In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe von klinisch relevanten Neuerungen bei den follikulären Lymphomen (FL), unter anderem bei der histopathologischen Klassifikation und durch Zulassungen neuer Arzneimittel für rezidivierte und refraktäre Erkrankungen. Vor diesem Hintergrund haben wir unseren Artikel aus dem Jahr 2020 aktualisiert.
Das FL ist das zweithäufigste Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) in Westeuropa sowie den USA [1, 2]. Die Inzidenz beträgt zwischen zwei und drei Fällen pro 100.000 Einwohner:innen pro Jahr und hat in den letzten Jahren zugenommen. FL machen circa 20–35 % aller neu diagnostizierten NHL sowie 70 % aller indolenten Lymphome aus. Das mittlere Erkrankungsalter liegt zwischen 60 und 65 Jahren, Männer und Frauen sind nahezu gleich häufig betroffen [1, 3, 4]. In einzelnen epidemiologischen Studien gibt es Hinweise darauf, dass der Einfluss von äußeren Umweltfaktoren wie der Umgang mit Chemikalien und Herbiziden ein Risikofaktor für die Entstehung indolenter Lymphome ist. Dieser Zusammenhang konnte bisher jedoch nicht in großen prospektiven Studien bewiesen werden [5].
Klinisch zeigt sich bei Patient:innen mit FL typischerweise eine indolente, langsam progrediente Lymphadenopathie sowie in bis zu 70 % der Fälle eine Knochenmarkinfiltration. Extranodale Manifestationen oder diffuser Organbefall sind selten. B-Symptome (u. a. Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust) treten in 20 % der Fälle auf [6]. Die meisten Patient:innen befinden sich bei Erstdiagnose bereits in einem fortgeschrittenen Stadium (> 80 %; [7]). In der Folge kann es zu einem aggressiven klinischen Verlauf kommen mit histologischer Transformation in ein diffuses großzelliges B-Zell-Lymphom. In einer großen retrospektiven Studie zeigte sich ein kumulatives 10-Jahres-Risiko für eine histologische Transformation von 8 %. Interessanterweise wurde ein geringeres Risiko bei Patient:innen beobachtet, die Rituximab-haltige Therapien erhalten hatten [8].
Pathogenese des FL
Als Ursprungszelle des FL werden B-Zellen des Keimzentrums angesehen [9]. Die Pathogenese des FL zeigt Parallelen zur physiologischen Keimzentrumsreaktion. Die Translokation t(14;18)(q32;q21) ist charakteristisch (Nachweis bei > 50 bis 85 % der Fälle), aber nicht spezifisch für das FL und wird als initiales Ereignis der Lymphomentstehung angesehen. Als Folge eines fehlerhaften V(D)J-Rearrangements in der frühen B-Zell-Entwicklung gerät das BCL2(B-cell lymphoma 2)-Gen unter die transkriptionelle Kontrolle konstitutiv aktiver IgH-Enhancer-Sequenzen. Dies führt zur aberranten Überexpression von antiapoptotischem BCL2 [10], das den translozierten B-Zellen einen Selektionsvorteil verschafft. Durch klonale Expansion und fortlaufende, aberrante somatische Hypermutation (SHM) im Rahmen der Keimzentrumsreaktion können weitere genetische Aberrationen entstehen, die maßgeblich für die volle maligne Transformation sind [11]. In den vergangenen Jahren wurde eine Vielzahl rekurrenter somatischer Mutationen nachgewiesen, unter anderem in epigenetischen Modifikatoren (z. B. EZH2, KMT2D, CREBBP, EP300 und ARID1A), in Transkriptionsfaktoren (z. B. STAT6, MEF2B und FOXO1) sowie in Signalmolekülen (z. B. CARD11, TNFRSF14, GNA13, CD79A/CD79B und TNFAIP3; [12]). Die molekularen Auswirkungen und Wechselwirkungen dieser Mutationen sind noch nicht vollständig verstanden, aber sie bestimmen wohl maßgeblich die individuelle Biologie und die unterschiedlichen klinischen Verläufe der Erkrankung.
An der Tumorentstehung und -progression sowie bei der Umgehung einer Antitumor-Immunantwort sind zudem komplexe Wechselwirkungen von Tumorzellen des FL mit nichtmalignen Zellen und nichtzellulären Komponenten des Tumor Microenvironment (TME) beteiligt. FL-Zellen sind in hohem Maße abhängig von Überlebens- und Proliferationssignalen umgebender Zellen des TME und modulieren zu diesem Zweck die Komposition von Zellpopulationen, die in Keimzentren physiologisch vorkommen [13].
Histologie des FL
Die Diagnose eines FL erfolgt hämatopathologisch durch eine histologische und immunhistochemische Untersuchung einer Gewebebiopsie; hierfür ist viel Erfahrung der Patholog:innen erforderlich. Ein zytologisches Aspirat ist zur Diagnosestellung nicht ausreichend. Die neue WHO-Klassifikation empfiehlt bei kleinen Biopsien und diagnostischen Unsicherheiten, nur die Diagnose eines vermuteten FL („likely FL“) zu stellen [1].
