Die (nahe) Zukunft der Myelomtherapie: Bispezifische Antikörper und CAR-T-Zellen
Auch wenn sich die Prognose von Patienten mit Multiplem Myelom sogar in der Rezidivsituation in den letzten Jahren deutlich verbessert hat, sind selbst bei Therapieerfolg mit den aktuell verwendeten Substanzen überwiegend nur chronische Krankheitsverläufe erreichbar. Spätestens seit der Zulassung der adoptiven Zelltherapie zur Behandlung der akuten lymphatischen B-Zell-Leukämie (ALL) sowie des diffus großzelligen B-Zell-Lymphoms (DLBCL) sind zelluläre Immuntherapien in den Hauptfokus der (Hämato-)Onkologie gerückt. Chimeric Antigen Receptor(CAR)-T-Zell-Therapien zeigen hohe Ansprechraten selbst bei stark vorbehandelten Patienten und konnten in soliden Tumorentitäten in Einzelfällen zur Heilung führen. Die Implementierung dieser Therapien setzt technisches Know-how und klinische Erfahrung in der Behandlung Immuntherapie-spezifischer Toxizität voraus. Eigens zur Steigerung der T-Zell-Immunität modifizierte bispezifische Antikörper (bsAbs) bestehen aus zwei fusionierten Antigen-Bindungsketten gegen Zielstrukturen auf Tumor- und T-Zellen zugleich; sie sollen so tumorreaktive T-Zellen „einfangen“ und über eine Aktivierung durch räumliche Nähe sorgen. Diese neuen Immuntherapien könnten bereits in naher Zukunft die Myelomtherapie revolutionieren. Jedoch bleiben aktuell noch wichtige Punkte offen, etwa die Ansprechdauer, immunologische und neurologische Langzeit-Effekte sowie die Patientenselektion.
Multiples Myelom, Immuntherapie, Zelltherapie, bispezifischer Antikörper, bsAbs, CAR-T-Zelle, BCMA, Ciltacabtagen Autoleucel, Idecabtagen Vicleucel, Teclistamab, Talquetamab
Die Idee, das körpereigene Immunsystem für eine effektive Krebsimmuntherapie zu modulieren oder einzelne Bestandteile des Immunsystems exogen zu applizieren, ist nicht neu. Die heute verfügbaren Krebsimmuntherapeutika basieren auf den Errungenschaften der Onkologie und der Immunologie der letzten Jahrhunderte. Bereits im 18. Jahrhundert wurde die erste erfolgreiche Kuhpocken-Vakzinierung zur Prävention von Variola von Edward Jenner durchgeführt. 1908 bekam Paul Ehrlich den Nobelpreis in Physiologie und Medizin als Anerkennung seiner Arbeiten über die Immunologie, insbesondere für seine Seitenkettentheorie [1]. Zudem prägte er mit seinem Konzept der „Zauberkugel" die Grundidee einer gezielten Therapie gegen diverse Krankheiten [2]. Bereits 1998 wurde der erste monoklonale Antikörper – Rituximab – für die Behandlung des malignen Lymphoms in der Europäi-schen Union zugelassen [3]. Bis heute haben sich die immuntherapeutischen Strategien noch weiter differenziert und diversifiziert und mit der klinischen Etablierung und Nobelpreis-Würdigung der Immuncheckpoint-Therapie ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht [4].
Aus der Vielzahl an Komponenten des Immunsystems und diversen Resistenzmechanismen von Tumorzellen resultieren multiple Strategien, um die Antitumoraktivität zu steigern. Grundsätzlich können aktive von passiven Immuntherapien unterschieden werden. Passive Immuntherapeutika sind beispielsweise monoklonale Antikörper oder adoptiv transferierte zytotoxische T-Zellen. Beispielhaft ist hier der krebsimmuntherapeutische Einsatz des adoptiven T-Zelltransfers Glykoprotein(gp)100-spezifischer oder auch New York esophageal squamous cell carcinoma 1(NY-ESO-1)-spezifischer T-Zellen gegen die grundsätzlich sehr immunogene Tumorentität der Melanome zu nennen [5–7]. Gegen NY-ESO-1 gerichtete T-Zellen wurden auch 2015 erstmals beim Multiplen Myelom eingesetzt [8]. Die Zellen können aber auch vor der Retransfusion ex vivo gentechnisch manipuliert werden, um beispielsweise transgen affinitätsoptimierte Chimeric Antigen Receptors (CARs) mit günstigen kostimulatorischen Eigenschaften zu exprimieren.
Monoklonale Antikörper gegen Antigene, die auf Tumorzellen exprimiert werden, können Tumorzellen demaskieren und opsonieren oder werden als Vehikel für zytotoxische Substanzen benutzt. Eigens zur Steigerung der T-Zell-Immunität modifizierte bispezifische Antikörper sollen tumorreaktive T-Zellen „einfangen“ und über eine Aktivierung durch räumliche Nähe sorgen [9].
Bispezifische Antikörper (bsAbs): Übersicht, Funktionsweise, Potential
Bispezifische monoklonale Antiköper (bispecific T cell engagers, sog. TCEs oder bsAbs von bispecific monoclonal anti-bodies) sind gentechnisch modifizierte, monoklonale Antikörper, die zeitgleich T-Zellen und Zielstrukturen auf Tumorzellen binden können. Die Besonderheit dieser Antikörper besteht in der Modifikation der Antigen-Bindungsstellen, die im Gegensatz zu regulären (und physiologischen) Antikörpern zwei Zielstrukturen (Epitope) erkennen können. Jede dieser beiden Antigenbindungsstellen besteht aus zwei scFv-Fragmenten, die über eine Peptidbrücke miteinander verbunden sind. Bedingt durch die unterschiedliche Spezifität der jeweiligen scFv-Fragmente ist ein bsAb in der Lage, zwei ungleiche Epitope gleichzeitig zu erkennen. Basierend auf dieser sogenannten Bispezifität bindet eines der scFv-Fragmente an die Antigene von T-Zellen (am häufigsten an den ubiquitär vorhandenen CD3-Rezeptor). Die zweite Bindungsstelle erkennt ein Oberflächenmolekül der Zielzelle, die im Sinne der onkologischen Therapie eine maligne Zelle darstellt, aber prinzipiell jede Körperzelle sein kann. Durch die starke Bindung beider Zellen soll ein bsAb zum einen T-Zellen „einfangen“ und damit zur Anreicherung von T-Zellen im Tumormikromilieu führen und zum anderen durch die räumliche Nähe zur Tumorzelle und die Bindung an den T-Zell-aktivierenden CD3-Rezeptor eine Antigenantwort dieser T-Zelle auslösen. Adressiert ein bsAb auf diese Weise eine zytotoxische T-Zelle, soll dies über die Ausschüttung zytotoxischer Moleküle wie Granzyme B oder Perforin zur Lyse der Zielzelle führen (Abb. 1) [9].