Von der Typisierung bakterieller Infektionserreger: Ein bisschen Geschichte
DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.04.02Am 15. Juni 2021 jährte sich der Geburtstag von Helmut Rische zum hundertsten Mal. Aus diesem Anlass werfen wir einen Blick auf seinen Werdegang, seine Forschung zur Typisierung von Bakterien sowie seine Erfolge bei der Aufklärung von Infektketten und seinen Einsatz zur Vermeidung von Resistenzentwicklung.
Schlüsselwörter: Lysotypie, Bakteriophagen, Institut für Experimentelle Epidemiologie, Robert Koch-Institut
Nach dem zweiten Weltkrieg gab es – bedingt durch Migration und die durch Bombardements zerstörte Infrastruktur der Städte – in vielen europäischen Ländern Ausbrüche von Infektionen mit S. enterica serovar Typhi. Die Erreger-Typisierung war für das Aufspüren der Infektionsquellen und Verfolgen der Verbreitungswege eine wichtige Voraussetzung. Dafür bot sich zu dieser Zeit die Lysotypie als vielversprechende Methode an. Die Lysotypie fußt auf der unterschiedlichen Empfindlichkeit von Stämmen einer Bakterien-Spezies gegen unterschiedliche Bakteriophagen (nachstehend Phagen). Auf dieses Phänomen war man bereits nach dem ersten Weltkrieg aufmerksam geworden, als nach der Entdeckung der Phagen (F. Twort, 1914; vielleicht unabhängig davon F. De Herelle, 1917) eine Vielzahl von Untersuchungen zu den Möglichkeiten ihres therapeutischen Einsatzes erfolgte, verbunden mit einer Flut von Publikationen – im Jahr 1939 waren es bereits mehr als 2.000. Schon F. De Herelle dachte daran, Phagen für die bakterielle Diagnostik einzusetzen; C. Sonnenschein beschrieb dann 1928 die Verwendung von Phagen für die Typhus-Diagnostik. Zehn Jahre später etablierten Cragie und Yen in den USA für die Typisierung von S. enterica serovar Typhi einen Satz von Phagen, die an das Vi-Antigen (Poly-N-Acetyl-D-Galactosaminuronsäure) binden. Für die Typisierung von S. enterica serovar Paratyphi B stellten Felix und Callow (London) 1943 einen Phagensatz zusammen.
Es waren zwei „Pioniere“, die dann darauf aufbauend die auch noch heute verwendeten Lysotypie-Systeme für beide Serovare etablierten und ihren Einsatz für Ausbruchsuntersuchungen sowie die epidemiologische Überwachung für eine Reihe von bakteriellen Infektionserregern geradezu beispielhaft einführten: E. S. Anderson am Central Public Health Laboratory Service in London und H. Rische in Wernigerode. Die für die Lysotypie verwendeten Phagen stammten zumeist aus Abwasser oder Materialien von Patienten. Ihre Auswahl für die Lysotypie erfolgte damals und auch später weitgehend empirisch. Fast zeitgleich waren Phagen wichtige Modell-Objekte der sich rasch entwickelnden Molekulargenetik, deren Erkenntnisse sich nur teilweise in der Entwicklung der Lysotypie niederschlugen. Immerhin führten die Arbeitsgruppen um Anderson und Rische Experimente zu den Hintergründen der Lysis-Spektren durch („Typ-bestimmende“ Prophagen, Adaptation von Phagen als Wirts-spezifische Modifikation) [1]. Wie wir heute wissen, können Lysis-Spektren von Phagen auf verschiedenen Mechanismen beruhen: (i) Adsorptionsspezifität, (ii) Wirts-kontrollierte Restriktion/Modifikation (HCM), (iii) Phagen-kodierte Mechanismen, die HCM entgegenwirken (iv), Superinfektions-Immunität (vermittelt durch verwandte Prophagen, (v) CRISPR/Cas-Systeme. Dadurch sind Änderungen der Empfindlichkeit gegenüber Phagen im Verlauf der Verbreitung eines Stammes (Evolution) möglich. Für die Klassifizierung der Phagen wurde in Wernigerode die Elektronenmikroskopie etabliert: ein Ansatz, der in späteren Jahren für die Lysotypie-Systeme einer Reihe weiterer Erreger-Spezies am Institut für Immunologie und Experimentelle Therapie, Wroclaw von S. Slopek breit verfolgt wurde. Auch für Salmonella serovar Typhimurium waren frühzeitig Phagensätze für die Typisierung entwickelt worden (Felix u. Callow, 1943; Lillleengen, 1953).
