Die Gefahr rechtzeitig erkennen

Labormethoden bei Heparin-induzierter Thrombozytopenie (HIT)

Die Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT) tritt als seltene Nebenreaktion einer Heparintherapie auf und kann zu schwersten thromboembolischen Komplikationen führen. Der sichere Nachweis einer HIT ist Speziallaboratorien vorbehalten, aber die Ausschlussdiagnostik kann heute jedes Labor durchführen.

Schlüsselwörter: Heparin-induzierte Thrombozytopenie, Immunoassay, Funktionstest

Eine postoperative Thrombozytopenie ist häufig. Sie normalisiert sich meist rasch, kann aber durch Medikamenten-assoziierte Thrombozytopenien kompliziert werden, die dann häufig Blutungen verursachen[1]. Ganz anders verläuft eine Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT), bei der trotz niedriger Thrombozytenzahlen Thrombosen auftreten.

Klinisch harmlos ist der Typ I, der durch direkte Interaktion zwischen Heparin und Thrombozyten ausgelöst wird; hier kommt es zu einer passageren Thrombozytepenie ohne nennenswerte Komplikationen.

Viel gefährlicher ist die HIT vom Typ II, bei der thrombogene IgG-Antikörper (Ak) gegen Heparin (bzw. Polyanion)-Plättchenfaktor-4-Komplexe gebildet werden und eine massive Gerinnungsaktivierung auslösen[2]. Meist wird heute unter „HIT" dieser Typ 2 verstanden. Neben dem klassischen Heparin können auch seine niedermolekularen Verwandten (LMWH) eine HIT auslösen. Betroffen sind vor allen Dingen Patienten nach größeren OPs mit Einsatz von extrakorporaler Zirkulation, aber auch andere Patienten, die längere Zeit oder immer wieder Heparin erhalten.

Pathophysiologie

Plättchenfaktor 4 (PF4) ist ein basisches Protein, das die α-Granula der Thrombozyten bei Aktivierung ausschütten. Es bindet mit hoher Affinität Heparin, LMWH oder andere Polyanionen. Komplexe aus PF4-Tetrameren und Heparin oder anderen Polyanionen können die Bildung von pathogenen Antikörpern („HIT-Ak") auslösen. Diese binden an FcyIIa-Rezeptoren auf Thrombozyten und induzieren eine Aktivierung. Dabei wird neben Aggregation-fördernden Substanzen weiteres PF4 und auch das multifunktionelle Polyanion (PA) Polyphosphat freigesetzt, welches das Gerinnungssystem aktivieren kann. Auf der Endotheloberfläche bindet PF4 an heparinähnliche Glykosaminoglykane wie Heparansulfat. HIT-Ak reagieren mit solchen Komplexen, wodurch sie eine Endothelschädigung bewirken und auch Monozyten aktivieren. Damit kommt es zu einer massiv gesteigerten Thrombin- und Fibrinbildung, lokaler Aktivierung des innaten Immunsystems[2, 3], sowie zu einem Verbrauch von Thrombozyten (Abb. 1). Anscheinend ist eine frühere Infektion und Aktivierung der im innaten Immunsystem wichtigen Thrombozyten mit Freisetzung von PF4 Ursache für die Präsenz von IgG-Ak gegen PF4-Polyanion-Komplexe[4, 5]. Man findet diese Ak nämlich in niedriger Konzentration auch bei Personen, die nie mit Heparin in Berührung kamen, aber durch Immunisierung gegen PF4 und Polyanionen, z. B. auf negativ geladenen Kohlehydraten auf Bakterienoberflächen, PF4-PA-Ak besitzen. Das erklärt auch den relativ hohen Background bei immunchemischen Tests, also geringe aber messbare Konzentrationen dieser Ak bei Kontrollpersonen. Untypisch für eine Immunreaktion, aber typisch für die akute HIT ist die rasche Bildung von IgG, das sonst immer verzögert nach IgM kommt. Selten tritt eine HIT-ähnliche Symptomatik auch auf, wenn Plättchen aktivierende Ak direkt mit PF4 reagieren („Autoimmun-HIT")[6].

