Supplementation für alle?
Vitamin D – eine Übersicht über die Versorgungslage und Gesundheitseffekte
Mehr als 80% der deutschen Bevölkerung weisen im Winter niedrige Vitamin-D-Spiegel auf. Diese erhöhen nicht nur das Risiko für Osteomalazie, sondern sind beispielsweise auch mit Krebserkrankungen und kardiovaskulären Ereignissen, sowie einer erhöhten Mortalität assoziiert. Daher widmen sich zahlreiche Studien der Frage, ob und wann Vitamin D in welcher Dosierung supplementiert werden sollte.
Schlüsselwörter: Vitamin-D-Status, 25-Hydroxy-Vitamin-D, Frakturrisiko, Supplementation
In den vergangenen 20 Jahren wurde dem Vitamin D eine hohe Aufmerksamkeit zuteil, nachdem erste Studien zeigten, dass ein Großteil der Bevölkerung in westlichen Ländern unterversorgt ist [1].
Diese Befunde waren nicht nur im Hinblick auf die Knochengesundheit alarmierend, sondern auch im Hinblick auf umfassendere Gesundheitseffekte einer ausreichenden Vitamin-D-Versorgung: In zahlreichen Kohortenstudien waren niedrige Vitamin-D-Konzentrationen mit einem erhöhten Mortalitäts- und Erkrankungsrisiko assoziiert [2]. Obwohl bereits zu diesem Zeitpunkt eine Vielzahl von Studien zum Effekt einer Vitamin-D-Supplementation durchgeführt wurden, hatten diese als Endpunkte in der Regel Parameter des Knochenstoffwechsels und nicht metabolische Biomarker [3]. Zudem entstand eine lebhafte Diskussion über den Beitrag der Ernährung im Verhältnis zu dem der endogenen Synthese des Vitamins (Abb. 1) – auch im Hinblick auf die begrenzte Anzahl an Lebensmitteln, die nennenswerte Mengen Vitamin D enthalten – und die veränderten Lebensgewohnheiten (u. a. weniger Zeit im Freien, aktiver Sonnenschutz durch Sonnencremes).
Wie ist nun der Vitamin-D-Status im Allgemeinen zu beurteilen, und ist eine flächendeckende Supplementation wenigstens in den Wintermonaten, evtl. sogar während des ganzen Jahres angezeigt? Welche Gesundheitseffekte einer Vitamin-D-Supplementation sind zu erwarten, und welche Mengen müssen hierfür eingenommen werden?
Vitamin-D-Status
Der Vitamin-D-Status wird durch die Messung des 25-Hydroxy-Vitamin-D (25(OH)D) bestimmt. Hierbei ist zu beachten, dass die Werte innerhalb eines Jahres um den Faktor 2 schwanken können [4]. Die niedrigsten Spiegel werden für gewöhnlich im Februar/März gemessen, die höchsten Werte im September/Oktober. Im Allgemeinen gilt eine Konzentration des 25(OH)D von 50 nmol/l oder höher als angemessen (European Food Safety Authority (EFSA), Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE)), obwohl auch höhere Werte als untere Grenze vorgeschlagen wurden (> 75 nmol/l, Endocrine Society). Im Jahresdurchschnitt weisen ca. 61% der deutschen Bevölkerung Werte < 50 nmol/l auf, wobei im Sommer deutlich weniger als 50% betroffen sind, im Winter ca. 80% [5]. Eine höhere Konzentration als 75 nmol/l wird im Jahresmittel nur bei ca. 12% der untersuchten Personen gemessen, während ca. 30% mit Werten von weniger als 30 nmol/l einen Vitamin-D-Mangel aufweisen bzw. ein erhöhtes Risiko haben, an Osteomalazie zu erkranken.
Die 25(OH)D-Konzentration im Blut kann durch eine Vitamin-D-Supplementation erhöht werden. Hierbei gilt, dass die Ausgangskonzentration eine entscheidende Rolle spielt: Je niedriger der Ausgangswert ist, desto ausgeprägter ist der Anstieg der 25(OH)D-Konzentration. Darüber hinaus spielt auch die Dosis eine Rolle, obwohl die Dosis-Wirkungsbeziehung gerade bei den häufig verwendeten Mengen von 5–20 µg/d nicht sehr ausgeprägt ist.