Dem Typhus auf der Spur
Bis zur Verschärfung der Teilung Deutschlands im Jahr 1961 hat H. Rische mit Instituten in der ehemaligen Bundesrepublik [2] und mit dem Robert Koch-Institut [3] gemeinsam zu Salmonellen geforscht und publiziert. In der DDR wurden über die staatliche Hygieneinspektion die Typhus-Dauerausscheider (nach stattgehabter Infektion) und die Lysotypen der damit assoziierten S. enterica serovar Typhi-Stämme in einer im IEE gepflegten Kartei erfasst. Im Falle eines Ausbruchs war es so möglich, Dauerausscheider als Infektionsquelle zu identifizieren und Maßnahmen für die weitere Prävention zu treffen. Beispielsweise konnte Rische den durch kontaminiertes Trinkwasser verursachten Ausbruch mit 65 Erkrankten in Jena 1980 auf eine Dauerausscheiderin zurückverfolgen. Von deren Hauskläranlage war durch das Überlaufen nach starkem Regen eine Kontamination eines Wasserwerkes erfolgt. Damit wurde zugleich die von den „örtlichen Organen der Staatsmacht“ vertretene Auffassung, es würde sich um einen Sabotageakt mit einem gegen Chlor resistenten Stamm handeln, widerlegt. Ganz im Sinne des heutigen One-Health-Konzeptes sah H. Rische die enge Verbindung von Human- und Veterinärmedizin, stellte 1958 für die Bearbeitung der nicht-typhoidalen Salmonellen den Tierarzt H. Kühn (später stellvertr. Direktor des IEE) ein und baute mit ihm eine enge Zusammenarbeit mit veterinärmedizinischen Institutionen auf. Er war damit seiner Zeit deutlich voraus!
Shigellen auf dem Vormarsch
Vor allem in den ost- und südosteuropäischen Ländern waren Shigella spp. als Durchfallerreger noch bis in die 1980er Jahre von erheblicher Bedeutung. So wurden in der DDR 11.000 Infektionen für das Jahr 1973 gemeldet. Bereits 1947 wurde von E. Hammarström ein Lysotypie-System für Sh. sonnei vorgestellt und für Sh. flexneri 1960 von S. Slopek. Beide Systeme wurden von Rische komplettiert und seit 1967 am IEE eingeführt. Zusammen mit seinen Mitarbeiter:innen klärte er dann auf, dass die Infektketten im Sommer hauptsächlich von den Campingplätzen an der Ostseeküste mit ihren hygienisch unzureichenden Toilettenanlagen ausgingen und nach Süden vordrangen. Shigellen waren in der ehemaligen DDR nicht endemisch, sie wurden von Touristen „mitgebracht“, die vor ihrem Aufenthalt an der Ostsee bereits Ferientage an der Schwarzmeerküste verbracht hatten [4].
Staphylokokken bei Mensch & Tier
In den Nachkriegsjahren bereiteten sowohl in europäischen Ländern als auch in den USA Ausbrüche von Krankenhausinfektionen mit S. aureus erhebliche Probleme – insbesondere in geburtshilflichen Einrichtungen (Mastitis puerperalis). Die dabei auftretenden Stämme waren oft mehrfach resistent gegen die wenigen damals verfügbaren Antibiotika. Ausgehend von Beobachtungen von Fisk (1941) zu unterschiedlichen Lysisspektren der aus In-vitro-Kulturen unterschiedlicher lysogener Stämme freigesetzten Phagen entwickelten Wilson und Atkinson (USA) 1945 ein Lysotypie-System für S. aureus. Daraus hervorgehend wurde 1953 von R. E. O. Williams, PHLS, London, der Internationale Basissatz für die Lysotypie von Staphylokokken aufgestellt, der mit erforderlichen Modifikationen (dabei auch durch Rische) in vielen Ländern bis in die 2000er Jahre angewendet wurde. In den – zusammen mit W. Meyer (Abteilungsleiter Epidemiologie am Wernigeröder Institut) durchgeführten – Studien identifizierte man die wichtige Rolle der nasalen Besiedlung mit S. aureus als Reservoir für die damals verbreiteten Hospitalstämme. Zugleich ermöglichte die Dokumentation der Lysotypie-Ergebnisse (bei S. aureus Lysisbilder) einen guten Überblick über die in den Krankenhäusern und in der Bevölkerung (hier Isolate aus Haut-Weichgewebeinfektionen) verbreiteten Stämme [5].