Klinik

Charakteristisch für HIT ist der deutliche Abfall der Thrombozytenzahl, manchmal auf weniger als die Hälfte des Ausgangswerts bzw. weniger als 80 bis100/nl ab ca. 4–15 Tage nach Beginn der Heparin-/LMWH-Gabe. Gerade der frühe Abfall ist dabei typisch. Allerdings ist eine durch Heparin verursachte Thrombozytopenie postoperativ nicht immer klar zu erkennen, denn es kommt nach operativ induziertem Abfall und Verbrauch meist rasch zu einer gesteigerten Thrombozytenbildung mit teils höheren Werten als zuvor[1]. Diese gegenläufigen Prozesse können das Erkennen einer HIT erschweren. Manchmal fällt die Thrombozytenzahl bei Patienten mit vorgebildeten Ak nach Re-Exposition mit Heparin bereits innerhalb weniger Stunden deutlich („Rapid-onset-HIT"), oder auch noch einige Tage nach Heparin-Absetzen[7]. Trotz Thrombozytopenie entwickeln viele Patienten mit einer HIT schwerste Thrombosen, sowohl im arteriellen wie im venösen Bereich; die Folge sind oft Amputationen, und die Mortalität ist hoch. Zu den lebensgefährlichen Komplikationen zählen auch Schlaganfälle, Herzinfarkt oder Lungenembolie[2]. Bei begründetem Verdacht auf HIT ist ein sofortiges Absetzen von Heparin bzw. LMWH erforderlich, es sei denn, ein Labortest schließt eine HIT sicher aus. Als alternative Antikoagulanzien kommen neben dem direkten Thrombin-Inhibitor Argatroban auch Fondaparinux oder Danaparoid in Betracht, zukünftig wohl auch direkte orale Antikoagulanzien. Argatroban hat wie das früher benutzte Hirudin ein nicht unerhebliches Blutungsrisiko. Mit einem Monitoring über die aPTT liegen viele Patienten außerhalb der empfohlenen therapeutischen Plasmaspiegel von Argatroban[8].

Auch die Steuerung der anderen bei HIT eingesetzten Antikoagulanzien ist nicht unproblematisch, gerade auch bei eingeschränkter Nierenfunktion. Da viele Labors auf ein spezifisches Monitoring nicht eingerichtet sind, ist ein rascher Ausschluss einer HIT wichtig, um einen unnötigen Gebrauch solcher (auch teureren) nicht antagonisierbaren Medikamente zu vermindern. Ein solcher Ausschluss ist heute sehr schnell und sicher mit Immunoassays möglich.

Vor dem Test: Klinische Wahrscheinlichkeit für HIT bestimmen

Zur Abschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit für eine HIT sollte (vor oder mit einer Testanforderung) der sogenannte „4T-Score" bestimmt werden. Dieser bestimmt aus wenigen klinischen Variablen wie Thrombozytenzahl, Zeit des Thrombozytenabfalls, der Manifestation von Thrombosen und anderen Ursachen für Thrombozytopenie die Vortestwahrscheinlichkeit für eine HIT.

In einer Metaanalyse von über 3.000 Verdachtsfällen erreichte der 4T-Score immerhin einen negativen prädiktiven Wert von 0,998, während der positive prädiktive Wert lediglich 0,14 betrug. Ein niedriger 4T-Score spricht meistens gegen eine HIT, während bei mittleren und hohen Werten immer eine Abklärung mit Labormethoden erfolgen sollte, nicht nur für die aktuelle Situation, sondern auch, um dem Patienten zukünftig eine weitere Heparintherapie zu ersparen[9].

