Charakterisierung von hämatopoetischen Stammzellzubereitungen: Reicht CD34+ heutzutage noch aus?

Die Transplantation von hämatopoetischen Stammzellen (HSC) hat sich als Standardtherapie bei einer Reihe von hämatologischen Erkrankungen etabliert, bei denen für eine kurative Therapie das blutbildende System ausgetauscht werden muss. Sensu strictu sind als HSC nur solche Zellen zu bezeichnen, die nach erfolgter Transplantation für eine lebenslange, funktionelle Repopulation aller Linien des Blutes sorgen. Obwohl der Begriff „Stammzelltransplantation“ suggeriert, dass dafür eine reine Population von blutbildenden Stammzellen verwendet wird, ist dies in der klinischen Praxis nicht der Fall. Stattdessen werden Zellpräparationen verwendet, die eine Mischung verschiedenster Blutzellen beinhalten. Unabhängig von deren Verwendung für die allogene oder autologe Transplantation wird das Oberflächenmolekül CD34+ als Surrogatmarker zur Bestimmung des HSC-Gehalts mittels Durchflusszytometrie verwendet. Die CD34+-positive Zellfraktion, die etwa 1,5 % aller mononukleären Zellen im Knochenmark ausmacht, ist jedoch selbst heterogen zusammengesetzt. Sie beinhaltet hauptsächlich Vorläuferzellen der verschiedensten Reifungsstadien, die meist ein eingeschränktes Entwicklungspotenzial aufweisen und daher nicht in der Lage sind, Blutzellen aller Linien zu bilden (Abb. 1) [1].

 

Der Anteil an funktionellen HSC ist dagegen sehr gering. Die Ergebnisse diverser Genmarkierungsstudien im Menschen deuten auf etwa 0,01 % aller transplantierten CD34+-Zellen hin, die echte HSC sind und Langzeit-Hämatopoese organisieren. Je nach Transplantations-Setting (autolog oder allogen) gilt ein Mindestgehalt von 2–5*106 CD34+-Zellen pro kg Körpergewicht des Patienten im Stammzellpräparat als Richtwert für ein robustes Engraftment. Dies bedeutet, dass sich in einer Stammzellzubereitung rechnerisch bis zu 35.000 HSC befinden – allerdings mit einer unbekannten Schwankungsbreite.

HSC-Verlust nach Stammzell-Tx

Die tatsächliche Zahl funktioneller HSC wird während der Transplantation aller Wahrscheinlichkeit nach noch weiter reduziert: Durch die notwendige Konditionierung des Patienten entsteht ein proinflamma­torisches Milieu, das die Differenzierung der HSC – und damit deren Verlust – induziert. Tatsächlich gibt es starke Hinweise darauf, dass die Frequenz der frühen Vorläuferzellen nach Transplantation im Knochenmark deutlich geringer ist als im Transplantat [4, 5]. Es wäre also in Einzelfällen vorstellbar, dass die Zahl der HSC, die im Knochenmark ankommt und sich ansiedelt, zu niedrig für eine dauerhafte Rekonstitution ist und es deshalb zu einer unvollständigen Blutbildung oder sogar zum kompletten Versagen des Transplantats mit Aplasie kommt. Es gibt allerdings noch eine ganze Reihe von Gründen für Komplikatio­nen nach der Transplantation, wie z. B. die Grunderkrankung und das Alter der Patienten, die vorangegangenen Behandlungen (Chemo-, Strahlen-, Immuntherapien), das Konditionierungsschema und dessen Intensität, das Ausmaß der HLA-Übereinstimmung von Empfänger und Spender (bei allogener Transplantation) sowie das Auftreten von akutem oder chronischem Graft-versus-Host Disease (GvHD). Aufgrund dieser Vielzahl an Faktoren lassen sich Komplikationen nicht schlüssig auf eine eventuell insuffiziente Zusammensetzung der Stamm- und Vorläuferfraktionen im Präparat zurückführen.

CD34+-Subpopulationen

Erstaunlich ist allerdings, dass die qualitative und quantitative Zusammensetzung der Stammzellpräparationen – trotz ihrer entscheidenden Rolle für den Erfolg der Therapie – nach wie vor weitestgehend undefiniert ist, obwohl wir seit Jahren sehr viel mehr über die Zusammensetzung der CD34+-Subpopulationen wissen. Bei immunphänotypischer Charakterisierung von Stammzellpräparationen liegen die sogenannten Multipotenten Progenitoren (MPP), die den HSC am nächs­ten kommen, in einer Population von Zellen, die keine Oberflächenantigene exprimieren, die für differenzierte Zellen charakteristisch sind (Lineage negativ, Lin-) und die zumindest die Oberflächenmarker-Kombination CD133+CD34+CD38-CD45RA- aufweisen [1, 6, 7]. Die alleinige Messung von CD34 zur Beurteilung des Stammzellgehalts von Transplantaten entspricht heutzutage also bei Weitem nicht mehr dem Stand der Wissenschaft.

