Bewährte und neue Konzepte

Diagnostik und Therapie des Diabetes mellitus

Diagnostik und Therapiemonitoring basieren beim Diabetes mellitus vor allem auf dem HbA1c-Wert. Für die Behandlung stehen heute neben Insulin und klassischen oralen Antidiabetika auch neuere Inhibitoren und Analoga zur Verfügung.

Schlüsselwörter: HbA1c, DDP4-Hemmer, GLP-1-Analoga, SGLT-2-Inhibitoren

u den wichtigsten Formen des Diabetes mellitus gehören der Typ 1 und 2 sowie der Gestationsdiabetes. Vor allem die Prävalenz von Typ 2 nimmt in den letzten Jahren deutlich zu, was auf den demografischen Wandel zurückzuführen ist. Die Lebenszeit-Inzidenz des Diabetes mellitus liegt bei Erwachsenen in Deutschland bei ca. 7,2%[1]. Mit einem weiteren Anstieg dürfte zu rechnen sein, zurückzuführen auf zunehmende Adipositas und auf das Altern der Gesellschaft[2]. Auch für den Diabetes mellitus Typ 1 rechnet man mit einer Zunahme in den nächsten Jahren; neben genetischen Ursachen scheint hier auch die wachsende Zahl von Kaiserschnitten eine Rolle zu spielen[3].

 

Diagnostische Kriterien

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft empfiehlt seit 2011 die Verwendung des HbA1c als vorrangiges Kriterium. Bei einem Wert ≥ 6,5% kann die Diagnose Diabetes mellitus mit großer Sicherheit gestellt und bei einem Wert unter 5,7% weitgehend ausgeschlossen werden. Es gibt allerdings verschiedene Einflussfaktoren, die den Wert falsch hoch bzw. falsch niedrig ausfallen lassen. Dazu gehören u. a. Zustände, die zu einer verminderten Lebenszeit der Erythrozyten führen, z. B. eine hämolytische Anämie. Weitere Einflussfaktoren sind Schwangerschaft, Niereninsuffizienz oder die hochdosierte Einnahme von ASS.

Zum anderen existieren trotz Standardisierungen weiterhin erhebliche methodenabhängige Messunterschiede. In jedem Fall empfiehlt sich die parallele Bestimmung der Nüchternplasmaglukose[4]. Ein Diabetes mellitus liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit vor, wenn der Nüchternwert zweimal über 125 mg/dl bzw. 7 mmol/l liegt.

Bei einem HbA1c-Wert zwischen 5,7% und 6,4% müssen Bestätigungstests mittels Bestimmung der Nüchternplasmaglukose sowie einem oralen Glukosetoleranztest unter den standardisierten Bedingungen der WHO-Richtlinie durchgeführt werden. In Abb. 1 ist der diagnostische Algorithmus nach den Empfehlungen nationaler und internationaler Fachgesellschaften zusammengefasst. Er wird empfohlen für Patienten mit typischen Symptomen wie Polyurie, Polydipsie, Müdigkeit, Gewichtsverlust sowie generell für Personen jenseits des 45. Lebensjahres bzw. beim Vorliegen von entsprechenden Risikofaktoren. Dazu gehören Adipositas (BMI ≥ 27), Verwandte ersten Grades mit Diabetes mellitus, Hypertonus oder Hyperlipidämie.

Auch Frauen, die ein Kind mit einem Geburtsgewicht über 4 kg zur Welt gebracht haben, gelten als Risikopersonen. Bei Schwangeren wird ein oraler Glukosetoleranztest zwischen der 24. und 28. Woche empfohlen. Liegen Risikofaktoren vor (BMI über 30 kg/m2, Alter über 35 Jahre, Z. n. Totgeburt etc.), so erfolgt der OGTT sofort und wird zwischen der 24. und 28. Woche sowie zwischen der 32. und 34. Schwangerschaftswoche wiederholt.

