Hepatozelluläre Karzinome (HCC) gehören zu den häufigsten Tumoren in der westlichen Welt. Sie entstehen in 70–80 % aller Fälle auf dem Boden einer Leberzirrhose, welche die Funktion der Leber in der Regel maßgeblich beeinträchtigt und deren Komplikationen wie etwa Ösophagusvarizen-Blutungen, Aszites oder hepatische Enzephalopathie zur hohen Mortalität und Morbidität der Patienten beitragen. Wesentliche Risikofaktoren für die Entstehung einer Leberzirrhose und damit eines HCC sind chronische Infektionen mit dem Hepatitis-B- (HBV) oder -C-Virus (HCV), Alkohol-abusus sowie die nicht alkoholbedingte Leberverfettung (NAFLD/NASH). Adipositas, Diabetes mellitus und Nikotin-abusus sind ebenfalls assoziiert mit einer erhöhten HCC-Inzidenz, weiterhin seltene Erkrankungen wie die Hämochromatose oder die hereditäre Tyrosinämie
Typ 1. Insgesamt treten HCC mit höherer Prävalenz bei Männern und im fortgeschrittenen Alter auf – in Deutschland mit einem medianen Erkrankungsalter von 71 Jahren [1].
Interdisziplinäres Behandlungskonzept
Für die Behandlung des HCC steht inzwischen eine Vielzahl von Therapieoptionen zur Verfügung. Die Integration unterschiedlicher Behandlungsmodalitäten in ein individualisiertes Gesamt-konzept muss im Rahmen eines interdisziplinären Tumorboards mit Vertretern aus Onkologie, Hepatologie, Chirurgie (möglichst mit hepatobiliärem/Transplantations-Schwerpunkt), interventioneller Radiologie, Nuklearmedizin sowie Strahlentherapie erfolgen. Bei allen Patienten mit HCC sind neben dem Tumorstatus (Größe, Anzahl, Ausbreitung und Gefäßinvasion) die Leberfunktion sowie der allgemeine Leistungszustand in die Therapieentscheidung einzubeziehen. Basierend auf der Auswertung verschiedener Patientenkollektive wurden neben dem Child-Pugh-Score (CP-Score) auch neuere Scores zur longitudinalen Beurteilung der Leberfunktion etabliert. Die Parameter Albumin und Bilirubin wurden z. B. als die wichtigsten prognostischen Faktoren identifiziert und fließen in unterschiedlicher Gewichtung in den ALBI-Score ein (ALBI = (log10 Bilirubin [μmol/l] x 0,66) + (Albumin [g/l] x -0,085)). Anhand dieses Scores lassen sich drei Risikogruppen abgrenzen (ALBI 1–3), die gut mit dem Überleben korrelieren. Der Score ermöglicht insbesondere auch eine gute Diskriminierung in der Gruppe der CP-A-Patienten mit HCC.
Bei der Behandlung des HCC lassen sich grundsätzlich frühe, intermediäre und fortgeschrittene Stadien unterscheiden. Im frühen Stadium stehen neben der Transplantation auf der Basis der Milan-Kriterien die Leberteilresektion sowie ablative Verfahren (Radiofrequenz- oder Mikrowellenablation (RFA/MWA)) als kurative Therapieansätze zur Verfügung.
Die transarterielle Chemoembolisation (TACE) und die selektive interne Radiotherapie (SIRT) zählen zu den palliativen lokoregionären Therapien im intermediären Stadium. Sie sind bei Patienten mit ausreichend gutem Allgemeinzustand (ECOG ≤ 2), einem solitären oder multifokalen HCC ohne wesentliche extrahepatische Manifestation und mit gut erhaltener Leberfunktion einsetzbar.
Bei Patienten, die nicht auf eine lokoregionäre Therapie ansprechen oder im fortgeschrittenen Stadium (extrahepatische Metastasierung, Gefäßinfiltration) sind, sollte eine systemische Therapie initiiert werden. Nachdem Sorafenib bis 2017 die einzige zugelassene systemische Therapie darstellte, erlangten innerhalb der letzten 3 Jahre weitere Substanzen die europäische Marktzulassung. Hier stellen wir die aktuellen Optionen in der systemischen Erstlinientherapie 2020 vor.
Erstlinientherapien
Sorafenib
Im Jahr 2007 stand mit der Zulassung von Sorafenib, einem oralen Multi-Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) mit Aktivität gegen bis zu 40 Kinasen, erstmals eine sinnvolle systemische Therapieoption für das fortgeschrittene HCC zur Verfügung. In der SHARP-Studie verlängerte Sorafenib das mediane Gesamtüberleben (OS) von westlichen HCC-Patienten im Vergleich zu Placebo von 7,9 auf 10,7 Monate [2, 3]. Ein Überlebensvorteil in ähnlicher Größenordnung konnte zudem in einem asiatischen Patientenkollektiv nachgewiesen werden, mit einem medianen OS von 6,5 Monaten unter Sorafenib vs. 4,2 Monaten im Kontrollarm [4]. Obwohl das Patientenkollektiv beider zulassungsrelevanter Studien lediglich Child-A-Patienten umfasste, ist der Einsatz von Sorafenib nicht auf diese begrenzt. Verschiedene retrospektive und Beobachtungsstudien, zusammengefasst in einer kürzlich publizierte Meta-Analyse [5], zeigen die Sicherheit von Sorafenib für den Einsatz bei Child-B-Patienten. Angesichts der schlechten Prognose mit einem medianen OS von nur 4,6 Monaten ist bislang allerdings für diese Patienten ein klinisch relevanter Zusatznutzen einer onkologischen Systemtherapie nicht belegt, sodass individuell in Abhängigkeit vom klinischen Zustand entschieden werden muss.
