Verbesserte Risikoeinschätzung
Labordiagnostik bei Präeklampsie
Die Ursachen der für Mutter und Fetus lebensbedrohlichen Präeklampsie liegen vermutlich in einer gestörten Balance zwischen angiogenen und antiangiogenen Faktoren in der Plazenta. Mit dem sFlt-1/PlGF-Quotienten lässt sich das Risiko heute besser vorhersagen, um rechtzeitig handeln zu können. Eine Kausaltherapie existiert bisher noch nicht.
Schlüsselwörter: Präeklampsie, Hypertonie, Proteinurie, Flt-1, PlGF, VEGF, PAPP-A
Die Präeklampsie (auch als Gestose oder Schwangerschafts-Toxikose bezeichnet) ist dem Wortsinn nach ein pathologischer Zustand „vor dem Krampf“. Sie tritt als Multisystemerkrankung in Europa bei ca. 2% aller Schwangerschaften auf und ist für Mutter und Kind potenziell lebensbedrohlich; weltweit gehen etwa 70.000 mütterliche Todesfälle darauf ursachen zurück[1]. Das höchste Risiko besteht vor 34 vollendeten Schwangerschaftswochen (SSW) bei der sog. „Early-onset-Präeklampsie“.
Klinik
Die Diagnose erfolgt meist klinisch aufgrund einer nach 20 SSW neu aufgetretenen Hypertonie über 140/90 mm Hg in Kombination mit einer Proteinurie von mehr als 300 mg/24h. Bei schwerer Präeklampsie können Blutdruckwerte über 160/110 mm Hg, Nierenfunktionseinschränkungen mit einer Oligurie unter 500 ml/24h, Anstieg der Transaminasen und Abfall der Thrombozyten, sowie Sehstörungen, starke Kopfschmerzen, Lungenödem oder eine fetale Wachstumsrestriktion auftreten. Das HELLP-Syndrom als Sonderform der Präeklampsie ist charakterisiert durch die Trias Haemolysis, Elevated Liver Enzymes und Low Platelets[2].
Pathogenese
Primäre Ursache ist eine gestörte Trophoblast-Invasion (Einwachsen des fetalen Synzytiotrophoblasten in die mütterlichen Gefäße) aufgrund einer Dysbalance zwischen angiogenen und antiangiogenen Faktoren (Abb. 1). In der Plazenta wird vermehrt sFlt-1, ein lösliches Fragment des VEGF-Rezeptors 1 freigesetzt. Dieses bindet PlGF und VEGF und verhindert so deren angiogene Wirkung an den korrespondierenden zellständigen Rezeptoren. Dadurch bleibt der Umbau der maternalen Spiralarterien aus, die für die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung des Feten erforderlich sind. Die hypoxische Plazenta schüttet Endothel-schädigende Faktoren in den mütterlichen Kreislauf aus, die die klinische Symptomatik auslösen können.
Frauen mit einem Antiphospholipidsyndrom haben ein fast zehnfach erhöhtes Risiko für eine Präeklampsie. Ein zwei- bis dreifaches Risiko findet sich u. a. bei Diabetes mellitus, Adipositas, familiärer Belastung sowie bei Frauen über 40[3].
Abb. 1: Angiogene Dysbalance bei Präeklampsie.
PlGF = placental growth factor
sFlt-1 = soluble fms-like tyrosine kinase 1
VEGF = vascular endothelial growth factor
VEGFR = vascular endothelial growth factor receptor
Der sFlt-1/PlGF-Quotient
Um die Dysbalance zu quantifizieren, bestimmt man heute mit einem automatisierten Verfahren sFlt-1 und PlGF und berechnet den Quotienten[4]. Als erhöht gelten Werte über 85. Bei diesem Cut-off fand man in einer Multicenterstudie 89% Sensitivität und 97% Spezifität für eine Präeklampsie vor 34 abgeschlossenen SSW, nach diesem Zeitpunkt lagen die Werte bei 82% bzw. 95%. Umgekehrt war der Flt-1/PlGF-Quotient bei lediglich schwangerschaftsinduziertem oder präexistentem Hypertonus nicht signifikant erhöht.
Klinische Bewertung
2015 wurde ein Leitfaden für die Praxis vorgeschlagen, der Schwangere mit Verdacht auf eine Präeklampsie anhand des sFlt-1/PlGF-Quotienten in drei Gruppen mit geringem, hohem und intermediärem Risiko einteilt[5]. Frauen mit einem Wert unter 38 entwickeln unabhängig vom Schwangerschaftsalter mit großer Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten Woche keine Präeklampsie. Da in diese Gruppe etwa 80% der Patientinnen fallen, trägt der Quotient oft zur Beruhigung der Betroffenen bei und erleichtert die Entscheidung für ein ambulantes Management.