Klinik und Pathophysiologie

Die Unterscheidung zwischen einem Diabetes mellitus Typ 1 und 2 ist für die weitere Therapie essenziell. Sie wird anhand klinischer und laborchemischer Kriterien festgestellt. So manifestiert sich der Diabetes mellitus Typ 1 typischerweise bei Kindern und Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen. Der Beginn verläuft häufig akut bis subakut und ist von teils heftigen klinischen Symptomen begleitet. Nicht selten manifestiert er sich klinisch mit einer Ketoazidose. Der klassische Diabetiker vom Typ 2 ist dagegen häufig mittleren bis höheren Alters, übergewichtig, nicht selten symptomlos (Zufallsbefund) und neigt deutlich weniger zur Ausbildung einer Ketoazidose.

Pathophysiologisches Korrelat beim Diabetes mellitus Typ 1 ist zumeist eine autoimmunvermittelte Zerstörung der β-Zellen; in 90–95% der Fälle können zum Zeitpunkt der Diagnosestellung Antikörper detektiert werden. Sinnvoll ist die Bestimmung von Autoantikörpern gegen Insulin (IAA), Glutamat-Dekarboxylase (GAD), Tyrosinphosphatase (IA2) und gegen den Zinktransporter 8 (Zn8). Eine Sonderstellung nimmt der latent-insulinpflichtige Diabetes mellitus im Erwachsenenalter (LADA) ein, der häufig mit dem Auftreten von GAD-Autoantikörpern einhergeht[4]. Hier kommt es zu einem langsameren Verlust der β-Zellfunktion.

Als seltenere Ursachen eines Diabetes mellitus sind Z. n. Pankreatitis oder Pankreas-(Teil-)Resektion, medikamentöse Induktion durch Steroide sowie genetische Defekte der β-Zellen und Insulin-Signalkaskade zu nennen. Letztere fasst man auch als Typ 3 oder MODY (Maturity Onset Diabetes of the Young mit den Untertypen 1 bis 12) zusammen; sie werden meist in jungen Jahren manifest, verlaufen aber initial eher mild.

Plasmaglukose
nüchtern

≥ 92 mg/dl

≥ 5,1 mmol/l

nach 60 Minuten

≥ 180 mg/dl

≥ 10,0 mmol/l

nach 120 Minuten

≥ 153 mg/dl

≥ 8,5 mmol/l

 Abb. 2: Oraler Glukosetoleranztest in der Schwangerschaft: Ein Gestationsdiabetes liegt vor, wenn eines der drei Kriterien erfüllt ist. 

 

Behandlungsziele und -strategien

Die wesentlichen Ziele der Diabetestherapie sind die Aufrechterhaltung bzw. Wiedererlangung der Lebensqualität, Förderung der Eigenkompetenz und Therapietreue sowie die Vermeidung mikro- und makrovaskulärer Komplikationen. Mit jedem Patienten sollte ein individuelles Therapieziel bei Minimierung unerwünschter Nebenwirkungen vereinbart werden. Darüber hinaus spielt auch die Therapie etwaiger Begleiterkrankungen wie einer arteriellen Hypertonie oder Niereninsuffizienz eine bedeutende Rolle.

Essenzielle Basis der Therapie ist die intensive Schulung der Patienten hinsichtlich Ernährung, Kohlenhydrat-Einschätzung (KE), Blutzuckerselbstkontrolle und Insulin­therapie. Für das Therapiemonitoring eignen sich regelmäßige HbA1c-Messungen.

Patienten mit Typ-1-Diabetes sind dauerhaft insulinpflichtig; eine Behandlung mit oralen Antidiabetika ist unwirksam und kontraindiziert. Um die physiologische Insulinausschüttung nachzuahmen, besteht die Therapie der Wahl in einer intensivierten Insulintherapie, welche auf dem Basis-Bolus-Konzept basiert. Zur Verfügung stehen kurz wirkende Insuline wie Normalinsulin (früher: Altinsulin) oder kurz wirksame Insulinanaloga.

Diese werden vor den Mahlzeiten verabreicht. Beim Normalinsulin muss ein Spritz-Ess-Abstand von ca. 30 Minuten eingehalten werden. Verzögerungsinsuline (NPH-Insulin, lang wirksame Insulinanaloga), die ein- bis zweimal, selten dreimal täglich verabreicht werden müssen, imitieren die vom Körper ausgeschüttete basale Insulinrate. Der anzustrebende Zielwert des HbA1c liegt zwischen 6,5% und 7,4%, sollte aber individuell mit dem Patienten abgestimmt werden.