In der Veterinärmedizin waren seit Ende der 1950er Jahre Ausbrüche von Mastitis bei Milchkühen zu einem Problem geworden. Von Davidson (Weybridge, England) wurde 1961 ein Phagensatz für die Typisierung dieser Isolate aufgestellt (später der internationale Basissatz für die Lysotypie boviner Staphylokokken) und in Wernigerode in enger Kooperation mit veterinärmedizinischen Untersuchungseinrichtungen eingesetzt. Dabei stand auch die Frage im Vordergrund, ob ggf. wechselseitige Übertragungen zwischen Mensch und Tier auftreten. Diese von W. Meyer und H. Rische durchgeführten Untersuchungen, bei denen die Lysotypie durch weitere Marker (Hämolysine, Staphylokinase, Kristallviolett-Reaktion) ergänzt wurde, führten 1967 zu dem dann international sehr beachteten Ergebnis, dass es bei Mensch und Rind unterschiedliche Subpopulationen gibt (Ökovare, damals als Standortvarietäten bezeichnet) [6, 7]. In späteren Jahren bestätigten W. Witte, R. Hummel und H. Rische dies für weitere Nutztier-Spezies [5]. Für diese Untersuchungen und darauf folgend für das unmittelbare Einbeziehen der Veterinärmedizin in die epidemiologische Überwachung von S. aureus richtete Rische eine Außenstelle des IEE im damaligen Bezirksinstitut für Veterinärwesen in Jena ein. So war es möglich, unabhängig von der auch in der DDR nicht immer konfliktfreien Zusammenarbeit mit Veterinärmedizin und Landwirtschaft (vorbeugender Infektionsschutz vs. wirtschaftliche Interessen) einen davon unabhängigen Einblick in die tatsächlichen Gegebenheiten zu erlangen.
Prof. Dr. Helmut Rische (links) und Prof. Dr. Dr. Werner Köhler (Jena), 2008.
Internationale Forschung
Von Anbeginn legte Rische großen Wert auf internationale Zusammenarbeit, um die Ausbreitung von Erregern zu verfolgen; auch über die Grenzen hinaus, die bis 1989 die beiden großen gesellschaftlichen Systeme trennten. Es ging um standardisierte Methoden und um eine einheitliche Nomenklatur der Ergebnisse der Typisierung. Die von Rische regelmäßig durchgeführten Internationalen Lysotypie-Kolloquien [8] ließen damals Wernigerode zu einem „Mekka“ der mit der Lysotypie befassten Wissenschaftler:innen werden. Unter Mitwirkung von Rische wurden Subkommitees für die Typisierung einzelner Erreger-Gruppen innerhalb des International Committee on Systematics of Prokaryotes der International Union of Microbiological Societies (IUMS) eingerichtet, in denen die Zusammensetzung der Typisierphagen-Sätze beraten und Ringversuche der externen Qualitätskontrolle ausgewertet wurden. Aus politischen Gründen konnte H. Rische nach 1970 an den Sitzungen dieser Subkommittes nicht mehr teilnehmen, wenn sie außerhalb des Ostblocks stattfanden. Er ließ sich dadurch nicht beirren und gab 1973 unter Mitwirkung eines Teams internationaler Expert:innen die Monographie „Lysotypie und andere spezielle epidemiologische Laboratoriumsmethoden“ (G. Fischer Verlag, Jena) heraus; sie wurde seinerzeit zu einem Standardwerk für die Typisierung bakterieller Infektionserreger.