Funktionelle Tests

Ein sicherer Nachweis einer HIT erfordert spezielle funktionelle Tests. Diese untersuchen, ob die Ak des Patienten in der Lage sind, in Gegenwart von Heparin/LMWH Thrombozyten zu aktivieren. Der HIPA-Test (Heparin-induzierte Plättchenaggregation) bzw. der Serotonin Release Assay (SRA) gelten bei HIT als Referenzmethoden für den Bestätigungstest[2]. Sie sind – wegen des Bedarfs an sorgfältig ausgewählten und gewaschenen Thrombozyten von mehreren Spendern, speziellen Kontrollreagenzien und der erforderlichen Spezialkenntnisse – Referenzlabors vorbehalten. Einfachere Aggregationsmethoden (Lichttransmissionsaggregometrie bzw. Impedanzaggregometrie) durch Mischung von Patientenserum und plättchenreichem Plasma bzw. antikoaguliertem Vollblut von Spendern in Gegenwart von Heparin/LMWH sind zwar auch relativ zuverlässig[10], allerdings auch nicht ganz einfach, und teuer. Daher erfolgt in der Praxis die Diagnose der HIT in wenigen Referenz­labors aus eingeschickten Proben.

Immunchemische Verfahren

Immunchemische Verfahren zum Nachweis von Ak gegen PF4/Polyanion-Immunkomplexe können eine HIT zwar zuverlässig ausschließen, aber ein sicherer Beweis ist damit nicht oder allenfalls bedingt möglich. Ein Grund liegt darin, dass Tests auf spezifische HIT-Ak nur die Bindung an das Antigen nachweisen, nicht aber, ob diese Antikörper auch Plättchen aktivieren. Weit verbreitet sind vor allen Dingen ELISA- und Schnelltests, in jüngster Zeit auch automatisierte Chemilumineszenz-Immunoassays, sowie ein turbidimetrischer Test, der auf einigen Gerinnungsautomaten läuft. Als Antigen fungieren Komplexe aus PF4 und Poly­anionen (z. B. Heparin); meist, aber nicht immer, ist dieses Antigen an einer Oberfläche fixiert. Die daran gebundenen spezifischen HIT-Ak werden dann mit einer Farbreaktion, über eine Agglutination oder über Chemilumineszenz nachgewiesen. Auch flowzytometrische Methoden wurden beschrieben, weisen aber keinen wirklichen Vorteil gegenüber anderen Immunoassays auf, deren Praktikabilität und Kosten meist günstiger sind.

Tab. 1: Häufig eingesetzte Methoden bei Verdacht auf HIT.

ELISA-Tests

Mit ELISA-Tests wurde die Pathologie von HIT entdeckt[11]. Auch heute spielt diese Methode noch eine bedeutende Rolle, auch wenn sie für Einzelproben nicht optimal ist. Die ELISAs und auch andere Immunoassays bei HIT unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Spezifität. Ältere Tests erfassen Ak der Klassen IgG, A und M. Da aber lediglich Ak vom Typ IgG den Fcy-Rezeptor auf Thrombozyten aktivieren können und als pathogen angesehen werden, sollten IgG-spezifische Tests den Vorzug erhalten. Dies kann falsch positive Resultate und damit ein unnötiges Absetzen von Heparin oder das Anfordern von teuren Bestätigungstests reduzieren[12]. Heutige ELISAs liefern meist in 1–2½ h ein Ergebnis. Nachteilig sind die vielen manuellen Schritte, und dass man bei Einzelproben den Kit oft nicht komplett nutzen kann. Problematisch ist die Ermittlung des besten Cut-off-Wertes. Setzt man diesen tief an, hat man zwar eine maximale Sensitivität, aber wegen der Verbreitung dieser Antikörper in geringer Konzentration viele Falschpositive (s. o.). Studien zeigen, dass sehr hohe Extinktionswerte (> 2 Ext.) meist, aber nicht immer, für eine HIT sprechen.