Schwangere mit einem Wert über 85 vor 34 SSW bzw. über 110 nach diesem Zeitpunkt entwickeln mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Präeklampsie. Hier besteht die Möglichkeit, bereits in der Frühphase eine Lungenreifebehandlung des Feten mit Kortikosteroiden durchzuführen, um einem fetalen Atemnotsyndrom vorzubeugen. Zur Beurteilung der Dynamik werden Laborkontrollen nach zwei bis vier Tagen empfohlen. Bei Werten über 655 vor 34 kompletten SSW bzw. über 200 danach kann eine Beendigung der Schwangerschaft innerhalb von 48 Stunden indiziert sein.
Schwangere im Graubereich zwischen den genannten Cut-off-Werten entwickeln mehrheitlich keine Präeklampsie, sollten aber engmaschiger überwacht werden.
Multivariate Frühbewertung
In den letzten Jahren wurde zunehmend versucht, bereits zwischen 11 und 13 vollendeten SSW – also parallel zum routinemäßigen Ersttrimester-Screening auf Chromosomenstörungen – das Präeklampsierisiko abzuschätzen. Hierfür ist zur Steigerung der Spezifität ein multivariater Ansatz erforderlich. Neben mütterlichen Faktoren (Anamnese, BMI, Ethnie) und klinischen Parametern (mittlerer arterieller Druck, dopplersonografischer Pulsatilitätsindex der Aa. uterinae) werden v. a. zwei biochemische Bestimmungen in die Berechnung einbezogen, nämlich das bereits erwähnte PlGF sowie PAPP-A (pregnancy associated plasma protein A). Mit diesem Panel an Tests kann man für die Early-onset-Präeklampsie (unter 34 SSW) Detektionsraten von über 93% bei einer Falsch-positiv-Rate von nur 5% erzielen. Die Entwicklung des Krankheitsbildes zu einem späteren Zeitpunkt konnte weniger zuverlässig vorausgesagt werden: Für den Zeitraum bis zum Abschluss von 37 SSW fiel die Detektionsrate auf 61% und für die Zeit danach auf 38% ab[6].
Behandlung
Eine Metaanalyse ergab, dass das Risiko für eine frühe Präeklampsie durch ASS (100 mg/d) signifikant gesenkt werden kann, wenn mit der Einnahme vor der 16. SSW begonnen wird[7]. Eine kausale Therapie existiert – mit Ausnahme der Entbindung – derzeit noch nicht. Man versucht, den Blutdruck der Schwangeren mit Alpha-Methyldopa und Nifedipin, evtl. auch mit einem kardioselektiven Betablocker, einzustellen. Bei hypertensiven Krisen kommt neben Nifedipin auch der Alpharezeptorantagonist Urapidil i. v. zum Einsatz. Ferner kann man in einem frühen Gestationsalter die Schwangerschaft verlängern, um die fetale Morbidität und Mortalität durch eine Lungenreifebehandlung zu senken.
In jedem Fall sollte die Überwachung von Mutter und Kind in einem Perinatalzentrum stattfinden, um im Falle einer Akutsituation jederzeit handeln zu können. Die Entscheidung zur Entbindung versus Fortführung der Schwangerschaft ist stets ein Abwägen zwischen mütterlichen und kindlichen Faktoren sowie der Schwangerschaftswoche. Indikationen zur Beendigung der Schwangerschaft sind anhaltende zentralnervöse Symptome im Sinne eines drohenden Krampfanfalls (Eklampsie), therapierefraktäre hypertensive Krisen, eine disseminierte intravasale Gerinnung im Rahmen eines HELLP-Syndroms, sowie ein Nierenversagen oder Lungenödem. Auch bei Zeichen einer fetalen Gefährdung (pathologisches CTG, pathologische Dopplersonografie) ist eine Beendigung der Schwangerschaft indiziert.
Ausblick
2011 wurde erstmals durch Apheresebehandlung eine Senkung der sFlt-1-Konzentration im mütterlichen Blut um bis zu 30% erzielt[8]. Bei manchen Patientinnen gelang dies sogar mehrmals, sodass die Entbindung hinausgezögert werden konnte. Auch wenn sich dieser Ansatz erst noch in der Routine bewähren muss, so könnte sich daraus doch v. a. bei schwerer Präeklampsie in sehr frühen Schwangerschaftswochen in Zukunft eine kausale Therapie zur Verbesserung des perinatalen Outcomes ableiten lassen.