Aufgrund der ausgewiesenen Expertise wurden am IEE die Referenzlaboratorien der DDR für Salmonellen (H. Kühn), Shigellen (K. Ziesche), Staphylokokken (W. Witte), Plasmide (H. Tschäpe) und Antibiotikaresistenz (W. Witte) etabliert, die einen umfassenden Überblick zur Ausbreitung von Stämmen mit wichtigen Resistenz-und Virulenzeigenschaften hatten. Ausgehend von Publikationen über klonale Populationsstrukturen von N. meningitidis (M. Achtmann) und E. coli (R. Selander) entwickelte Rische die Klon-Konzeption des epidemischen Prozesses [9,10]: Nur ganz bestimmte Klone innerhalb der Population (insbesondere von bedingt pathogenen Erregern wie Epidemiestämme von S. aureus/MRSA) erlangen eine Ausbreitungsfähigkeit [11]. Ihre rechtzeitige Erkennung (auf Typisierung basierte Surveillance) ist wichtige Voraussetzung für die Prävention. Die Definition eines Klons (Stammes) erfolgte damals durch komplexe Typisierung, die mehrere, voneinander unabhängige Merkmale einschloss, neben den Lysotypen(-bildern) waren dies eine Reihe von biochemischen Merkmalen, Plasmid-Muster sowie bei Enterobacteriales Muster der Außenmembranproteine und der Lipopolysaccharide. So konnte unter anderem für S. aureus abgeleitet werden, dass es sich bei den mehrfachresistenten Stämmen mit dem Lysisbild 80,81 (heute basiert auf Multi-Locus Sequenz-Typisierung (MLST) ST30) um einen weltweit verbreiteten Klon handelt. Das gleiche gilt wahrscheinlich für Isolate mit dem Lysisbild 55,71 (heute ST121), die mit Impetigo sowie exfoliativer Dermatitis assoziiert sind. Die spätere Weiterentwicklung der Typisierung durch Genom-basierte Methoden (Makrorestriktionsmuster und MLST) hat damals getroffene Schlussfolgerungen weitgehend bestätigt. Für MRSA konnte man zeigen, dass die Entwicklung der Methicillin-Resistenz auf der weiten, z. T. pandemischen Verbreitung weniger epidemischer MRSA-Klone beruht.
Knappe Ressourcen
Die komplexe Typisierung aussagefähiger Anzahlen von Isolaten stieß aufgrund der begrenzten Ressourcen, insbesondere der Beschaffung von Laborgeräten und von bestimmten Feinchemikalien an ihre Grenzen. Aufbauend auf den eigenen Erfahrungen der Nachkriegszeit motivierte und unterstützte Rische seine Mitarbeiter:innen bei Initiativen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten (z. B. dem Eigenbau von Elektrophorese- und Gel-Betrachtungsgeräten und der eigenen Herstellung von Lysostaphin). Vorangegangen waren seit der Nachkriegszeit Arbeiten zur standardisierten Zubereitung von geeigneten Nährmedien für die bakteriologische Diagnostik, später dann die Entwicklung neuer Nährmedien. Im Unterschied zur klinischen Chemie erfolgte die Standardisierung von Methoden der mikrobiologisch medizinischen Diagnostik in der DDR vergleichsweise spät. Begünstigt durch das begrenzte Angebot des zentralen Produktionsinstitutes stand dem vor allem die Experimentierfreude einer Reihe leitender Bakteriologen entgegen; es schien, als wollten sie selbst noch einmal „kleine Robert Kochs“ sein. Zusammen mit J. Sedlak (Prag) gab Rische 1961 die Monographie „Enteobacteriaceae Infektionen, Epidemiologie und Laboratoriumsdiagnostik“ (G. Thieme Verlag, Leipzig) heraus, in der schwerpunktmäßig auch Grundlagen (Nährmedien) abgehandelt wurden. In späteren Jahren wurden zwei am IEE entwickelte Nährmedien patentiert, der Antagonisten-arme Nähragar L4 für die Resistenzbestimmung [12] und der Galle-Chrysoidin-Glycin Agar [13] für die Diagnostik von Enterobacteriales. Letzterer wird auch gegenwärtig noch von mehreren Herstellern angeboten.
Früh erkannte Gefahr: Resistenzplasmide
Bereits während der Nachkriegsjahre in Mühlhausen gehörten auch antibakterielle Wirkstoffe zu Risches Arbeitsgebieten; dort untersuchte er u. a. die antibakterielle Wirksamkeit von sekundären Pflanzenstoffen im Hopfen [14] sowie in Flechten und von neu synthetisierten Sulfonamiden gegen M. tuberculosis. In Wernigerode wurde dann die Resistenzentwicklung bei den dort bearbeiteten Erreger-Spezies von Anbeginn umfassend verfolgt. Nach Berichten aus Japan (S. Hashimoto, Tokyo) zu Beginn der 1960er Jahre über die durch konjugative Plasmide vermittelte Tetrazyklinresistenz erkannte Rische sehr früh die Gefahren, die von der Verbreitung von Resistenzplasmiden ausgehen. Am IEE wurde bereits 1966 und damit im internationalen Vergleich sehr früh eine genetische Arbeitsgruppe (H. Tschäpe) eingerichtet, die sich mit Resistenzplasmiden befasste. In den Folgejahren wurden Studien zur Verbreitung von Resistenzplasmiden bei Enterobacteriales aus Infektionen, aus dem gastrointestinalen Mikrobiom gesunder Menschen, S. enterica von Tieren sowie aus Abwasser und Oberflächenwasser durchgeführt [15, 16]. Das Einbeziehen der Umwelt war damals international neu.
