Atemgastests zur Diagnose einer Dünndarmfehlbesiedelung: Wasserstoff, Methan und Co.

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.03.05

Beim Dünndarmfehlbesiedelungssyndrom kommt es durch Einwanderung von Mikroorganismen aus dem Kolon zu gastrointestinalen Beschwerden, die sich von einem Reizdarmsyndrom nur schwer abgrenzen lassen. Kombiniert mit der klinischen Präsentation stützt sich die Diagnose auf Atemtests oder die Kultur von Dünndarmaspiraten. Sensorbasierte oder gaschromatographische Atemtests weisen die Bildung von Wasserstoff und Methan als Produkte der Fermentierung von Testsubstraten wie Glukose oder Laktulose nach.

Schlüsselwörter: SIBO, Reizdarmsyndrom, Glukose-Test, Laktulose-Test, Gaschromatographie

Physiologisch ist der Dünndarm mit 103 bis 105 koloniebildenden Einheiten (KBE) pro Milliliter im Vergleich zum Dickdarm mit 1012 KBE pro Milliliter relativ gering besiedelt. Im anatomischen Verlauf des Dünndarms nimmt das Ausmaß der bakteriellen Besiedelung vom proximalen (Jejunum) zum distalen Kompartiment (Ileum) schrittweise zu.

Das Small-Intestinal-Bacterial-Over­growth(SIBO)-Syndrom ist eine Erkrankung, die durch eine übermäßige Besiedelung des Dünndarms insbesondere mit Bakterien der Dickdarm-Mikrobiota gekennzeichnet ist. Bei vielen Betroffenen führt diese abnorme Anwesenheit von Bakterien zu einer Störung der normalen Dünndarmfunktion, die verschiedene Verdauungssymptome wie Blähungen, Bauchschmerzen, Unwohlsein, Völlegefühl, Verstopfung oder Durchfall bis hin zu ungewollten Gewichtsverlust zur Folge haben kann [1].

Die Angaben zur generellen Prävalenz von SIBO sind sehr variabel. Sie scheint insbesondere bei Menschen mit Erkrankungen, die die Darmmotilität einschränken, erhöht zu sein [2]. Oft wird die Prävalenz von SIBO über seine Assoziation mit anderen Erkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom (IBS) abgeschätzt, dessen Prävalenz weltweit bei 12 bis 15 % liegt [3]. Entsprechend einer kürzlich veröffentlichten Metaanalyse sind etwa 36,7 % der IBS-Fälle SIBO-assoziiert [6].

Da sich die Symptome des Reizdarmsyndroms und SIBO überschneiden, ist SIBO somit eine wichtige Differentialdiagnose im Rahmen der Abklärung der Reizdarmsymptome. In den USA beispielsweise ist die Prävalenz des IBS mit 16 bis 24 % der erwachsenen Bevölkerung (ca. 42 Millionen Menschen) besonders hoch. Von diesen leiden wiederum 31 % an SIBO [4–7].

In Deutschland betrug die Prävalenz von SIBO in der Altersgruppe der 24- bis 59-Jährigen etwa 5,9 % und in einer Patientengruppe von Altenheimbewohnern bis zu 16 % [8]. Neben SIBO ist bei Personen mit Symptomen eines Reizdarmsyndroms auch an eine Kohlenhydrat-Malabsorption wie Laktose-, Fruktose- oder Sorbit-Malabsorption zu denken (Abb. 1).

Die Pathogenese von SIBO ist vielseitig und kann unter anderem durch verschiedene Medikamente wie Protonenpumpeninhibitoren oder durch krankhafte Zustände wie Verletzungen des Dünndarms, Strahlentherapie im Bauchraum, Divertikulose, Darmlymphome, Sklerodermie, Adipositas, Diabetes, entzündliche Darmerkrankungen und Fisteln verursacht werden. SIBO selbst kann wiederum die Entwicklung oder das Voranschreiten anderer Erkrankungen wie Rosacea [9], Morbus Crohn [10], der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) bis hin zur Leberzirrhose begünstigen [11]. Als Folge einer gestörten „Darm-Hirn-Achse“ können sogar Depressionen auftreten [12].

