Neue Studiendaten aus der Hämatologie
Die Hämatologie war bei der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology früher stark unterrepräsentiert, aber das hat sich in den letzten Jahren deutlich geändert: In drei großen „Oral Abstracts Sessions“ werden jeweils interessante neue Resultate vor allem zu Leukämien, Lymphomen und Multiplem Myelom präsentiert, und manche dieser Daten kommen ein bis zwei Wochen später beim Kongress der European Hematology Association (EHA) noch einmal zur Sprache. Auch in Zeiten der virtuellen Kongresse hat sich daran nichts geändert – wir bringen einen vielfältigen, nicht unbedingt repräsentativen Querschnitt durch diese drei Gruppen von Krankheiten.
AML, CLL, ALL, BTK-Inhibitor, MRD, indolente und aggressive Non-Hodgkin-Lymphome, Multiples Myelom, Blinatumomab, Carfilzomib, Ponatinib, Venetoclax, Azacitidin, Ibrutinib, Daratumumab, Acalabrutinib, Lenalidomid, Obinutuzumab, Atezolizumab, Rituximab, Olutasidenib, Ivosidenib
Akute myeloische Leukämie
Hohe Ansprechraten bei AML mit IDH1-Mutationen
Die akute myeloische Leukämie (AML) weist eine ausgesprochene molekulare Heterogenität auf [6]; so tragen bei rund 20 % der Patienten die Blasten Mutationen in den Genen für die Isocitrat-Dehydrogenasen 1 oder 2 (IDH1/2).
Durch die mutierten Enzyme wird anstelle von α-Ketoglutarat 2-Hydroxyglutarat synthetisiert, wodurch sich die Methylierungs-Muster von DNA und Histonen in den betroffenen Zellen verändern und es in letzter Konsequenz zu De-Differenzierung und Transformation der myeloischen Zellen kommt [7]. Folge dieser Befunde war in den letzten Jahren die Entwicklung verschiedener Inhibitoren für die mutierten IDH-Enzyme: Bei IDH1 etwa, die in bis zu 9,3 % der AML-Fälle mutiert ist, findet man nur eine Punktmutation an der Position R132 mit dem Austausch des Arginin-Rests gegen Histidin, Cystein, Serin, Lysin, Glycin oder Prolin (R132X; [8]). Zwei verschiedene Inhibitoren des IDH1-Enzyms werden in Phase-II-Studien getestet, zu denen beim virtuellen ASCO-Kongress Ergebnisse vorgestellt wurden:
- In einer globalen Studie hatten insgesamt 153 Patienten mit rezidivierter oder refraktärer AML und der R132X-Mutation den IDH1-Hemmstoff Olutasidenib (FT-2102) in Monotherapie 150 mg zweimal täglich erhalten, wie Stéphane de Botton, Paris, Frankreich, berichtete [9]. Primärer Endpunkt war der Anteil an Patienten mit kompletter Remission mit (CR) oder ohne vollständige hämatologische Erholung (CRh) entsprechend den Kriterien der International Working Group von 2003 [10]. Nach median fünfeinhalb Monaten lag dieser Anteil bei 33 %, von denen fast alle (30 %) auch eine hämatologische Erholung aufwiesen (CR). Die mediane Dauer dieser Remissionen war noch nicht erreicht; wurde eine allogene Stammzelltransplantation oder ein Rezidiv als Ende der Remission gewertet, betrug sie 13,8 Monate. Alle Patienten mit CR/CRh wurden unabhängig von Thrombozyten-Gaben, 83 % von Erythrozyten-Transfusionen; bei den Patienten mit schlechterem Ansprechen war es nur ungefähr die Hälfte. Der Anteil überlebender Patienten mit kompletten Remissionen lag nach 18 Monaten bei 87 %, d. h. der Medianwert des Gesamtüberlebens war bei ihnen noch nicht erreicht. Olutasidenib war laut de Botton gut verträglich: Die häufigsten Grad-3/4-Nebenwirkungen waren febrile Neutropenien (20 %), Anämien (19 %), Thrombozytopenien (16 %) und Neutropenien (13 %). 14 % der Patienten entwickelten IDH1-Differenzierungssyndrome aller Schweregrade; in einem Fall verlief dieses letal, ansonsten sprach es auf entsprechende Behandlung an.
