Vom Männerschnupfen zur Blutvergiftung

Update Sepsisdiagnostik

Obwohl Laborergebnisse in der aktuellen Sepsisleitlinie nur eine untergeordnete Rolle spielen, sind Erregernachweise und Biomarker der Entzündung unverzichtbar für die Diagnostik und Prognoseeinschätzung. Ein Grund für die Zurückhaltung sind die zum Teil hohen Kosten neuerer Assays, doch es gibt es auch „Nebenprodukte“ des maschinellen Blutbilds, die ohne Mehraufwand Aussagen zur Schwere der Erkrankung erlauben.
Schlüsselwörter: Sepsis, Leitlinie, CRP, PCT, IL-6, Presepsin, proADM, RDW, MNV, MMV, Laktat

Die Sepsis ist eine lebensbedrohliche Folge schwerer systemischer Erkrankungen, insbesondere von Infektionen, bei denen Bakterien oder selten auch Pilze im Blut nachgewiesen werden – daher der Name „Blutvergiftung“. In Deutschland erkranken jährlich rund 150.000 Menschen daran, und etwa 60.000 Patienten versterben. Damit ist Sepsis die dritthäufigste Todesursache insgesamt, und auf Intensivstationen sogar die häufigste. Die direkten Kosten betragen 1,7 Mil­liarden € jährlich bzw. rund ein Drittel des gesamten intensivmedizinischen Budgets.
Trotz intensiver Forschung gibt es seit Jahren kaum entscheidende Fortschritte bei der Diagnostik und Therapie. Der erste Innovationssprung war die Einführung der Blutkultur (ca. 1880). Es folgte die therapeutische Nutzung von Antibiotika vor über 60 Jahren und die Einführung der Intensivmedizin vor etwa 50 Jahren.
Am Center for Sepsis Control und Care (CSCC) der Universität Jena ist das bundesweit einzige integrierte Forschungs- und Behandlungszentrum für Sepsis-Erkrankungen angesiedelt (SepNet, Kompetenznetz Sepsis des BMBF). Von 2015 bis 2020 fließen dorthin 24 Millionen Euro des BMBF, um das Wissen zur Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie zu verbessern.

Labordiagnostik

Entscheidend ist die frühe Diagnose einer Sepsis, denn je früher sie erkannt wird, desto besser lässt sie sich behandeln. Wie aber unterscheidet sich ein Patient mit einem banalen „Männerschnupfen“ – tatsächlich leiden Männer bei Virusinfekten der oberen Luftwege stärker als Frauen – von einem bakteriell infizierten Patienten, der gegebenenfalls antibiotisch behandelt werden muss? Und was kann das Labor dazu beitragen, eine Pneumonie mit möglicherweise drohender Sepsis frühzeitig zu erkennen?
Die Labormedizin hat einige in der Praxis gut etablierte Biomarker für den Nachweis und die Schwere einer Entzündungsreaktion im Repertoire (Tab. 1). Aussagekräftig sind sie mangels diagnostischer Spezifität immer nur in Zusammenschau mit der Klinik, und vielleicht ist dies der Grund, warum die aktuelle Leitlinie [1] in der Erstabklärung der Sepsis großteils auf Laborwerte verzichtet. Lediglich die Abnahme von Blutkulturen und die Messung des Laktatwertes finden dort Erwähnung. Erst in zweiter Linie wird die Bestimmung weiterer Marker – expressis verbis Procalcitonin (PCT) – genannt. Wegen der mangelnden Berücksichtigung von Entzündungsmarkern gibt es durchaus Kritik an dieser Leitlinie [2].
PCT dient der Abgrenzung einer bakteriellen von einer viralen Infektion und steigt im Vorfeld einer Sepsis rascher als CRP an. Es sollte auch bestimmt werden, um bei einem unauffälligen Wert eine begonnene Antibiose ohne Gefahr der Exacerbation wieder abzusetzen zu können. Die Einsicht, dass Labordiagnostik zur restriktiveren Anwendung von Antibiotika – und damit zur Vermeidung von Resistenzentwicklungen führt, hat sich auch bei der Kassenärztlichen Vereinigung durchgesetzt. So wird seit April 2018 die Bestimmung von PCT sowie der Nachweis von Bakterien – auch mit MALDI-TOF1 –  und deren Resistenzmuster vor Gabe eines Antibiotikums bezahlt (EBM 32459), obwohl dies deutlich teurer ist als das Antibiotikum selbst. Respekt!
 Bei der Erstvorstellung des Patienten in der Praxis können einfach zugängliche Entzündungsmarker wie CRP und Leukozytenzahl mit Nachweis einer Linksverschiebung bereits wegweisend sein. In jüngerer Zeit wurden weitere interessante Parameter des maschinellen Blutbilds evaluiert, die ohne Mehraufwand und Mehrkosten einen Hinweis auf die Schwere der Erkrankung geben. Dazu gehört insbesondere eine gesteigerte Heterogenität der Erythrozyten und Leukozyten (Tab. 1). Eine Poikilozytose, die durch den Parameter RDW (red cell distribution width) quantifiziert werden kann, spricht für eine hämatopoetische Imbalance bei schweren Entzündungen [3], die mit der Mortalität der Sepsis korreliert ist [4]. Das mittlere Volumen von Neutrophilen (MNV) und Monozyten (MMV) diskriminiert zwischen Sepsis und lokalen Infektionen [5].
Bei schweren Infekten und insbesondere beim septischen Schock stehen weitere Laborwerte zur Verfügung, die die Schädigung von Organen einzuschätzen helfen. Hierzu gehören Leber- und Nierenwerte, Elektrolyte, Glukose und Laktat, sowie Gerinnungswerte einschließlich der D-Di­mere und Fibrinmonomere, die Hinweise auf eine disseminierte intravasale Koagulopathie geben.

Ausblick

Solange die Pathogenese der Sepsis nicht aufgeklärt ist, wird die Indika­tionsstellung für Biomarker der Entzündung wohl weiterhin im Fokus kontroverser Diskussionen stehen – nicht zuletzt auch aus Kostengründen, da einige dieser Bestimmungen sehr teuer sind. Während man zum Beispiel am Universitätsklinikum Aachen mehr als eine Million Euro jährlich für PCT-Bestimmungen ausgibt, wird wenige Kilometer hinter der Grenze von Belgien an der Universität Maastricht überhaupt kein PCT bestimmt.
CRP, PCT und IL-6 (vor allem bei Kindern) haben ihren Wert in der praktischen Anwendung inzwischen bewiesen, proADM und Presepsin werden derzeit auf ihren Zusatznutzen geprüft, und weitere Erfolg versprechende Marker sind in Entwicklung. Wollen wir hoffen, dass intensive Forschung die Rätsel der Sepsis baldmöglichst löst – und dass das Sepsiszentrum in Jena nicht das einzige in Deutschland bleibt.


Autor
Prof. Dr. med. Rudolf Gruber
PD Dr. med. Andreas Ambrosch
Mitglieder der Redaktion
Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg
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