Algorithmen statt Leberbiopsie

Multiparametrische Labordiagnostik der Leberfibrose

Multiparametrische Indizes und Scores sind einzelnen Biomarkern bei der Diagnostik der Leberfibrose überlegen. Zur weiteren Steigerung der diagnostischen Validität sollen sie mit bildgebenden Verfahren kombiniert werden. Bei Übereinstimmung der Befunde kann man in der Regel auf eine Leberbiopsie verzichten.
Schlüsselwörter: Leberfibrose, Leberzirrhose, Indizes, Scores, AUROC

 Trotz unterschiedlicher Ätiologie – vom Alkoholabusus bis zur Virushepatitis – führen bei chronischen Lebererkrankungen ähnliche Entzündungsmechanismen zu ähnlichen pathologischen Resultaten: Es kommt zu einem Umbau der Läppchenstruktur, die in eine zunächst noch reversible Leberfibrose und schließlich in eine irreversible Leberzirrhose mündet. Deshalb ist das Fibrosestadium ein wichtiger Prädiktor der Morbidität und Mortalität.
Auf zellulärer Ebene durchlaufen hepatische Sternzellen (HSC) im Zuge eines Transaktivierungsprozesses einen „phänotypischen Switch“: Getriggert durch das Zusammenspiel verschiedener Zelltypen und löslicher Mediatoren entstehen myo­fibroblastenartige Zellen, die vermehrt extrazelluläre Matrix (EZM) bilden. Dabei entstehen faserige Strukturen – daher der Name „Fibrose“  –  aus Kollagen, Fibro­nektin, Proteoglykanen u. ä. (Abb. 1).

Nicht-invasive Fibrosediagnostik
Die Leberbiopsie gilt zwar als Goldstandard der Fibrosediagnostik, doch aufgrund der mit diesem Eingriff verbundenen Risiken wie etwa Blutung, Peritonitis, Pneumo- und Hämothorax besteht großer Bedarf an nicht-invasiven Verfahren auf der Basis von Bildgebung oder Laborwerten. 
Die Ultraschalluntersuchung mittels Elastometrie und Elastografie (FibroScan, ARFI u. ä.) erlaubt zwar eine ungefährliche Abschätzung des Ausmaßes narbiger Umbauprozesse, ist jedoch relativ geräte- und personalaufwendig, störanfällig (z. B. bei adipösen Personen) und zu unempfindlich für die klinisch bedeutsamen Frühstadien einer Leberfibrose. Deshalb werden derzeit humorale Fibrosemarker intensiv als differenzialdiagnostisches und prognostisches Werkzeug der Hepatologie untersucht[1].

Multivariate Diagnostik
Der behandelnde Arzt erwartet von einem modernen Labortest sowohl eine valide Stadieneinteilung der Fibrose zur Abschätzung der Prognose und Therapieindikation als auch Aussagen zur Dynamik des Umbauprozesses, um die Effizienz der Therapie (Besserung, Stillstand, Progression) beurteilen zu können. Standardmessgrößen des klinisch-chemischen Routinelabors sind AST, ALT, γGT, Albumin, CHE, Bilirubin, γGlobulin, Thrombozyten und INR.
Sie erzielen bei sorgfältig selektierten Patienten zum Teil recht gute Werte für die Erkennung eines fibrotischen Umbaus (AUROC > 0,8*). In der Praxis erweisen sie sich jedoch als nicht spezifisch genug, da viele andere Krankheiten zu ähnlichen Veränderungen der Laborwerte führen. In jüngerer Zeit wurden deshalb zahlreiche multiparametrische Scores publiziert, die auch klinische Angaben wie Alter und BMI beinhalten. Neben diesen allgemein zugänglichen Formeln gibt es komplexere Algorithmen mit zum Teil patentierten Gleichungen (ELF-Test, FibroTest, Fibrometer, Hepascore), die Marker aus dem Speziallabor wie ApoA1, α2-Makroglobulin oder Haptoglobin sowie Messgrößen des hepatischen EZM-Metabolismus beinhalten. 


Einfache Indizes und Scores
Als Index bezeichnet man in der Medizin meist einfache Produkte und Quotienten aus gleichartigen Messwerten (z. B. Body Mass Index aus Körpergewicht und Körpergröße), als Score dagegen komplexere Formeln, deren Variable auch aus unterschiedlichen diagnostischen Welten (klinische Angaben, Laborwerte, Bildgebung usw.) stammen können. Sinnvoll eingesetzt stellen selbst Indizes aus ubiquitär verfügbaren Laborwerten ein nützliches diagnostisches Hilfsmittel dar. So korreliert die altbewährte AAR (AST to ALT Ratio, sog. De-Ritis-Quotient) gut mit dem histologischen Staging und findet sich vor allem in erweiterten Scores zur Fibrose­abschätzung bei Steatohepatitis wieder. Zu beachten ist aber, dass die Korrelation nicht bei alkoholtoxischen Leberschäden gilt, da es durch eine ALT-Suppression bereits in präfibrotischen Stadien zu einer AAR-Erhöhung kommen kann. Ferner führen Muskel- und Herzerkrankungen zu einer AST-Erhöhung, die die AAR verfälscht.
Die am weitesten verbreiteten einfachen Indizes sind der APRI (AST-to-Platelet-Ratio-Index), der Forns-Index und FIB-4 (Tab. 1). Sie wurden vor allem an Patienten mit Hepatitis C evaluiert. Der APRI eignet  sich für die schnelle Orientierung am Krankenbett, der Forns-Index lässt sich dagegen nicht so leicht im Kopf berechnen; er basiert auf einer logistischen Regression mit insgesamt vier Parametern. Für beide Tests sollten zwei Entscheidungswerte verwendet werden, um Fälle im Grau­bereich zwischen normal und fibrotisch nicht falsch zuzuordnen. Wie groß ihr Anteil ist, hängt vom Patientenkollektiv ab (z.B. ca. 50% für den Forns-Index bei chronischer Hepatitis C).
FIB-4, bestehend aus den Messgrößen AST, ALT und Thrombozyten, wurde speziell für HCV- und HIV-koinfizierte Patienten evaluiert. 2016 entwickelten wir in Hannover einen einfachen Score (DFS) für die Stadieneinteilung bei Delta-Hepatitis, der bei dieser speziellen Fragestellung in der Fibrose­detektion dank seines hohen AUROC-Werts von 0,87 anderen Tests überlegen ist. Ganz grundsätzlich ist zu beachten, dass jede der in Tab. 1 angegebenen Formeln gezielt für die jeweilige Ätiologie evaluiert wurde und auch nur für diese eingesetzt werden sollte.