Gesundheitseffekte
Die Studienlage zur Frage, ob eine Vitamin-D-Supplementation das Frakturrisiko senken kann, ist unübersichtlich: Bereits in den 1990er- und 2000er-Jahren untersuchten randomisierte klinische Studien den Effekt einer Vitamin-D-Gabe auf die Knochengesundheit und das Frakturrisiko. Die Ergebnisse wurden anschließend in einer Reihe von Meta-Analysen mit unterschiedlichen Ein-und Ausschlusskriterien zusammengefasst, weshalb sie auch unterschiedliche Resultate lieferten. Eine signifikante Verringerung des Frakturrisikos wurde durch eine kombinierte Vitamin-D- und Calcium-Supplementation bei älteren Menschen (65+) beobachtet, nicht jedoch in den Meta-Analysen aus Studien mit jüngeren Teilnehmern (50+) und Studien, in denen Vitamin D als Bolus gegeben wurde. Da jedoch die meisten sturzbedingten Frakturen – insbesondere der Hüfte – bei älteren Menschen auftreten, scheint eine Vitamin-D- und Calcium-Supplementation bei diesen zur Verringerung des Frakturrisikos durchaus angemessen [6]. Hierzu werden Tagesdosen von 800–1.000 IU Vitamin D3 (20–25 µg/d) vorgeschlagen.
Unabhängig von der Wirkung des Vitamin D auf die Knochengesundheit wurden in zahlreichen prospektiven Kohortenstudien Assoziationen von niedrigen 25(OH)D-Konzentrationen mit Krankheitsereignissen und Mortalität berichtet [2, 7]. Um die Kausalität zu überprüfen, wurde eine Reihe von randomisierten klinischen Studien mit relativ hochdosierten Vitamin-D-Gaben (+/- Calcium) bei verschiedenen Krankheitsbildern und Endpunkten durchgeführt (Tab. 1). In diese Studien wurden meist Hochrisikopatienten unabhängig von ihrem 25(OH)D-
Ausgangswert eingeschlossen, die über mehrere Jahre entweder Vitamin D (+/- Calcium) oder Placebo erhielten. Untersuchte Endpunkte waren dabei Mortalität, kardiovaskuläre Ereignisse, Krebserkrankungen oder eine erstmals gestellte Diabetesdiagnose. Insgesamt nahmen mehr als 30.000 Patienten teil und wurden mit täglichen Vitamin-D-Dosierungen von 2.000 oder 4.000 IU (50 bzw. 100 µg), oder einer wöchentlichen Dosis von 20.000 IU[8] über einen Zeitraum von 2,5 bis 5 Jahren behandelt. In keiner der oben genannten Studien war ein Vitamin-D-Mangel ein Einschlusskriterium, lediglich bei Zittermann gab es eine obere Grenze von 75 nmol/l als Ausschlusskriterium [9]. Die mittleren 25(OH)D-Konzentrationen betrugen zu Beginn zwischen 35 und 82 nmol/l, und alle Autoren berichteten über signifikante Erhöhungen der 25(OH)D-
Konzentration in der Verumgruppe im Laufe der Studie. In fast allen Studien war die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM), die Vitamin D enthielten, für alle Teilnehmer erlaubt. Dies führte z. B. in der Studie von Lappe [10] zur mittleren täglichen Aufnahme von Vitamin D aus NEM in Höhe von 740 IU (Verumgruppe) und 869 IU (Placebogruppe).
In keiner der beschriebenen Studien wurde ein signifikanter Effekt der Vitamin-D-Supplementation auf den primären Endpunkt beobachtet (siehe Tab. 1). Weder wurden die Erkrankungsrate von Tumoren oder Diabetes mellitus beeinflusst, noch die Anzahl der Todesfälle bei Patienten mit Herzinsuffizienz durch die Vitamin-D-Gabe signifikant verringert. Positiv anzumerken ist, dass in nahezu allen Studien nur wenige Nebenwirkungen auftraten, deren Anzahl sich in der Verumgruppe und der Placebogruppe nicht unterschied. Eine Ausnahme stellt die Studie von Zittermann [9] dar, in der ein signifikantes höheres Risiko für die Implantation von Herzunterstützungssystemen (sekundärer Endpunkt, n = 43, HR 1,96 (1,04–3,66)) berichtet wurde.
