NAT-Systeme am Point of Care: Revolution der Geräteentwicklung

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.04.01

Ein patientennaher molekularer Nachweis von akuten viralen Atemwegsinfektionen ermöglicht eine Identifizierung von Betroffenen im Frühstadium der Infektion durch den direkten Nachweis der Viruslast ohne zeitaufwendige Viruskultur. Die SARS-CoV-2-Pandemie hat die Geräteentwicklung in diesem Bereich revolutioniert.

Schlüsselwörter: Real-time RT-PCR, isothermale Amplifikation, Sequenzierung

Die derzeitige SARS-CoV-2-Pandemie hat die IVD-Industrie in kürzester Zeit zur verstärkten Entwicklung neuer Point-of-Care-Testing (POCT)-Geräte veranlasst. Seit April 2020 sind auch kompakte, POCT-geeignete Nucleic-Acid-Testing (NAT)-Systeme zum Nachweis des neuartigen Coronavirus verfügbar. Damit wurden die noch bis vor wenigen Jahren in der Mikrobiologie und Virologie als Science-Fiction-Szenario bezeichneten Analysesysteme bereits heute in vielen Krankenhäusern und Arztpraxen zur Realität.

Analyse- und Geräteprinzipien

NAT-POCT-Systeme erfüllen in der Regel folgende Prozesse: die Nukleinsäure-Extraktion aus dem Zellkern bzw. Virus, ggf. die reverse Transkription der Erreger-RNA sowie die eigentliche DNA-Amplifikation und die Detektion der Amplifikationsprodukte. Die Amplifikation der Nukleinsäuren erfolgt dabei entweder als isothermaler Prozess oder nach dem thermozyklischen PCR-Prinzip. Der Hauptvorteil all dieser neu entwickelten Geräte ist die schnelle Durchführung des molekularen Erreger-Nachweises mit Analysezeiten zumeist deutlich unter 60 Minuten. Dies wird im Besonderen durch eine moderne Kartuschen-Technologie realisiert, bei der mikrofluidisch gesteuerte Prozessabläufe zusammen mit gefriergetrockneten Reagenzien zur Nukleinsäureamplifikation dafür sorgen, dass ein derartiges Gerät für das POCT eingesetzt werden kann. Die derzeitige rasante Entwicklung bezüglich der SARS-CoV-2-Testung wird in Zukunft auch die patientennahe Identifizierung anderer bakterieller und viraler Infektionserreger stark beschleunigen.
Bereits heute ist NAT der Standard in der Diagnostik von akuten viralen Atemwegsinfektionen im virologischen Labor, aber auch zunehmend für das POCT, da die zeitraubende Bearbeitungszeit des Viruskultur-Nachweises entfällt und die Identifizierung von Betroffenen im Frühstadium der Infektion durch den direkten Nachweis der Viruslast ermöglicht wird. So werden NAT wie die Real-time RT-PCR von der WHO als diagnostischer Standardtest zur Identifizierung des Erregers von COVID-19 empfohlen [1, 2].
Generell ist für den molekulargenetischen Nachweis eines Erregers die Kenntnis seines Genoms essenziell. Beim SARS-CoV-2 werden zwei Drittel des einzelsträngigen RNA-Genoms am 5´-Terminus vom Orf1ab-Gen überspannt, das durch zwei überlappende offene Leserahmen für die Kodierung der Replicase-Polyproteine PP1a und PP1ab (auch ORF1a-Polyprotein oder ORF1ab-Frameshift-Protein genannt) verantwortlich ist. Das verbleibende Drittel des Genoms am 3´-Terminus kodiert für vier wichtige Strukturproteine, nämlich das Spike-Protein (S-Protein), Hüll-Protein (E-Protein), Membran-Protein (M-Protein) und Nukleokapsid-Protein (N-Protein), die für den Zusammenbau des Virions und dessen Infektiosität wesentlich verantwortlich sind [3].
Die meisten der zugelassenen COVID-19-NAT-Systeme erkennen mindestens zwei Regionen des SARS-CoV-2-Genoms und weniger als ein Drittel der Systeme identifizieren nur eine Zielsequenz. Um das Risiko eines diagnostischen Drifts durch auftretende Mutationen zu minimieren, werden für die Konstruktion von SARS-CoV-2-spezifischen Primer-Sonden-Paaren in der Regel konservierte Gen-Abschnitte ausgewählt. Von den auf dem Markt befindlichen NAT-Methoden wird dabei am häufigsten das N-Gen benutzt, gefolgt von den Orf1ab-, E-, S-, M-, RdRP (kodiert für die RNA-abhängige RNA-Polymerase) und anderen Genen. Die heute zur Amplifikation der Nukleinsäuren-Zielsequenzen üblichen NAT-Verfahren können grob in drei Hauptkategorien eingeteilt werden: auf nicht-isothermischer Amplifikation (zumeist klassische thermozyklische PCR) basierende (88,3 %), auf isothermer Amplifikation basierende (8,3 %) und auf Sequenzierung basierende (3,3 %) Methoden [3].
Bei den NAT-Geräten sind sogenannte Handhelds für den klinischen Einsatz besonders verlockend, da sie tragbar sind und sehr rasch verlässliche Ergebnisse liefern. Daneben sind sog. Desktop-Geräte, sofern sie klein dimensioniert sind, ebenfalls in Notaufnahmen, Intensivstationen oder Arztpraxen gut einsetzbar.
Allgemein ist aber festzuhalten, dass es technisch aufwendig ist, NAT-POCT-Geräte leicht bedienbar, robust und gleichzeitig zuverlässig zu machen. Mittlerweile haben sich bei diesen Geräten zur Durchführung molekularbiologischer Analysen mit Analysezeiten von 15 bis 60 Minuten die im Folgenden geschilderten Bau- und Testprinzipien als vorteilhaft erwiesen.