Alternativ kommt für einige Patienten auch die Behandlung mit einer Insulinpumpe in Betracht. Diese ist normalerweise mit kurzwirksamem Insulin bestückt. Sie eignet sich für Patienten, die beispielsweise einen geringen Insulinbedarf haben oder unter starken Blutzuckerschwankungen leiden. Ein Vorteil der Pumpentherapie liegt darin, dass die Basalrate besser zu steuern ist.

Pathophysiologische Korrelate des Diabetes mellitus Typ 2 sind Insulinresistenz, gestörte Insulin- bzw. Glukagonsekretion und eine Erschöpfung der Inselzellen im Verlauf. Initialer Therapieansatz sollte eine Lifestyle-Modifikation mit Gewichtsabnahme, körperlicher Bewegung sowie Ernährungsumstellung sein. Im Prinzip lässt sich damit die Insulinresistenz verbessern und der Insulinbedarf senken; in der Praxis werden diese Therapieoptionen jedoch leider nur selten konsequent umgesetzt.

Bei noch ausreichender β-Zellfunktion führt – vor allem zu Beginn der Erkrankung – eine orale medikamentöse Therapie zur gewünschten Blutzuckereinstellung. Metformin ist nach wie vor das Medikament der ersten Wahl zur Behandlung übergewichtiger Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2. Es verursacht keine Hypo­glykämien und führt im günstigen Fall zu einer zusätzlichen Gewichtsreduk­tion. Zu achten ist auf die Nierenfunktion: In reduzierter Dosis darf das Medikament seit Kurzem bis zu einer GFR von 45 ml/Min. unter engmaschiger Kreatininkontrolle verabreicht werden.

Auch Sulfonylharnstoffe bzw. -analoga spielen nach wie vor eine bedeutende Rolle in der medikamentösen Therapie. Da sie die Insulinsekretion fördern, besteht eine höhere Hypoglykämiegefahr und die Therapie bedarf einer guten Patientenschulung und Compliance. Alpha-Glukosidase-Inhibitoren spielen aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils in der Therapie eher eine untergeordnete Rolle, ebenso die Glitazone[5, 6].

 

Neuere Therapieansätze

DDP-4-Hemmer (DDP = Dipeptidylpeptidase) stellen vor allem bei multimorbiden und älteren Patienten eine gute Alternative zur Therapie des Typ-2-Diabetes dar und können mit Metformin kombiniert werden. GLP-1-Analoga ähneln dem menschlichen Hormon GLP-1 (Glucagon-like Peptide) und bewirken eine Hemmung der Magenentleerung sowie eine Steigerung der Insulinsekretion und Hemmung der Glukagonfreisetzung.

SGLT-2-Inhibitoren (SGLT = Sodium-dependent glucose transporter) sind die neueste Substanzklasse zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. Sie induzieren eine Glukosurie und führen zu einer Gewichtsabnahme. Zugleich besteht ein blutdrucksenkender Effekt. Hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse ist für Empagliflozin eine signifikante Reduktion nachgewiesen worden. Die Substanzklasse scheint sich daher besonders für kardiovaskulär vorerkrankte Patienten zu eignen[7].

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft empfiehlt mit Blick auf Lebensführung, Komorbiditäten und günstiges Nebenwirkungsprofil eine individualisierte Stufentherapie[8]. Sollten orale Antidiabetika nicht ausreichen, um die gewünschte Blutzuckereinstellung zu erreichen, muss eine Insulintherapie etabliert werden. Hier stehen vielfältige Kombinationsmöglichkeiten zur Verfügung, zum Beispiel eine basal-unterstützte orale Therapie (BOT), eine prandiale oder supplementäre Insulintherapie (SIT) sowie eine konventionelle Therapie mit Mischinsulin, bis hin zur intensivierten Insulintherapie.

Auch beim Typ-2-Diabetes sollte das Therapieziel individuell mit dem Patienten besprochen und nach seinen Möglichkeiten festgelegt werden. Als Anhaltswert gilt ein HbA1c von 6,5–7,4%. Bei Patienten mit sehr begrenzter Lebenserwartung oder multimorbiden Patienten kann ein HbA1c von 8% toleriert werden, da in diesen Fällen rezidivierende Hypoglykämien unbedingt vermieden werden sollten.