SIBO ist im weiteren Sinne eine chronische Erkrankung, die eine Behandlung der Grunderkrankungen als auslösende Risikofaktoren erfordert. Durch eine Anpassung der Lebensweise und Ernährung soll ein erneutes Auftreten verhindert und langfristig die Darmgesundheit erhalten werden. Trotz der klinischen Relevanz und Häufigkeit von SIBO sowie der damit verbundenen Krankheiten wird SIBO aus vielen Gründen immer noch unterdiagnostiziert. Wichtige Gründe sind unter anderem das mangelnde Bewusstsein für SIBO bei Behandelnden und Betroffenen sowie die begrenzte Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Akzeptanz von diagnostischen Tests und Testprotokollen. Daher ist es wichtig, präzise und robuste diagnostische Tests zu entwickeln. Zusätzlich zu einer verbesserten analytischen und klinischen Testgenauigkeit müssen die Tests einfach zu handhaben und finanziell tragbar sein, um eine bessere Akzeptanz und einen besseren Zugang zur Diagnostik zu erreichen.

 

Atemtests zur Diagnose von SIBO

Üblicherweise wird zur Diagnose von SIBO das klinische Bild in Kombination mit Dünndarmaspiratkulturen oder Atemtests verwendet [13]. Als diagnostischer Goldstandard für SIBO galten lange Zeit Dünndarmaspiratkulturen, bei denen Flüssigkeit endoskopisch aus dem Dünndarm entnommen und kultiviert wird, um eine bakterielle Überwucherung festzustellen. Diese Tests sind allerdings invasiv und schwierig durchzuführen. Zudem weisen sie nur eine begrenzte dia­gnostische Sensitivität auf, da technisch bedingt meist nur der Zwölffingerdarm und ein begrenzter Abschnitt des Jejunums beprobt werden können.

SIBO-Atemtests sind vergleichsweise einfach durchzuführen und verschaffen einen Überblick über metabolische Prozesse im gesamten Dünndarm. Sie messen die Bildung spezifischer Gase in der Ausatemluft, hauptsächlich Wasserstoff und Methan, welche durch bakterielle Fermentierung im Rahmen einer Fehlbesiedelung nach Aufnahme des entsprechenden Substrats (Glukose oder Laktulose) im Jejunum und Ileum entstehen [14, 15]. Da diese Tests relativ kostengünstig und gut verträglich sind, setzen sie sich in der klinischen Praxis immer stärker durch [16].

Aufgrund technischer Einschränkungen der verwendeten Analysemethoden wird häufig nur Wasserstoff – und seltener Methan – als Markergas für die SIBO-Dia­gnose eingesetzt. Dies schränkt die Empfindlichkeit des diagnostischen Ansatzes ein. Entsprechend der nordamerikanischen Konsensus-Empfehlungen gilt ein Atemtest als SIBO-positiv, wenn die Wasserstoffkonzentration innerhalb von 90 Minuten nach der Substrataufnahme um 20 ppm oder mehr gegenüber der Basiskonzentration angestiegen ist und/oder wenn die Methankonzentration zu irgendeinem Zeitpunkt während des Tests 10 ppm oder mehr beträgt [17].

Der nordamerikanische Konsensus empfiehlt die Verabreichung von 75 g Glukose oder 10 bis 25 g Laktulose sowie die Entnahme von Proben im Abstand von 20 Minuten über einen Zeitraum von bis zu 180 Minuten [17]. Im Gegensatz dazu empfiehlt die europäische Leitlinie 50 g Glukose oder 10 bis 20 g Laktulose/250 ml Wasser mit einem 15-minütigen Probennahmeintervall für 120 Minuten [13].

Bei der Interpretation der Testergebnisse ist zu berücksichtigen, dass eine nicht konforme Vorbereitung auf den Atemtest, wie zum Beispiel eine schlechte Mundhygiene, interferierende Medikamente oder eine verkürzte Nüchternzeit, die Testgenauigkeit beeinträchtigen kann. Auch eine beschleunigte Resorption von Glukose im Duodenum und Jejunum kann die Empfindlichkeit des Tests im distalen Kompartiment des Dünndarms verringern und dadurch zu möglichen falsch-negativen Testergebnissen für SIBO führen. Zudem kann es in seltenen Fällen auch bei Personen mit verkürzter orozökaler Transitzeit (OCTT) beim Glukose-Test zu falsch-positiven Testergebnissen kommen: Die Glukose gelangt dann in den Dickdarm und wird dort von der vorhandenen Bakterienflora fermentiert. So entsteht Wasserstoff und/oder Methan, und das Testergebnis ist falsch-positiv [13, 18].