Gentherapie von Stammzellen

Ein anderer Bereich, in dem dieses Manko eigentlich noch deutlicher wird, ist die somatische Gentherapie von kongenitalen Defekten des hämatopoetischen Systems. Hier ist das Hauptziel, mittels Genkorrektur und Transplantation autologer HSC mit einer einzigen Behandlung eine dauerhafte Heilung des Patienten zu erzielen. Die zurzeit am besten etablierte und daher am häufigsten eingesetzte Methode ist der Gentransfer in CD34+-Hämatopoetische Stamm- und  Vorläuerzellen (HSPC) mittels lenti­viraler Vektoren. Für die Transplantation werden typischerweise 2 bis 20 Millionen angereicherte CD34+-Zellen pro kg Körpergewicht eingesetzt, deren Selektion in dieser Menge mit erheblichem Aufwand verbunden ist. Da innerhalb der CD34+-Fraktion nur etwa jede zehntausendste Zelle eine Stammzelle ist (entsprechend einer Frequenz von 0,01 %), die ja das eigentliche Therapeutikum darstellt, werden zehntausendmal mehr Viruspartikel eingesetzt als eigentlich notwendig wären – mit den damit verbundenen entsprechend höheren Kosten. Mit einer maximal angereicherten Stammzellfraktion müssten weniger virale Partikel eingesetzt werden, was den Preis der Herstellung von momentan $ 250.000–400.000 rechnerisch auf $ 25–40 pro Patient sehr deutlich reduzieren würde (wenn man die anderweitig neu entstehenden Kosten zunächst außer Acht lässt). Neben dieser ineffizienten Manipulation der HSC ist die Verwendung von nicht weiter angereicherten CD34+-HSPC überdies mit anderen grundsätzlichen Risiken verbunden. Da die Integration von lentiviralen Vektoren ins Wirtsgenom nicht gesteuert werden kann, ist die massive Transduktion von CD34+-Vorläuferzellen, die ja für den langfristigen Therapieeffekt nicht benötigt werden, aber trotzdem mit transfundiert werden, per se mit einem erhöhten Risiko der malignen Transformation durch Insertionsmutagenese verbunden. Es gilt mittlerweile als gesichert, dass die cell of origin für die Entwicklung einer leukämischen Stammzelle nicht notwendigerweise eine gesunde HSC sein muss, sondern auch eine frühe Vorläuferzelle innerhalb der CD34+-Population sein kann. Auch wenn die Herstellung einer homogenen Stammzellpräparation praktisch (noch) nicht möglich ist, so ist jede Anreicherung, die über CD34+ hinausgeht, mit einer Verringerung der genannten Risiken verbunden und würde die Kosten für das Gesundheitssystem senken.

Verlustfreie Anreicherung von HSC

Dass dieses Konzept prinzipiell umsetzbar ist, wurde mittlerweile in mehreren Publikationen verschiedener Arbeitsgruppen gezeigt [3, 6, 8–10]. Die für die klinische Translation wahrscheinlich aussagekräf­tigste stammt aus dem Labor von Hans-Peter Kiem am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle [10]. In dieser Arbeit wurden verschiedene Subpopulationen von CD34+-HSPC, die zur Nachverfolgung mit einem lentiviralen Vektor genetisch markiert worden waren, in myeloablatierte, nicht-humane Primaten (Macaca nemestrina) transplantiert und die hämatopoetische Rekonstitution über die Zeit verfolgt. Eine komplette hämatopoetische Rekonstitution wurde ausschließlich mit einer Zellpopulation beobachtet, in der sich auch beim Menschen die HSC befinden (CD34+CD45RA-CD90+) [3, 9]. Die Anreicherung dieser CD34+-Subpopulation erlaubte eine über zehnfache Reduktion der für die Therapie notwendigen Zellzahl und damit im Prinzip auch eine Reduktion der Kosten, wie jüngst, ebenfalls im Primaten, elegant gezeigt werden konnte [8]. Ein weiterer Punkt ist die In-vitro-Genkorrektur selbst, bei der der Verlust der HSC so gering wie möglich gehalten werden sollte. In einigen Protokollen werden CD34+-Zellen zur Prästimulation und für die lentivirale Transduktion über einen Zeitraum von 2 bis 3 Tagen kultiviert, bevor sie transplantiert werden. Nach 24 Stunden in Kultur beginnen sich jedoch die meisten MPP asymmetrisch zu teilen und sich zu spezifizierten Vorläufern mit eingeschränktem Potenzial zu entwickeln [6]. Da damit der Verlust der Stammzelleigenschaften einhergeht, ist eine längere Kultivierung vor Transplantation (> 24 Stunden) ebenfalls mit dem erhöhten Risiko eines (partiellen oder totalen) Transplantatversagens verbunden. Daher wäre es von Vorteil, wenn nach Gentherapie der Anteil an MPP innerhalb der CD34+-Population noch vor deren Transplantation zumindest immunphänotypisch bestimmt wird.

Fazit und Ausblick

Als Resümee ist festzuhalten, dass die alleinige Bestimmung des Gehalts an CD34+-Zellen in Stammzellpräparationen für viele klinische Anwendungen heutzutage eigentlich nicht mehr auszureicht. Um das Potenzial der im Präparat enthaltenen Zellen zur vollständigen Rekonstitution der Hämatopoese nach Transplantation besser abschätzen zu können, ist deren detaillierte Charakterisierung, beispielsweise über Immunphänotypisierung, essenziell. Auch wenn eine Vielzahl an Ursachen für eine fehlende Korrelation zwischen der CD34+-Dosis und dem klinischen Ergebnis infrage kommen, steckt ein wesentlicher Grund in der unterschiedlichen qualitativen und quantitativen Zusammensetzung der verschiedenen Präparate selbst. Vor diesem Hintergrund haben wir innerhalb der Sektion „Stammzelltransplantation und Zelltherapie“ der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI) eine multizentrische Kooperation ins Leben gerufen, um die zelluläre Zusammensetzung von Stammzellpräparationen immunphänotypisch detaillierter zu charakterisieren und mit dem klinischen Verlauf nach Transplantation zu korrelieren. Die Ergebnisse sollen zu einer besseren Beurteilung der Qualität der „klassischen“ Präparate beitragen. Darüber hinaus wird auch eine solide Grundlage für die künftige Anreicherung von HSC über weitere Oberflächenmarker ermöglicht, die über CD34 hinausgehen – mit dem Ziel der effizienten Zell- und Gentherapie bei gleichzeitiger Minimierung des Risikos und der Kosten.