Wie tolerant müssen (dürfen) Laborärzte sein?

Schwerpunkt pädiatrisches Labor

Auf der Suche nach der möglichst perfekten Probe für möglichst perfekte Laborwerte sind wir bei der Material­annahme schnell bereit, Kürzel wie zwm (zu wenig Material) oder fm (falsches Material) einzutippen. Oder wir verweigern die Herausgabe der Ergebnisse, weil der HIL-Check (Hämo­lyse/Ikterus/Lipämie) die Toleranzgrenzen für die verwendete Methode überschritten hat.

Jeder, der mit pädiatrischen Proben zu tun hat, sollte sich den Artikel von Frau Dr. Uta Duppel auf S. 192 durchlesen. Für den Pädiater und die Kinderkranken­pflegerin, für die Eltern und natürlich auch für das Kind selbst ist jede Blutabnahme eine Herausforderung. Einfach noch mal neu abnehmen, weil die Probe hämolytisch ist – das überlegt man sich bei den kleinen Patienten zweimal.

 

Neue Entwicklungen

Was also können wir von Laborseite beitragen, um aus einer nicht perfekten Probe möglichst viel „herauszuholen"? Bei aller berechtigten Grundsatzdiskussion über die Akzeptanz von Abnahmevorschriften und Messungenauigkeiten sollten wir uns ernsthaft überlegen, ob wir unter bestimmten Umständen (natürlich immer auf Basis solider Daten) die Toleranzgrenzen erweitern können, um die obigen Kürzel auf ein Mindestmaß zu beschränken.

Ebenso wichtig erscheint aber speziell für das pädiatrische Labor die Offenheit gegenüber neuen technischen Ansätzen. So wurde von der FDA im Februar 2017 ein innovatives ­System zur nahezu schmerzlosen Blutabnahme für die HbA1c-Bestimmung zugelassen[1], das sich prinzipiell auch für andere labor­diagnostische Analysen eignet. 30 Mikro­nadeln punktieren dabei die Haut und entnehmen 100 µl Kapillarblut – nur. Oder sollten wir besser „immerhin" sagen? Jetzt sind die Testhersteller gefragt: Was kann man bereits heute aus 100 µl Kapillarblut bestimmen? Und was in Zukunft?

 

Kooperativer Dialog

Ebenso wie das Labor muss auch die Diagnostika-Industrie bereit sein, darüber nachzudenken, welcher Grad an Perfek­tion wirklich für die Einhaltung regulatorischer Vorgaben nötig ist. Alle kennen diese lapidaren Rundschreiben, wonach zum Beispiel für die Hepatitis-A-Serologie „ab sofort Heparinplasma nicht mehr zuge­lassen ist". Für die Bestimmung bei Erwachsenen mag es nur lästig sein, wenn das Labor „ab sofort" ein zusätzliches Röhrchen anfordern muss. Für die Pädiatrie ist es grausam: Ein zusätzliches Röhrchen heißt 100% mehr Blut, heißt fünf Minuten längeres Schreien des Babies. Und das vielleicht nur, weil der Anti-HAV-Wert bei einer Kontrolle der Impf­titer in einer von tausend Heparin-Proben unter dem Cut-off lag. Hier ist ein kooperativer Dialog zwischen Hersteller und Labor nötig, um die klinische Relevanz zu hinterfragen – und bei Bedarf von der Empfehlung abzuweichen.

Künftig wird die Zahl der Problem­proben im Krankenhaus nicht ab-, sondern eher zunehmen, denn wir behandeln immer mehr Frühchen mit 500 g Körpergewicht, während das Gros der Patienten immer älter wird. Beides führt sicher nicht zu perfekteren Proben.

 

Prof. Dr. med. Rudolf Gruber

Mitglied der Redaktion

[1] www.medpagetoday.com/endocrinology/diabetes/63431