Serum-Indizes – kritisch hinterfragt

Analytische Fehler und medizinische Entscheidungsgrenzen in der Pädiatrie

Serum-Indizes erlauben Aussagen über die Qualität der Präanalytik. Bei pädiatrischen Proben können sie jedoch zu unverhältnismäßig vielen Zurückweisungen führen. In eigenen Interferenzversuchen haben wir die Hersteller­angaben überprüft und die relevanten Indizes für Bilirubin und Laktat erfolgreich korrigiert.

Schlüsselwörter: Serumindizes, Präanalytik, Entscheidungsgrenzen, Pädiatrie, Bilirubin, Laktat

 

Interferenzen durch Hämolyse, Ikterus oder lipämische Trübung der Patientenprobe können je nach Analyt zu falsch hohen oder falsch niedrigen Analyse­ergebnissen führen[1]. Um das Ausmaß dieser Störung schon vor der eigentlichen Messung zu quantifizieren, führen heute die meisten klinisch-chemischen Analyzer eine einfache fotometrische Messung bei verschiedenen Wellenlängen durch. Sie ist der Beurteilung der Probe durch das menschliche Auge klar überlegen: Studien aus den 90er-Jahren haben gezeigt, dass der visuelle Eindruck so gut wie nicht mit den objektiven Messwerten der Interferenzen übereinstimmt[2].

Der Einfluss dieser als Serum-Indizes bezeichneten Interferenzmessungen auf eine bestimmte Messmethode wird üblicherweise in einem Interferenzversuch nach Glick bestimmt[3]. Hierzu setzt man einer weitestgehend interferenzfreien Probe eine steigende Konzentration des Störfaktors zu und protokolliert die Abweichung des Messwertes vom erwarteten Ergebnis. Dabei sollte die Konzentration des Analyten an der medizinischen Entscheidungsgrenze liegen.

Der Autor der Originalarbeit sieht eine Abweichung von bis zu 10% als akzeptabel an. Bei größeren Abweichungen betrachtet man die Methode als gestört und gibt auf dem Befund anstelle eines Messwerts Textkürzel wie lipämisch, ikterisch oder hämolytisch aus. Diesem Konzept folgen auch viele Diagnostika-Hersteller, doch man muss sich fragen: Ist das auch sinnvoll? Warum 10 und nicht 5 oder 15 Prozent? Warum dieselbe Abweichung für alle Analyte ohne Berücksichtigung der biologischen Streuung? Eine etwas differenziertere, aber ebenfalls nicht immer nachvollziehbare Sichtweise findet man in der Tabelle B1 der RiliBÄK: Die in Spalte 3 geforderte „zulässige relative Abweichung des Einzelwertes" beträgt z. B. für Gesamteiweiß 6%, für Troponin I aber 20%. Ein Kardiologe wird hier möglicherweise vermuten, die Zahlen seien versehentlich vertauscht worden.

 

Das Dilemma der Pädiatrie

Gerade bei Untersuchungen an Kindern werfen Serum-Indizes Probleme auf: Bei Neugeborenen und Säuglingen ist es fast unmöglich, Blut absolut hämolysefrei abzunehmen, und ikterische Proben sind nach der Geburt sogar physiologisch. Ausgerechnet einige in der Pädiatrie wichtige Analyte werden durch Hämolyse oder Ikterus besonders stark gestört. Im Folgenden soll dieses Dilemma am Beispiel von Laktat und Bilirubin (cobas 6000, Roche) illustriert werden – nicht ohne mögliche Auswege aufzuzeigen. Eigene Auswertungen zeigen, dass die durchschnittliche Hämolyserate – gemessen in vielen Proben über mehrere Jahre – invers mit dem Alter korreliert (Abb. 1). Im Alter von 1 bis 14 Tagen lag der mittlere Hämolyse-Index bei 55 (n = 3.182) und damit deutlich über dem bei älteren Kindern gemessenen Wert von 14 (n = 4.253). Das heißt, dass gerade bei den kleinsten Patienten eine große Zahl der Messwerte auf „hämolytisch" gesetzt werden muss.

Seit Kurzem hat der Hersteller einen verbesserten Test für das Gesamtbilirubin eingeführt, bei dem der maximal zulässige Hämolyse-Index von 300 auf 800 erhöht wurde. Der Test für das direkte Bilirubin ist aber weiterhin hochgradig empfindlich auf Hämolyse; hier liegt der maximal zulässige Hämolyse-Index bei nur 25. Mit dieser Vorgabe könnte man in 49% der Proben kein direktes Bilirubin ausgeben; doch gerade dieser Wert ist für den Pädiater besonders wichtig, um einen physiologischen Neugeborenenikterus von einer Stoffwechselstörung oder Leber­erkrankung zu unterscheiden.

