 12 (1)) | Klassifizierung nach IVDR Anhang VIII (s. Artikel 5 (5) g) und h)) |
Leistungsbewertung (s. MPG § 19 (2); IVDD Anhang I A. 3.) | Leistungsbewertung gemäß Artikel 56 (s. Artikel 5 (3)) |
QM-System nach Teil A der Rili-BÄK (s. MPBetreibV § 9) | QM-System nach EN ISO 15189 und ggf. Kapitel zur Herstellung (s. Artikel 5 (5) b) und c)) |
Weitere Forderungen gemäß IVDR Artikel 5 (5) |
Tab. 1: Gegenüberstellung der bisherigen und zukünftigen Anforderungen zum Betrieb von Produkten aus Eigenherstellung (LDT).
Soweit sind die Aufwände zur Umstellung auf die IVDR bei Erfüllung der bereits bestehenden Anforderungen überschaubar. Wesentlich ist aber der Punkt d des Artikels 5 (5), der besagt, dass Sie Ihr LDT nicht betreiben dürfen, sofern es für den Einsatzzweck ein Produkt mit mindestens dem gleichen Leistungsniveau im Markt gibt. Das dies nicht der Fall ist, muss schriftlich begründet werden, um das LDT betreiben zu dürfen. Prüfen Sie den Markt am besten jetzt schon. Gibt es nämlich ein entsprechendes Produkt im Markt, müssen Sie sich dringend eine Strategie für das Jahr 2022 überlegen.
Um nun die Anforderungen aus Anhang I der IVDR (und bisher auch der IVDD) zu erfüllen und ihr LDT betreiben zu dürfen, sollten medizinische Laboratorien u. a. Folgendes beachten: Durch das Formulieren der Zweckbestimmung wird die Verwendung des LDT spezifiziert. Die Zweckbestimmung gibt vor, welche Aufwände zu leisten sind, um die Anforderungen an das Risikomanagement (ISO 14971) und die Gebrauchstauglichkeit (IEC 62366-1) zu erfüllen. Bei Software – alleinstehend oder als Bestandteil des Produktes (inkl. selbst entwickelter Auswertesoftware) – sind die Grundsätze des Software-Lebenszyklus gemäß IEC 62304 einzuhalten. Zudem muss eine Leistungsbewertung anhand des allgemein anerkannten Stands der Technik durchgeführt werden.
Fazit
Betrachtet man die Gesamtheit der Anforderungen der IVDR und das zusätzliche Risiko, dass der selbstentwickelte LDT nicht mehr verwendet werden darf, sobald ein gleichartiges Produkt mit vergleichbaren oder besseren Leistungsdaten kommerziell verfügbar ist, bietet es sich für manch ein Labor ggf. an, den LDT als CE-markiertes IVD in Verkehr zu bringen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Mehraufwand (z. B. QMS nach ISO 13485 und Ergänzung der Technischen Dokumentation) kann je nach Produktklasse, Vollständigkeit der bereits bestehenden Dokumentation und Know-how der Mitarbeitenden überschaubar sein. Die Gefahr, den LDT aufgrund eines kommerziell verfügbaren Produkts nicht mehr betreiben zu dürfen, ist dann hinfällig. Und durch das Erschließen einer weiteren Einnahmequelle (Kommerzialisierung) können durch zusätzliche regulatorische Aufwände entstandene Posten beglichen werden.