Aufnahme, Extraktion und Verarbeitung der Probe

Die Verwendung ausgefeilter Kartuschen-Technologien zur Aufnahme, Extraktion und Verarbeitung (Amplifikation von Nukleinsäure-Zielsequenzen) von Patientenproben stellt ein essenzielles Bauprinzip moderner NAT-POCT-Geräte dar. Hier wird der Vorteil genutzt, dass derartige geschlossene Systeme verhindern, dass DNA/RNA-(Kreuz-)Kontaminationen auftreten. Indem die Patientenprobe in einer geeigneten Pufferlösung mit einer geeigneten Applikationshilfe direkt in die Kartusche eingebracht wird, gestaltet sich die Applikation des Probenmaterials sehr einfach. In Abhängigkeit vom zu identifizierenden Erreger kann sich jedoch unter Umständen der Extraktionsschritt als kritisch erweisen, da bei verschiedenen Erregern (z. B. Mykobakterien) die Nukleinsäuren-Extraktion erschwert sein kann. In vielen Fällen sind alle Extraktions- und (RT-)PCR-Reagenzien in der Kartusche vorgelegt und die einzelnen Reaktionsschritte in den unterschiedlichen Kartuschen-Kompartimenten mikrofluidisch kontrolliert, wodurch es zudem zu Leckagen kommen kann. Durch den technischen Aufwand, diese zu verhindern und den Prozessablauf reibungslos zu gestalten, wird eine Kartusche daher zu einem High-Tech-Produkt, was sich dann natürlich auf den Preis dieses Verbrauchsproduktes niederschlägt. Zur Vermeidung kostenaufwendigerer Multikompartment-Kartuschen gibt es nach wie vor auch NAT-Analyzer, bei denen die Probenextraktion außerhalb des Gerätes stattfindet oder die Extraktion der Probe in der Kartusche einzig aus einem Hitzedenaturierungsschritt besteht. Während sich Nasen- und Rachenabstriche für letztere Art der Extraktion zumeist eignen, enthalten Blut- und Stuhl-Proben von Patienten jedoch PCR-Inhibitoren und sind daher nicht für derartig rudimentäre Extraktionen geeignet. Somit beschränken sich viele dieser NAT-Extraktionsmethoden auf Erreger der oberen Atemwege. Bei der Amplifikation der Zielsequenzen kommen, gegebenenfalls nach vorausgehender reverser Transkription von RNA-Genom-Sequenzen (z. B. beim SARS-CoV-2), bei NAT-POCT-Geräten überwiegend konventionelle thermozyklische PCR- oder gerätetechnisch weniger anspruchsvolle isotherme Amplifikations-Methoden zum Einsatz [4].

Detektion der Zielnukleinsäuren-Amplifikation

Um hohe Sensitivitäten zu erreichen, erfolgt die Detektion der Amplifikation der Zielnukleinsäuren in vielen Fällen fluoreszenzbasiert. Der Fluoreszenznachweis in einem miniaturisierten Analyzer ist gerätetechnisch sehr aufwendig und erfordert Linsen und Optiken, oft als Mehrkanal-System konfiguriert. Dies treibt die Gerätekosten in die Höhe. Viele bewegliche Teile ermöglichen den Wechsel zwischen den einzelnen Linsen. Darüber hinaus stehen vereinzelt Systeme mit visueller Detektion, z. B. Enzym-linked DNA-Detektion, in Analogie zu konventionellen Lateral-Flow-Assays zur Verfügung.