Es erschien folglich sinnvoll, die Herstellervorgaben kritisch zu hinterfragen. Dabei war uns die biologische Variabilität, die sonst oft ein guter Parameter für die Beurteilung des zulässigen analytischen Fehlers sein kann, leider nicht hilfreich, da das Bilirubin beim Neugeborenen starken physiologischen Schwankungen unterliegt.

 

Interferenzversuch für Bilirubin

Ersatzweise haben wir einen eigenen Interferenzversuch nach Glick durchgeführt. Interessanterweise fand sich bei einer Gesamtbilirubinkonzentration von 1 mg/dl (Referenzgrenze Erwachsener) bis zu einem Hämolyse-Index von 1.100 keine signifikante Beeinflussung des Messwertes. Dasselbe Ergebnis erhielten wir für Proben mit erhöhtem indirektem bzw. überwiegend direktem Gesamtbilirubin (5,7 bzw. 9,6 mg/dl). Auf Basis dieser Experimente konnten wir den zulässigen Hämolyse-Index ohne Verlust an Qualität auf 1.100 erhöhen und die Zahl der nicht bearbeitbaren Proben auf 0,2% senken (7 von 3.182).

Beim direkten Bilirubin setzten wir nach Diskussion mit unseren Pädiatern den medizinisch akzeptablen Fehler 50% herauf. Auch wenn dieser Wert auf den ersten Blick sehr hoch erscheint, darf nicht vergessen werden, dass das direkte immer im Zusammenhang mit dem gesamten Bilirubin gesehen wird, und die unterschiedlichen Pathophysiologien der zugrunde liegenden Erkrankungen recht eindeutig sind: Beim typischen Neugeborenen-Ikterus liegt der Anteil des direkten Bilirubins unter 20%, bei Lebererkrankungen meist über 70%. Damit erlaubt das direkte Bilirubin auch mit einem hohen analytischen Messfehler fast immer eine eindeutige Zuordnung.

Im Interferenzversuch bestimmten wir folglich durch Interpolation denjenigen Hämolyse-Index, bei dem die Abweichung des direkten Bilirubins vom erwarteten Wert bei 50% liegt. Er betrug bei einem niedrigen direkten Bilirubinwert 198 und bei einem hohen Wert 496. Da niedrige Werte in der Pädiatrie wichtiger sind, entschieden wir uns für einen zulässigen Hämolyse-Index von 200, also immer noch deutlich über der Herstellerangabe von 35. Dies führte dazu, dass die Anzahl der auf „hämolytisch" gesetzten Proben für das direkte Bilirubin von 49% auf 3% zurückging.

 

Interferenzversuch für Laktat

Ein ähnliches Vorgehen wählten wir auch für die Bestimmung des Laktats. Hier ist der Ikterus ein relevanter Störfaktor, der eine Laktatmessung bei Neugeborenen oft unmöglich macht. Die Grenzwerte des Herstellers liegen für direktes Bilirubin bei 28, für indirektes Bilirubin bei 60. Auch hier entsprechen die dimensionslosen Kennzahlen in etwa der Störfaktorkonzentration in mg/dl.

Um auch hier die Anzahl der als nicht messbar zurückgewiesenen Proben zu vermindern, erhöhten wir den herstellerseitig im Gerät hinterlegten Ikterus-Index bei Kindern unter 4 Wochen in der Labor-EDV von 28 auf 60. Davon ausgehend, dass es sich bei Neugeborenen in aller Regel um eine indirekte Hyperbilirubinämie handelt, erschien dieses Vorgehen in Abstimmung mit den Pädiatern gerechtfertigt. Durch diese Maßnahme sank die Zahl der zurückgewiesenen Proben von 4,8% auf 0%.

 

Fazit

Unsere kleine Studie soll keineswegs den Wert von Serum-Indizes als mächtiges und sinnvolles Werkzeug zur Überwachung der präanalytischen Qualität von Blutproben infrage stellen. Gerade für pädiatrische Proben aber, die in der Prä­analytik bestimmten unvermeidbaren Restriktionen unterliegen, erscheint es geboten, Herstellerangaben zu Interferenzen kritisch zu hinterfragen und auf ihren Bezug zur medizinischen Relevanz eines Messwertes zu überprüfen.

Der Beitrag soll auch zeigen, dass je nach Analyt und Störfaktor unterschiedliche Strategien sinnvoll sind, deren Auswahl klinische und laboranalytische Expertise erfordert. Und schließlich ist festzuhalten: Genauigkeit der Analytik darf kein Selbstzweck sein. Unter medizinischen Aspekten können Vorgaben für die zulässige Abweichung von Messwerten sinnvoll sein, die von einer rein technischen Sichtweise abweichen.