In dieser, wie auch in der Studie von Pittas [11], wurde hochdosiertes Vitamin D3 über mehrere Jahre verabreicht. 4.000 IU
(100 µg) entsprechen der höchsten täglichen Menge, die nach Einschätzung der EFSA über einen längeren Zeitraum eingenommen werden kann, ohne dass mit schweren Nebenwirkungen zu rechnen ist. Ebenso waren hier zahlreiche Patienten mit niedrigen Vitamin-D-Konzentrationen eingeschlossen, während in den anderen Studien überwiegend Personen mit normalen oder hohen 25(OH)D-Konzentrationen teilnahmen. Die geringe Anzahl von Patienten mit einem Vitamin-D-Mangel verhinderte deshalb für diese Subgruppe eine valide statistische Auswertung aufgrund der fehlenden statistischen Stärke.
Im Allgemeinen kann aus den klinischen Studien geschlossen werden, dass hochdosiertes Vitamin D über längere Zeiträume von bis zu mehreren Jahren sicher ist, und nicht mit einer höheren Rate an Hyperkalzämie oder Nierensteinen einhergeht. Lediglich in der Women‘s Health Initiative Investigators-(WHI)-Studie [12] wurde in der Calcium-/Vitamin-D-Gruppe ein leicht erhöhtes Risiko für Nierensteine (HR 1,17 (1,02–1,34)) beobachtet. Hier sollte weiter untersucht werden, ob es sich um geschlechtsspezifisches Phänomen handelt, und welche Rolle die zusätzliche Einnahme von Calcium hat.
Empfehlungen zur Einnahme
Angesichts der unterschiedlichen Ergebnisse der Beobachtungsstudien und der klinischen Interventionsstudien ergibt sich nun für die Praxis ein Dilemma. Die Interventionsstudien rechtfertigen nicht, bei Vorliegen von normalen 25(OH)D-Konzentrationen eine Supplementierung zu empfehlen, sie rechtfertigen angesichts des relativ niedrigen Nebenwirkungsspektrums und des Fehlens negativer Gesundheitseffekte aber auch nicht, Patienten mit einem Vitamin-D-Mangel (25(OH)D < 30 nmol/l) oder Patienten mit 25(OH)D-
Werten im Bereich von 30–50 nmol/l nicht zu behandeln. Allerdings sollte nicht nach dem Prinzip „Viel hilft viel“ vorgegangen werden, da die eventuell negative Bedeutung von 25(OH)D-Konzentrationen > 100 nmol/l bisher nicht geklärt wurde [7, 9]. Bei Patienten mit einem Vitamin-D-Mangel (25(OH)D < 30 nmol/l) sollten, auch mit Blick auf das erhöhte Osteomalazierisiko, bei derartig niedrigen Werten, durch Supplementation Werte im Normalbereich angestrebt werden. Dies betrifft insbesondere eine Einnahme in den Wintermonaten, in denen es aufgrund der fehlenden UVB-Exposition ansonsten zu einem Abfall der 25(OH)D-Konzentration kommt. Hierzu sollte man Dosierungen im Bereich der empfohlenen Tagesmenge (10–20 µg/d) wählen, und die Serumkonzentration frühestens nach dem Einstellen eines Gleichgewichtes nach 8, besser nach 12 Wochen überprüfen [13]. Patienten mit intermediären Werten (30–50 nmol/l) im Winter benötigen eine niedrigdosierte Supplementation (5–10 µg/d), und den Hinweis, sich ab April bevorzugt im Freien aufzuhalten, um die endogene Synthese zu ermöglichen. Patienten, die sich Vitamin-D-reich ernähren wollen, seien auf Fettfische (Lachs, Makrele, Hering [14]) und Eier verwiesen, die gute Vitamin-D-Quellen in der Ernährung darstellen und nachweislich den Vitamin-D-Status bei regelmäßigem Verzehr verbessern können.