- IDH1-Mutationen verleihen den AML-Blasten auch eine erhöhte Abhängigkeit von dem anti-apoptotischen Protein BCL-2, weshalb in einer weiteren Phase-Ib/II-Studie Patienten mit neu diagnostizierter oder rezidivierter/refraktärer IDH1-mutierter AML oder myelodysplastischem Syndrom den IDH1-Inhibitor Ivosidenib erhielten und dazu 400 oder 800 mg des BCL-2-Inhibitors Venetoclax, zum Teil auch noch die hypomethylierende Substanz Azacitidin. Die Interimsanalyse ergab laut Curtis Lachowiez, Houston, Texas, USA [11] Ansprechraten von insgesamt 92 %, mit der hohen Venetoclax-Dosis und der Azacitidin-Kombination sogar von 100 %. Komplettremissionen wurden in diesen drei Strata von 84 % bzw. 100 % (mit 800 mg Venetoclax) bzw. 85 % (mit Azacitidin) erreicht. Trotz der niedrigen Patientenzahlen beeindrucken diese Zahlen, ebenso wie die gute Verträglichkeit: 28 % der Patienten entwickelten febrile Neutropenien und 24 % Pneumonien vom Grad 3/4, während zwei Tumorlyse- und vier Differenzierungs-Syndrome unter medikamentöser Therapie nur transient waren. Medikamente dieser Art dürften in der Therapie myeloischer Erkrankungen mit IDH1-Mutationen künftig eine wichtige Rolle spielen, auch wenn bislang noch keine zugelassen ist.
MRD-Status prädiktiv für das Überleben
Die Kombination aus dem BCL-2-Inhibitor Venetoclax und der hypomethylierenden Substanz Azacitidin hat bei der AML in der Phase-III-Studie VIALE-A gegenüber einer Monotherapie mit Azacitidin mehr tiefe Remissionen und vor allem bei mehr Patienten einen Abfall der minimalen Resterkrankung (MRD) auf ein Niveau von < 10-3 bewirkt (23,4 % versus 7,6 % der Patienten; p < 0,001; [12]). Diese Daten hatten zur Zulassung von Venetoclax in Kombination mit einer hypomethylierenden Substanz bei neu diagnostizierter AML geführt, wenn die Patienten nicht für eine intensive Chemotherapie geeignet sind.
Der MRD-Status und seine Rolle für die Prognose der AML war Gegenstand einer separaten Auswertung, die Keith Pratz, Philadelphia, Pennsylvania, USA, beim ASCO-Kongress vorstellte [13]. Von den insgesamt 286 Patienten im Venetoclax/Azacitidin-Arm waren etwa drei Viertel (n = 211) bezüglich des MRD-Status auswertbar. Von ihnen erzielte ein gutes Drittel (n = 78; 37 %) einen MRD-Wert von < 10-3, bei den übrigen lag er höher. Die Patienten mit niedriger MRD hatten im Median etwa doppelt so viele Zyklen Venetoclax/Azacitidin erhalten wie die übrigen (14,5 vs. 7,0 Zyklen). Vor allem aber betrug für die Patienten mit Komplettremission und MRD < 10-3 nach einem Jahr die rezidivfreie Überlebensrate 81,2 %, die ereignisfreie Rate 83,2 % und die Gesamtüberlebensrate 94,0 %, während es bei den Patienten mit einem höheren MRD-Niveau 46,6 %, 45,4 % bzw. 67,9 % waren. Die mediane Dauer dieser drei Parameter war bei den Patienten mit niedriger MRD nach zwölf Monaten noch gar nicht erreicht, bei denen mit höherer MRD lag sie bei 9,7 bzw. 10,6 bzw. 18,7 Monaten.
An Nebenwirkungen vom Grad ≥ 3 wurden auch hier vor allem febrile Neutropenien, Neutropenien und Thrombozytopenien registriert. Eine Reduktion der MRD auf unter 10-3 ist also wie auch bei anderen AML-Therapieprotokollen immer anzustreben, weil sich damit die Dauer des Ansprechens sowie ereignisfreies und Gesamtüberleben verlängern lassen.