Komplexe Scores
Tab. 2 stellt sieben vergleichsweise aufwendige und zum Teil auch teure Scores vor, die neben den bereits erwähnten Parametern spezielle Biomarker der chronischen Entzündung und des EZM-Stoffwechsels einsetzen.
Bereits Anfang des Jahrtausends wurde der ELF-Test (Enhanced Liver Fibrosis) in einer multinationalen Studie der European Liver Study Group entwickelt. Dieser Score setzt sich ausschließlich aus Messgrößen des hepatischen EZM-Metabolismus zusammen (TIMP-1, PIIINP, Hyaluronat). Alter (Anstieg pro Altersdekade um ca. 0,3) und Geschlecht des Patienten gehen zwar in den aktuellen Score nicht ein, sollten aber beachtet werden[13]. Hier kann man drei Cut-off-Werte verwenden, um verschiedene Ausprägungen der Fibrose (F0–F2 vs. F3–F6) voneinander abzugrenzen: Bei einem Cut-off von 7,7 erzielt man 100% Sensitivität, aber nur 12,5% Spezifität, bei 9,8 liegt ein ausgewogenes Verhältnis von 85% zu 75% vor, und bei 11,3 verschiebt es sich mit 64% zu 97,5% in Richtung höchster Spezifität. Der Score darf nur innerhalb des angegebenen Testsystems (Siemens Healthcare, Centaur) angewendet werden; die Berechnung erfolgt direkt am Messplatz.
FibroTest wurde ebenfalls an zahlreichen Patientenkollektiven evaluiert und kann laut Literatur ebenfalls bei unterschiedlichen Ätiologien eingesetzt werden. Im Durchschnitt zeigt auch er einen AUROC-Wert von mehr als 0,8. Die erforderlichen Messgrößen kann an sich jedes Labor problemlos ermitteln; man benö­tigt jedoch einen kostenpflichtigen Internetzugang zur Berechnung des Scores. Die Werte reichen von Null (keine Fibrose) bis Eins (signifikante Fibrose). Auch bei Fibrometer ist die Berechnung kostenpflichtig. Hier kommen verschiedene Scores mit unterschiedlichen Markerzusammensetzungen zur Erkennung des fibrotischen Umbaus bei viraler Hepatitis, NAFLD und alkoholischer Lebererkrankung (ALD) zum Einsatz.
Mit der Verknüpfung von Thrombozyten, AST und γGT sowie einem einzelnen Polymorphismus im IFNL3-Gen (früher IL28B genannt) wurde im Jahr 2016 unter der Bezeichnung FibroGENE ein Entscheidungsbaum an einem großen Kollektiv von Patienten mit chronischer Hepatitis B und NAFLD-Patienten ent­wickelt; er erlaubt eine validere Fibrosedetektion als FIB-4 oder APRI (AUROC ca. 0,8).

Klinische Bewertung
Keines der genannten Verfahren ist für sich allein genommen für alle Patienten mit chronischen Lebererkrankungen einsetzbar. Deshalb empfiehlt die EASL-ALEH clinical practical guideline verschiedene Scores aus den Tabellen 1 und 2, die je nach Grund­erkrankung mehr oder weniger selektiv verwendet und mit anderen Testverfahren kombiniert werden können. So sollte beispielsweise bei Hepatitis-C-Patien­ten mit HIV-Koinfektion ein geeigneter Bluttest mit einem bildgebenden Verfahren (FibroScan, ARFI, 2D-pSWE, MR-Elastografie) kombiniert werden. Stimmen die Ergebnisse beider Tests überein, so kann unter Verzicht auf eine Leberbiopsie eine Fibrose nachgewiesen bzw. ausgeschlossen werden. Bei diskordanter Datenlage wird zunächst eine spätere Wiederholung der Messungen und gegebenenfalls zuletzt eine Leberbiopsie empfohlen.
Solch klare Strategien existieren jedoch noch nicht für alle chronischen Leber­erkrankungen. Bezüglich NAFLD zeigten Boursier et al.[15] kürzlich einen diagnostischen Vorteil von FibroScan und FibrometerV2G (AUROC > 0,8) gegenüber NFS, FibroTest, BARD, APRI und FIB-4, allerdings interessanterweise nur in der ursprünglich publizierten Version inkl. Hyaluronatmessung, nicht aber als aktuell hierzu vermarkteter Test FibrometerNAFLD ohne Hyaluronat. Die EASL-EASD-EASO-Leitlinie empfiehlt bei nachgewiesener  Steatose und normalen Leberenzymen alternativ NFS, FIB-4 oder ELF, FibroTest bzw. Fibrometer