Das klassische FL besteht aus kleinen Keimzentrumszellen mit gekerbten Zellkernen (Zentrozyten) und großen Keimzentrumszellen mit ungekerbten Zellkernen (Zentroblasten). Das Wachstumsmuster entspricht Pseudofollikeln, die die physiologische Lymphknotenstruktur imitieren. Im Unterschied zu nichtmalignen reaktiven Keimzentren zeigt sich jedoch ein Verlust der deutlichen Abgrenzung zwischen „dark zone“ und „light zone“ sowie eine nur rudimentäre Mantelzone. Immunphänotypisch charakteristisch sind die Expression von B-Zell-Antigenen (CD20, CD79a), Keimzentrumsantigenen (CD10, BCL6), eine Negativität für CD5 sowie Malignitätsmarker (aberrante intrafollikuläre BCL2-Expression). FL-Zellen exprimieren meist noch Immunglobuline an der Zelloberfläche, vor allem IgM mit monoklonaler Leichtkettenexpression in 50–60 % der Fälle [1].
Bei diagnostischer Unsicherheit oder seltenen Unterformen können neben der klassischen Histologie und Immunhistochemie durchflusszytometrische und molekulargenetische Methoden angewandt werden. Hierbei sind insbesondere Klonalitätsanalysen (IGH-Rearrangements) und der Nachweis der Chromosomentranslokation t(14;18)(q32;q21) zu nennen.
Die grundlegend überarbeitete WHO-Klassifikation (WHO-HAEM5, [1]), die 2022 veröffentlicht wurde, unterteilt FL nun in drei Subgruppen:
- klassische FL (cFL);
- follikuläre großzellige B-Zell-Lymphome (FLBL) sowie
- FL mit „uncommon features“ (uFL).
Zudem werden seltenere Erkrankungen wie die in-situ follikuläre Neoplasie (ISFN), das follikuläre Lymphom vom duodenalen Typ (DTFL) sowie das follikuläre Lymphom vom pädiatrischen Typ (PTFL) als eigenständige Entitäten erfasst. Eine ähnliche Unterteilung erfolgt auch in der zeitgleich veröffentlichten internationalen Konsensusempfehlung (ICC-Klassifikation, [2]).
Das bisherige Grading der FL in Grad 1–3 entsprechend des prozentualen Anteils der Zentroblasten pro Gesichtsfeld (WHO-HAEM4R; [14]) ist in der neuen WHO-Klassifikation wegen eingeschränkter Reproduzierbarkeit, uneinheitlicher Standards sowie fraglicher klinischer Relevanz nicht mehr obligat vorgeschrieben. FL mit diffusen, rasenartig wachsenden Zentroblasten, die bislang als FL Grad 3B bezeichnet wurden [15], zählen biologisch und klinisch zu den aggressiven Lymphomen und werden zur besseren Abgrenzung jetzt als follikuläre großzellige B-Zell-Lymphome (FLBL) bezeichnet. In der ICC bleibt das Grading weiterhin bestehen [2]. In der Subgruppe des cFL finden sich die klassischen histologischen Charakteristika (s. o.) sowie der Nachweis der charakteristischen Translokation t(14;18)(q32;q21). Die neue Einteilung soll dazu beitragen, die unterschiedliche Biologie der verschiedenen Subtypen besser zu verstehen und zu untersuchen. Es bleibt zu hoffen, dass die Klassifikationen, die sich inhaltlich nur unwesentlich unterscheiden, in naher Zukunft wieder vereinheitlicht werden.
Diagnostik des FL
Neben der Lymphknotenbiopsie gehören eine Knochenmarkaspiration und -histologie, eine ausführliche Anamnese, eine klinische Untersuchung, Laborchemie und Schnittbildgebung zur initialen Staging-Diagnostik des FL [16].
Die Stadieneinteilung erfolgt nach den Ann-Arbor-/Lugano-Kriterien [17]. Aufgrund der vielfältigen Therapieoptionen ist bei Erstdiagnose ein vollständiges Ausgangsstaging obligat, da eine zuverlässige Stadieneinteilung von prognostischer und therapeutischer Relevanz ist. Die Einleitung einer Notfalltherapie ohne Vorliegen der exakten histologischen Diagnose und vollständigen Ausgangsdiagnostik ist aufgrund des chronischen Verlaufs der Erkrankung nur in Ausnahmefällen indiziert. Bei Vorliegen eines Stadiums I und II mit niedriger Tumorlast, die für eine potenziell kurative Strahlentherapie qualifizieren, sollte ein fortgeschrittenes Stadium durch weitere Untersuchungen ausgeschlossen werden. Laut aktueller S3-Leitlinie sollte zur Bestätigung einer lokalisierten Erkrankung vor kurativer Radiatio eine PET-CT-Diagnostik erfolgen [18]. Diese ist jedoch aktuell noch kein Gegenstand des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen.
Prognose und Risikostratifikation
Die Mehrzahl der behandlungsbedürftigen Patient:innen erreicht nach Immunochemotherapie hohe Remissionsraten (Gesamtansprechrate [ORR] > 90 %), eine lange progressionsfreie Zeit (PFS > 5 Jahre) und ein exzellentes Gesamtüberleben [4]. Daten der Stanford University belegen ein medianes Gesamtüberleben von mittlerweile 18 Jahren mit modernen Therapiestrategien [19]. Allerdings zeigen 20–25 % der Patient:innen einen nichtindolenten Krankheitsverlauf mit frühem Progress („progression of disease within 24 months“, POD24) und einem deutlich kürzeren Überleben (Median < 5 Jahre; [20]).
Zur prospektiven Risikostratifikation wurden zahlreiche Modelle entwickelt. Am weitesten verbreitet ist der FL International Prognostic Index (FLIPI), der fünf einfache klinische Faktoren berücksichtigt und Patient:innen in drei Risikogruppen mit unterschiedlichem Gesamtüberleben unterteilt (Tab. 1; [21]).