Im Gegensatz zu Glukose wird Laktulose nicht vom Dünndarm resorbiert und erreicht daher normalerweise auch den Dickdarm. Theoretisch muss man somit bei Verwendung von Laktulose als Subs­trat in SIBO-positiven Fällen mit zwei Spitzenwerten (Peaks) in der Gasbildung rechnen – der erste frühe wird durch die pathologische Dünndarmbesiedelung verursacht, der zweite späte durch die bakterielle Fermentation im Dickdarm [19]. Aufgrund der hohen inter- und intraindividuellen Schwankungen der orozökalen Transitzeit führt die Verwendung des Laktulose-Tests häufig zu falsch-positiven Testergebnissen.

In einer kürzlich durchgeführten Meta­analyse zur klinischen Performanz von Glukose- und Laktulose-Tests wurden die Sensitivität und Spezifität für den Glukose-Test mit 54,5 bzw. 83,2 % und für den Laktulose-Test mit 42,0 bzw. 70,6 % angegeben [20]. Dies belegt eine insgesamt höhere diagnostische Aussagekraft des Glukose-Tests.

Um in der klinischen Anwendung eine optimale diagnostische Leistung von Atemtests zu erreichen, ist es wichtig, 1) die diagnostische Genauigkeit des Glukose- oder Laktulose-Tests bei der Diagnosestellung zu berücksichtigen,
2) Maßnahmen zur Standardisierung der Testvorbereitung und -durchführung zu ergreifen und 3) die Analytik durch das Verwenden von hochempfindlichen und robusten Analyse­methoden, die neben Wasserstoff mindestens auch Methan nachweisen, zu optimieren.

Im folgenden Abschnitt geben wir einen Überblick über spezifische Aspekte von SIBO-Atemtests und erörtern die Stärken und Grenzen der verschiedenen Nachweismethoden.

 

Analysemethoden

Das zugrundeliegende Prinzip der Atemtests zum Nachweis von SIBO ist die Fermentation von Kohlenhydraten wie Glukose oder Laktulose im Dünndarm durch verschiedene Bakterien-Spezies und Arachea (hauptsächlich Methanobrevibacter smithii). Dabei entstehen Gase, vor allem Wasserstoff oder/und Methan [21]. Diese Gase werden teilweise von der Darmschleimhaut absorbiert und über den Blutkreislauf in die Lunge transportiert, wo sie durch die Alveolar-Membran in die Lungenbläschen diffundieren. Anschließend werden sie über die Atemluft freigesetzt und können sodann mit geeigneten Methoden nachgewiesen werden [22].

Derzeit ist der sensorgestützte Wasserstoff-Atemtest die am häufigsten verwendete Methode zur Diagnose von SIBO [23, 24]. Wie bereits erwähnt, kann – je nach vorherrschender Mikrobiota – sowohl Wasserstoff als auch Methan gebildet werden. Es sollten also beide Gase gemessen werden, um die Empfindlichkeit des atembezogenen SIBO-Tests zu verbessern [17]. Diese Annahme wird durch Daten aus unserer Routinepraxis gestützt, in der wir eine Population symp­tomatischer Erkrankter untersuchten, die überwiegend an Obstipation litten. Hier haben wir bei bis zu 75 % aller positiven Probanden eine erhöhte Methanproduktion (IMO) allein oder in Kombination mit erhöhten Wasserstoffwerten festgestellt (unveröffentlichte Daten).

Parallel zum Nachweis von Wasserstoff und Methan wird empfohlen, die Kohlendioxidkonzentration in jeder Atemprobe zu messen, um die Qualität des Untersuchungsmaterials zu beurteilen. Dies gibt insbesondere Aufschluss darüber, ob die Probe während der Entnahme mit Umgebungsluft kontaminiert wurde [13]. Bei relevanten Verunreinigungen sollte entweder der Messwert um einen Faktor korrigiert oder gegebenenfalls die Probennahme wiederholt werden.

Aufgrund der oben genannten Einschränkungen wurden in jüngerer Zeit sensor­gestützte Technologien zur kombinierten Messung von Wasserstoff, Methan und Kohlendioxid entwickelt. Während diese Sensoren einzeln oder in Kombination mit kurzen Gaschromatographiesäulen schnelle oder sogar Echtzeitmessungen erlauben, weisen sie häufig Einschränkungen wie analytische Drifts und Sättigungseffekte auf.