In Großbritannien hatten E. S. Anderson et al. Ende der 1960er Jahre eine erhebliche Zunahme der Verbreitung von S. enterica serovar Typhimurium mit dem Lysotyp 29 und übertragbarer Tetrazyklinresistenz bei Rindern und auch im Zusammenhang mit Infektionen beim Menschen beobachtet und führte dies auf den massiven Einsatz von Oxytetrazyklin als Leistungsförderer in der Tiermast zurück. In Großbritannien wurde der nutritive Einsatz von Oxytetrazyklin 1972 verboten. In der DDR waren Bestrebungen des IEE in diese Richtung zunächst erfolglos. Das hauptsächliche Gegenargument von Seiten der Landwirtschaftspolitik war das Fehlen eindeutiger Beweise für die Übertragung aus der Tiermast auf den Menschen. Allerdings gab Ende der 1970er Jahre eine sehr klug geplante und auf einer Versuchsfarm in den USA von S. E. Levy (Boston) durchgeführte Studie deutliche Hinweise auf die Übertragung von Tetrazyklinresistenz kodierenden Plasmiden aus E. coli beim Geflügel auf E. coli aus der Darmflora von Menschen.
In der DDR wurde 1983 endlich Oxytetrazyklin in der Tiermast durch das Streptothricin-Antibiotikum Nourseothricin ersetzt. Rische sah nun die einmalige Gelegenheit für eine umfassende prospektive Studie, da es keinerlei andere Einsatzgebiete für dieses Antibiotikum gab. Die Studie wurde, koordiniert durch H. Rische und W. Witte, im heutigen Land Thüringen unter Mitwirkung der staatlichen Hygieneinspektion durchgeführt. Bereits 1985 wurde Streptothricinresistenz bei E. coli aus der Darmflora von Mastschweinen und aus Fleischprodukten beobachtet. Als Resistenzmechanismus wurde eine Streptothricin-Acetyltransferase nachgewiesen, die sie kodierenden Resistenzgene (sat-1, sat-2) waren auf Transposons der Tn7-Gruppe lokalisiert, die in Plasmide mit breitem Wirtsbereich integriert waren [17]. Zu Beginn des Jahres 1986 hatten sich die Resistenzdeterminanten auf E. coli beim Personal von Schweinezuchtanlagen, bei deren Familienangehörigen, bei in Städten wohnenden Personen, bei Patient:innen aus Harnwegsinfektionen sowie bei Sh. sonnei (Reservoir nur beim Menschen) ausgebreitet. Die aus dieser Studie hervorgegangenen, publizierten Daten [18, 19, 20, 21], wurden noch mehr als 30 Jahre später in einem von der WHO in Auftrag gegebenen Review [22] erörtert.
In einer Pause während einer internationalen Tagung in Wernigerode, 1986: Helmut Rische (links) zusammen mit dem Autor (rechts) und einem weiteren Tagungsteilnehmer.
Die Resistenzentwicklung im Blick
Für den zwischen Humanmedizin, Veterinärmedizin und Landwirtschaft abgestimmten Einsatz antibakterieller Wirkstoffe wurde auf Initiative von H. Rische zu Beginn der 1980er Jahre die interdisziplinäre Koordinierungsgruppe Chemotherapeutikastrategie gegründet, die unter Federführung des Ministeriums für Gesundheit stand. In den nachgeordneten Arbeitsgruppen Humanmedizin, Veterinärmedizin, Tierernährung und Pflanzenschutz wurden Anträge auf Neuzulassung antibakterieller Wirkstoffe unter dem Gesichtspunkt der Resistenzentwicklung begutachtet. Sekretariat und Koordinierungsstelle befanden sich am IEE.
Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden mehrere Bereiche des IEE in das damalige Bundesgesundheitsamt eingegliedert, dabei vorwiegend in das Robert Koch-Institut; der Bereich Salmonellen kam zum Robert von Ostertag-Institut (Institut für Veterinärmedizin). Nach der Auflösung des Bundesgesundheitsamtes gehörten dann alle Bereiche als Außenstelle Wernigerode zum RKI. Hier sind aufbauend auf die früheren Erfahrungen und eng verbunden mit der Neugestaltung der epidemiologischen Überwachung von Infektionskrankheiten in Deutschland unter Federführung der Abteilung Infektionsepidemiologie am RKI die nationalen Referenzzentren für Salmonellen und andere bakterielle Enteritis-Erreger und für Staphylokokken und Enterokokken angesiedelt. Die Einführung Genom-basierter Typisiermethoden (zu Beginn der 1990er-Jahre Makrorestriktionsmuster („PFGE“) in Verbindung mit der Multi-Locus-Sequenz-Typisierung (MLST)) gestatteten bereits die Interpretation der Ergebnisse aus einer evolutionären Sicht. Bei S. aureus löste die der spa-Typisierung (Polymorphismen Repeat-Region des spa-Gens) seit 2006 die Lysotypie vollständig ab und gestattete die Untersuchung ausreichend großer Anzahlen von Isolaten.
Genomsequenzierung
Die schnellen Fortschritte auf dem Gebiet der Sequenzierung von Genomen in Verbindung mit der Bioinformatik leiteten eine neue Epoche der Charakterisierung und Typisierung bakterieller Infektionserreger mit einer sehr hohen Diskriminierungsfähigkeit ein. Helmut Rische hatte immer wieder warnend darauf hingewiesen, dass bei Erregern einer Spezies mit unterschiedlicher Herkunft beobachtete identische Typisiermuster nicht unbedingt einen klonalen Zusammenhang beweisen und nur in Verbindung mit konkreten epidemiologischen Daten interpretiert werden können. Diese Begrenzung tritt nun zurück. Die gegenwärtig angewandten Typisierverfahren mittels Next Generation Sequencing (NGS) beruhen auf zwei Grundprinzipien: dem Vergleich einer Vielzahl konsistenter Gene des Core-Genoms (cgMLST) sowie der Erfassung Genom-weiter Einzel-Nukleotid-Polymorphismen (SNP). Ausgehend von einer Distanz-Matrix können dann phylogenetische Stammbäume erstellt und Cluster-Typen definiert werden. CgMLST hat den Vorteil, dass es auf einem Satz definierter Gene und definierter Allele beruht, allerdings können unterschiedlichen Allelen eine oder mehrere Mutationen zugrunde liegen. Das SNP-basierte Verfahren benötigt immer den Vergleich mit einem zunächst willkürlich ausgewählten Referenz-Genom, hat aber eine höhere Diskriminierungsfähigkeit und erlaubt die Anwendung detaillierter evolutionärer Modelle für die Phylogenie. In Verbindung mit Kenntnissen über die Häufigkeit des Auftretens von SNP ist es damit auch möglich, das Auftreten und die Verbreitung bestimmter Erreger-Stämme (Klone) zurück zu datieren. Beispielhaft dafür war die vom Nationalen Referenzzentrum für Staphylokokken und Enterokokken in Zusammenarbeit mit M. Holden (Wellcome-Trust) und M. Achtmann (Cork) durchgeführte Analyse der pandemischen Verbreitung des epidemischen MRSA ST22 [23]. Die Vergleichbarkeit von Ergebnissen der Typisierung, vor allem im internationalen Maßstab, war eine stete Forderung von Rische. Wegen der Unterschiedlichkeit der Sequenzierverfahren und ihrer schnellen Weiterentwicklung ist eine Standardisierung der NGS-basierten Methoden nicht praktikabel, wohl aber eine Validierung der Methoden anhand von Vergleichs-Datensätzen sowie die Entwicklung einer validierten cgMLST-Nomenklatur mit kuratierten zentralisierten Datenbanken. Dieses Anliegen ist einer der Schwerpunkte der European Study Group on Epidemiological Markers in der European Society for Clinical Microbiology and Infectious Diseases, deren Executive Committee gegenwärtig G. Werner (Leiter des Fachgebietes Nosokomiale Erreger und Antibiotika-Resistenz am RKI im Bereich Wernigerode) vorsteht – hier schließt sich der Kreis.