Ergebnis- und Befunderstellung

Bei der Ergebnis- und Befunderstellung muss man zwischen echten RT-qPCR und semi-quantitativen bzw. qualitativen NAT-Systemen differenzieren. Echte RT-qPCR-Geräte quantifizieren zur Befundung die amplifizierten Nukleinsäuren-Sequenzen über ermittelte und ausgegebene Ct-Werte und stellen ggf. die erhaltenen Schmelzkurven graphisch dar. Dagegen nutzen semi-quantitative bzw. qualitative Systeme definierte Ct-Schwellenwerte zur Bestimmung der Positivität. Die Befunderstellung erfolgt entweder vom Gerät selbst oder aber über ein per Bluetooth verbundenes Smartphone und kann meist direkt mit Laborinformationssystemen gekoppelt werden [3, 4].

Implementierung im Krankenhausumfeld

Bei der Einführung von patientennaher NAT müssen von den klinischen Stationen (z. B. Notaufnahme) in enger Kooperation mit der multidisziplinären, die POCT-Prozesse verantwortenden Einrichtung (siehe Qualitätssicherung) vorbereitende Maßnahmen ergriffen werden.
Die wichtigsten Aspekte dabei sind:

  • Die Auswahl eines geeigneten Systems und dessen Platzierung,
  • die intensive Schulung des klinisch tätigen Personals bezüglich der richtigen Indikationsstellung, der präanalytischen Aspekte und der Durchführung der NAT-Messungen,
  • die elektronische Anbindung der Geräte an das LIS, die die klinische Validierung der erhaltenen Resultate ermöglicht,
  • die korrekte Ergebnisinterpretation und eine adäquate therapeutische Beratung,
  • die Sicherstellung aller qualitätssichernden Maßnahmen (interne und externe Qualitätskontrollen), sowie
  • organisatorische Maßnahmen zur Meldepflicht nach Infektionsschutzgesetz (IfSG) bzw. der innerbetrieblichen Meldung an die zuständige Krankenhaushygiene.

Hygieneanforderungen

Die Hygiene am Arbeitsplatz muss bei der Benutzung von NAT-POCT-Geräten besonders beachtet werden. Da das jeweilige Gerät arbeitstäglich mit vielen Proben von vielen verschiedenen Anwendenden betrieben wird, ist dessen hygienische Sauberkeit nicht nur bezüglich der Vermeidung von Kreuzkontaminationen bei der Analytik wichtig, sondern auch um einer potenziellen Ansteckung von Personen im Arbeitsumfeld vorzubeugen. Gemäß § 4 BioStoffV bzw. § 3 ArbStättV müssen die Anwendenden von NAT-POCT vor dem Umgang mit den (Abstrich-)Materialien geeignete Schutzmaßnahmen im Sinne eines adäquaten Hygieneplans ergreifen und ggf. eine Betriebsanweisung erstellen. Aufmerksamkeit muss der Händehygiene, der persönlichen Schutzausrüstung (PSA), der desinfizierenden Oberflächen- und Gerätereinigung sowie der Abfall-Behandlung geschenkt werden. Darüber hinaus müssen die entsprechenden Regularien (z. B. TRBA 100 und 250, Vorgaben des ABAS) beachtet werden. In der Regel bieten die Gerätehersteller den Nutzer:innen auch detaillierte Handlungsanweisungen zur adäquaten Reinigung der jeweiligen Systeme an.

Qualitätssicherung

Die Neufassung der Rili-BÄK vom Dezember 2019 hat die Maßnahmen zur Durchführung der Qualitätssicherung bei geschlossenen, vollmechanisierten molekulargenetischen Testsystemen (z. B. Kartuschen-Systeme) zum Nachweis Erreger-spezifischer DNA/RNA, die patientennah als POCT in einem Krankenhaus oder einer anderen Einrichtung des Gesundheitswesens angewendet werden können, im Kapitel 2.1.2.3 klar definiert. Zudem ist die interne Qualitätssicherung bei molekularbiologischen Verfahren in den Tabellen B 3-1 und B 3-1a aufgeführt. Diese Qualitätssicherungsmaßnahmen werden organisatorisch am besten mittels einer multidisziplinär besetzten POCT-verantwortlichen Einrichtung sichergestellt.
Die POCT-verantwortliche Einrichtung sollte für das NAT-POCT ein spezielles Kompetenzteam etablieren, welches aus der Leitung des Medizinischen Labors im Verbund (oder in Personalunion) und Personen mit Expertise auf dem Gebiet der Medizinischen Mikrobiologie/Virologie (z. B. aus einem internen oder externen mikrobiologischen und/oder virologischen Institut) besteht. Diese multidisziplinäre, die POCT-Prozesse verantwortende Einrichtung muss mit umfassenden Verantwortlichkeiten ausgestattet sein. Eine seltene weitere Organisationsvariante zur Qualitätssicherung ist die NAT-POCT-Betreuung in z. B. einer Notaufnahme in der Alleinverantwortung eines mikrobiologisch/virologischen Labors.

Autoren
Prof. Dr. med. Peter Luppa
Dr. rer. nat. Susanne Weber
Institut für Klin. Chemie u. Pathobiochemie
Klinikum rechts der Isar der TU München
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