Innovativer Zugang zum Gehirn

Diagnostik beim Schädel-Hirn-Trauma

Schädelhirntraumen sind mittels Bildgebung nicht immer eindeutig einzustufen. Deshalb besteht ein erheblicher Bedarf an blutbasierten Biomarkertests, die insbesondere einen raschen Ausschluss klinisch bedeutsamer Hirnschädigungen erlauben. Inzwischen gibt es eine Reihe Erfolg versprechender Kandidaten.

Schlüsselwörter: SHT, S100B, NSE, UCH-L1, GFAB, all-SBPD, NF-H, Tau-Protein

Biomarker für Hirnschädigungen eignen sich für die Verlaufskontrolle von Schlaganfällen oder Hirntumoren und kommen zunehmend auch bei M. Parkinson, M. Alzheimer und anderen degenerativen Hirnerkrankungen zum Einsatz. Das klassische Probenmaterial ist der Liquor cerebrospinalis, doch selbstverständlich werden Blutuntersuchungen wo immer es möglich ist bevorzugt.

Dies gilt ganz besonders für Schädel-Hirn-Traumen (SHT), und hier insbesondere für die leichteren Formen, bei denen gar nicht so sehr die detaillierte neurologische Diagnose als vielmehr ein möglichst einfacher und sicherer Ausschluss einer akuten Hirnschädigung im Vordergrund steht. Das ist zum Beispiel bei Unfällen, Sportverletzungen oder auch militärischen Einsätzen der Fall. Allein in Deutschland liegt die Inzidenz dieser leichten bis mittleren Traumen bei fast 300.000 pro Jahr, für Europa und USA rechnet man mit mehr als drei Millionen Fällen, vermutlich mit einer zusätzlichen hohen Dunkelziffer. Deshalb spricht man oft von einer „stillen Epidemie".

Traumatische Hirnverletzungen können extrem hohe Behandlungs- und Folge­kosten durch Krankschreibungen, Verhaltensstörungen sowie temporären oder dauerhaften Verlust der Arbeitsfähigkeit zur Folge haben. Eine Studie der Hannelore-Kohl-Stiftung aus dem Jahr 2005 kam auf Gesamtkosten von 2,5 Mrd. Euro pro Jahr in Deutschland.

Diagnostik

Der Begriff leichtes SHT wurde früher oft äquivalent zur Gehirnerschütterung verwendet. Doch auf lange Sicht bleibt keine „Erschütterung" ohne Folgen: Häufig kommt es zu axonalen Verletzungen mit Begleitödem. Ungefähr die Hälfte der Betroffenen ist unter 30 Jahre alt, und gerade in dieser Altersgruppe erleiden sportlich aktive Personen immer wieder leichte bis mittelschwere Kopfverletzungen, sodass es zu einer chronischen traumatischen Enzephalopathie (CTE) kommen kann.

Der American Congress of Rehabilitation Medicine[1] definiert das leichte SHT als Trauma des Kopfes mit

• Bewusstseinsverlust unter 30 min Dauer

• Änderungen des mentalen Status (Verwirrtheit, Desorientierung) unter 24 h

• Erinnerungsverlust bezüglich der Ereignisse kurz vor oder nach dem Trauma.

Diese rein klinischen Kriterien machen eine Beteiligung des ZNS wahrscheinlich, sind aber nicht beweisend. Deshalb stellt das leichte SHT eine diagnostische Herausforderung dar.

Die Bewertung des Schweregrads erfolgt mithilfe der Glasgow Coma Scale (GCS), die im Folgebeitrag näher erläutert wird. Für den Ausschluss intrakranialer Verletzungen und Folgeschäden ist die neuroradiologische Bildgebung, insbesondere mit der kranialen Computertomografie (CCT) oder mit Kernspintomografie (MRT) unerlässlich. Diese Verfahren sind aber in akuten Notfallsituationen häufig nicht verfügbar und liefern auch nicht immer eindeutige Ergebnisse; selbst Spezialisten bewerten die Befunde unterschiedlich[4]. Dazu kommen Strahlenbelastung (CT) bzw. hohe Kosten (MRT), sodass ein Bedarf für schnelle und einfach durchführbare Labormethoden besteht. Sie sollen eine erste Einschätzung der zerebralen Situation vor Ort ermöglichen und möglichst auch sekundäre Hirnschäden erkennen.

Laborverfahren

Tests für blutbasierte Neuromarker werden derzeit vor allem im Zentrallabor angeboten, sind jedoch als Point-of-Care-Verfahren auch in der Aufnahmestation von Krankenhäusern und in der Arztpraxis für schnelle Entscheidungen nötig. Als bereits gut etabliert gelten S100B und NSE, die aber bislang seltener angefordert werden, als dies vielleicht wünschenswert wäre. Grund dafür mag neben fehlender Bekanntheit bei den Klinikern auch die mäßige Organspezifität sein.

Es wird daher weiterhin nach neuen Biomarkern für SHT gesucht. Tab. 1 stellt fünf Kandidaten vor, die sich derzeit in der Entwicklung und klinischen Erprobung befinden. Sie alle sind im Blut (Vollblut, Kapillarblut, Plasma oder Serum) messbar und zeigen eine überwiegende Spezifität für zerebrales Gewebe. Wegen der oft sehr niedrigen Konzentration dieser Proteine im Bereich einiger pg/ml müssen die Messverfahren sehr empfindlich sein, was eine große Herausforderung vor allem für die Entwickler von Schnelltests darstellt; viele Studien, die mit nur mäßig empfindlichen Methoden gemacht wurden, wären möglicherweise mit sensitiveren Verfahren zu anderen Ergebnissen gekommen[2, 3, 4].

Biomarker für SHT werden häufig in Kombination verwendet, um aufgrund unterschiedlicher Freisetzungskinetiken und regionaler Verteilungen im Gehirn differenzierte Aussagen machen zu können. Neben Proteinen können auch verschiedene miRNAs und mRNAs in Zukunft diagnostische Informationen liefern[5].

Die Studien zu diesen innovativen Neuro­markern beruhen derzeit noch auf relativ geringen Fallzahlen, bei denen häufig Forschungskits ohne Routinezulassung eingesetzt werden. Wegen des hohen Bedarfs ist in den nächsten Jahren jedoch mit der Markteinführung interessanter Kandidaten zu rechnen.