Ein positiver SIBO-Atemtest kann eine beträchtliche Dynamik der Wasserstoff- und/oder Methankonzentration aufweisen, die zum Beispiel bei positiver Wasserstoffbildung von 10 bis zu 90 ppm reicht. Diese starke Fluktuation der Gaskonzentrationen kann zu Sättigungseffekten bei sensorbasierten Nachweismethoden führen und so die Genauigkeit der Testdaten beeinträchtigen. Zusätzlich können Gassensoren leicht durch Temperatur, Feuchtigkeit, Druck und Gase mit ähnlichen chemischen Eigenschaften gestört werden [25, 26]. Einige Analysesysteme verbrauchen die gesamte in speziellen Glasröhrchen gesammelte Atemprobe und verhindern so entweder eine Wiederholungsmessung für dieselben Gase oder die anschließende Analyse zusätzlicher Gase zum Beispiel für Forschungszwecke.

Nicht alle Analysemethoden können derzeit in IT-Systeme wie Laborinformations­sys­teme integriert werden. Dann sind für die Auswertung und Speicherung von Prüfdaten mehrere manuelle Schritte erforderlich, was grundsätzlich mit dem Risiko einer erhöhten Fehlerrate verbunden ist [27].

Eine attraktive Alternative zu sensorgestützten Analysemethoden sind Gaschromatographiesysteme (GC) [28, 29]. Sie bieten hohe Präzision und Robustheit bei der Messung. Viele Gaschromatographiegeräte ermöglichen die Automatisierung mithilfe eines Autosamplers und die automatische Datenübertragung in Laborinformationssysteme. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Verringerung des Risikos von Fehlern und Datenverlusten [27]. Darüber hinaus ermöglichen GC-Methoden je nach Spektrum der relevanten Gase die Optimierung von Analyseprogrammen. Während für den Nachweis von Wasserstoff und Methan keine Massenspektrometrie (MS) erforderlich ist, eröffnet die Ergänzung der GC-Methode durch eine MS die Möglichkeit, neue Bio­marker im Rahmen von Biomarker-Discovery-Ansätzen zu identifizieren. Diese könnten die Testleistung weiter verbessern. Im Allgemeinen kann die GC mit geeigneten Detektor- und Probennahmestrategien als Goldstandard für die atemgasbasierte SIBO-Diagnose angesehen werden [29].

Nachteile der Gaschromatographie sind die Komplexität der Methode, die meist erheblichen Anschaffungskosten sowie die Tatsache, dass nicht alle Gase mit einer Säule nachgewiesen werden können. Eine Einsäulen-Detektionsmethode, die den Nachweis von Wasserstoff, Methan und Kohlendioxid in kleinvolumigen Fraktionen aus Atemproben ermöglicht, könnte hier teilweise Abhilfe schaffen.

Fazit

Leitlinien empfehlen Atemtests als nicht-invasive Methode zur Unterstützung der klinischen Diagnose von SIBO. Wichtig sind hierbei eine einfache Probennahme sowie robuste und empfindliche Analysemethoden. Die Gaschromatographie gewährleis­tet eine präzise und robuste Messung der Zielatemgase.

 

Ausblicke und Zukunftsperspektiven

Um die Leistungsfähigkeit von Atemtests zum Nachweis von SIBO zu verbessern, sind die Identifizierung weiterer Biomarker sowie deren Überprüfung und Validierung in klinischen Studien von großer Bedeutung. Als Ergänzung zu Wasserstoff und Methan für den Nachweis von SIBO sind Schwefelwasserstoff und Fettsäurefermentationen (kurzkettige Fettsäuren) vielversprechende Kandidaten. Angesichts der Bedeutung von SIBO für das Fortschreiten von Fettlebererkrankungen oder für die Entwicklung von Depressionen und Arteriosklerose könnte eine verbesserte Genauigkeit bei der Diagnose von SIBO perspektivisch das Management dieser hochprävalenten Krankheiten unterstützen.   

Interessenkonflikte 
Dr. T. F. Mekonnen, M. Sc. S. Singh und Prof. Dr. med. W. Voigt sind Mitarbeiter der Firma VOC-Advanced Breath Diagnostics GmbH mit dem eingetragenen Sitz in der Henkestraße 91, 91052 Erlangen. 

Bei Fragen zu den beschriebenen und den von den Autor:innen verwendeten Methoden wenden Sie sich gerne an den korrespondierenden Autor. 

Autoren
Dr. rer. nat. Tessema Fenta Mekonnen
M. Sc. Stuti Singh
VOC-Advanced Breath Diagnostics GmbH
Prof. Dr. med. Wieland Voigt (Korrespondierender Autor)
Steinbeis Universität Berlin und VOC-Advanced Breath Diagnostics GmbH
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