Trotz der nur moderaten Lebenszeitverlängerung von 2,8 Monaten in der SHARP-Studie stellte die Zulassung von Sorafenib als erste Systemtherapie einen Erfolg in der HCC-Behandlung dar, an den in den folgenden 10 Jahren zunächst nicht angeknüpft werden konnte. Mehr als 10 Phase-III-Studien mit Sorafenib als Kontrollarm bestätigten zwar die Wirksamkeit des TKI, waren jedoch nicht in der Lage, eine Überlegenheit bzw. Nicht-Unterlegenheit für die jeweiligen experimentellen Arme herauszuarbeiten.
Als Multi-TKI mit Aktivität u. a. gegen RAF-Kinasen und den VEGF-Rezeptor (VEGFR)-2/3 lässt sich die Wirksamkeit von Sorafenib primär auf die anti-angiogene Komponente sowie auf die Hemmung des oft in malignen Tumoren überaktivierten RAS-Signalwegs zurückführen. Validierte prädiktive Biomarker für den Einsatz von Sorafenib stehen nicht zur Verfügung. Subgruppenanalysen auf Basis klinischer Parameter aus den beiden großen Zulassungsstudien belegen jedoch eine besondere Wirksamkeit bei Patienten mit einer Hepatitis-C-Infektion, einer niedrigen Neutrophilen-zu-Lymphozyten-Ratio, sowie einer auf die Leber begrenzten Erkrankung [6].
Da der VEGFR-2 eine der wesentlichen Zielstrukturen von Sorafenib darstellt, wurde sein Ligand – VEGF-A – als potentieller Biomarker untersucht. In dem translationalen Programm der SHARP-Studie zeigte sich keine prädiktive Bedeutung; hohe VEGF-A-Spiegel waren allerdings mit einer schlechten Prognose assoziiert [7]. Ähnlich konnte auch ein hoher Angiotensin-2-Spiegel als unabhängiger negativer prognostischer Marker identifiziert werden – ebenfalls ohne prädiktive Bedeutung für die Wirksamkeit von Sorafenib. Ein nicht signifikanter Trend für ein verbessertes Überleben konnte lediglich für Patienten gezeigt werden, die Tumoren mit hoher KIT-Expression und niedrigen Plasmaspiegeln von HGF aufwiesen. Initiale Daten aus einem kleinen single-center-Patientenkollektiv (81 Patienten), die außerhalb einer randomisierten Studie gewonnen wurden, weisen zudem auf eine negativ prädiktive Bedeutung von aktivierenden Mutationen im PI3K-mTOR-Signalweg hin [8]. In der BIOSTORM-Studie wurde das translationale Programm der STORM-Studie durchgeführt, einer negativen Phase-III-Studie, in der die Wirksamkeit von Sorafenib im adjuvanten Setting nach Resektion oder lokaler Ablation untersucht wurde [9]. In der molekularen Aufarbeitung dieser pro-spektiven Studie konnte keine bislang publizierte Gensignatur und kein Biomarker wie Amplifikation von VEGF-A-als prädiktiv für die Effektivität von Sorafenib oder das Rezidivrisiko bestätigt werden. Als prognostische Marker für ein Rezidiv wurden der p-ERK-Level und die mikrovaskuläre Infiltration (MVI) identifiziert.
Lenvatinib
Das medikamentöse Spektrum in der Erstlinientherapie erweiterte sich erst 2018 mit der Zulassung von Lenvatinib. Es ist, ähnlich wie Sorafenib, ein oraler Multi-TKI mit verstärktem Wirkpoten-tial im VEGFR- und FGFR-Bereich. Die Zulassung erfolgte auf Basis der REFLECT-Studie, einer randomisierten Phase-III-Studie, die eine Nicht-Unterlegenheit von Lenvatinib im Vergleich zu Sorafenib in der Erstlinie belegen konnte [10]. Auch in die REFLECT-Studie wurden nur Patienten mit einer Child-A-Leberfunktion eingeschlossen, die zudem keine Hauptstamm-Infiltration der Pfortader und nur eine Tumorlast < 50 % aufweisen durften. Bei vergleichbarem Überleben (mOS Lenvatinib 13,6 Monate vs. Sorafenib 12,3 Monate) waren die objektive Ansprechrate mit 24,1 % vs. 9,2 %, nach mRECIST sowie das progressionsfreie Überleben (PFS) und die Zeit bis zur Progression inder Lenvatinib-Gruppe signifikant verbessert (7,4 vs. 3,7 Monate bzw. 8,9 vs. 3,7 Monate) (Tab. 1).