Automatisierte Tests

ELISA-Tests lassen sich automatisieren, jedoch lohnt das nur in Labors mit hohem Probenaufkommen. Zwei neue automatisierte Tests können PF-Polyanion-Antikörper (neben anderen immunchemischen Parametern) an einem speziellen Gerät mit einem schnellen Chemilumineszenzimmunoassay abarbeiten. Der IgG-spezifische Test liefert dabei eine sehr gute Sensitivität und eine bessere Spezifität als die meisten anderen Verfahren[13, 14]. Ein turbidimetrischer Test, der auf manchen optischen Gerinnungsgeräten läuft, ist für manche Labors sicher hilfreich, aber nur in der IgG/A/M-spezifischen Variante erhältlich.

Schnelltests

In den meisten Kliniken fällt ein HIT-Test weniger häufig an. Hier bewähren sich immunchemische Schnelltests, die für Einzelproben bei geringem Arbeitsaufwand rasch eine Aussage liefern. Der erste Vertreter dieser Art beruht auf einer modifizierten Geltechnik, wie man sie aus der Immunhämatologie kennt, nur ist hier das Antigen an rote Polymerpartikel gebunden. IgA- oder IgM-Antikörper der Probe agglutinieren diese Partikel direkt und bleiben in der Gelkarte auf der Oberfläche des Gels hängen; die eigentlich gesuchten IgG-Antikörper agglutinieren dagegen nicht. Diese Komplexe aus Partikeln und IgG-Ak binden aber bei der Zentrifuga­tion an im Gel vorhandenes Anti-human-IgG, was dann eine rote Verfärbung verursacht. Die Auswertung erfolgt visuell oder (besser) mit einem Ablesegerät für Gelkarten. Prinzip-bedingt bringt dieses panspezifische Verfahren eine hohe Sensitivität bei mäßiger Spezifität. Durch Probenverdünnung in mehreren Stufen (nicht vom Hersteller vorgesehen) lässt sich eine Aussage über die Konzentration der HIT-Antikörper erzielen[15], allerdings steigen mit jeder Titerstufe die Kosten. Ein Test dauert ca. 20 Min.

Ein IgG-spezifischer HIT-Test auf Basis des Lateral Flow Immunoassays ist seit einigen Jahren verfügbar. Hier wird die Probe mit dem Biotin-markierten Antigen (PF4-Polyanion) auf einen Teststreifen aufgetragen. Das darin enthaltene, intensiv rote Partikelreagenz bindet das Antigen über Antibiotin-Antikörper. Partikel mit IgG-Antikörpern aus der Probe werden immunchromatografisch an Antihuman-IgG an der Testlinie gebunden. Freie oder Partikel, die IgA- und M-Antikörper gegen das Antigen tragen, werden nicht erfasst. Nach 15 Minuten wird die Färbung der Testlinie mit einer Farbkarte verglichen. Die Farbintensität zeigt ein positives oder negatives Ergebnis an. Der Test wurde so eingestellt, dass alle Proben mit positivem Funktionstest ein positives Signal geben[16]. In mehreren großen internationalen Studien zeigte er eine vergleichbare Sensitivität wie ELISA-Verfahren, bei meist besserer Spezifität[17, 18, 19]. Die Ablesung durch verschiedene Untersucher ergab dabei identische Bewertungen[18].

Ausblick

Alle HIT-Immunoassays sollten immer im Zusammenhang mit dem klinischen Bild (4T-Score, Marker der Gerinnungsaktivierung wie D-Dimer und weiteren Informationen) beurteilt werden. Diese Vorgehensweise erlaubt wegen der hohen Sensitivität der heute verfügbaren Tests einen raschen und sicheren Ausschluss einer HIT und trägt zu einer Evidenz-basierten Entscheidung bezüglich eines möglichen Wechsels der Antikoagulation oder der Notwendigkeit von Folgeuntersuchungen erheblich bei. Damit helfen diese Diagnostika, wie viele andere, Kosten zu sparen.