Diagnostik von Autoimmunerkrankungen - Wo bleibt die KI?
Alle sprechen über KI, die Künstliche Intelligenz – auch wir – oder über ihre Abwandlungen, Machine Learning, neuronale Netzwerke und Expertensysteme. Doch wo bleiben die Anwendungen in der professionellen Medizin? Large Language Models (LLM) wie ChatGPT sind im praktischen Leben angekommen und in vielen Bereichen wie Programmierung oder der individualisierten Internetsuche sehr hilfreich. Bei medizinischen Anfragen bleibt es jedoch meist banal – mit dem Hinweis „Fragen Sie eine Ärztin“. Und selbst die Anmerkung, dass ich Arzt bin, entlockt dem System kein Spezialwissen und auch keine konkreten Vorschläge, zum Beispiel für die weitere Labordiagnostik.
Wie weit ist die praktische Anwendung von KI in der Autoimmundiagnostik? Brauchen wir sie hier überhaupt?
Auf jeden Fall! Gerade systemische Autoimmunerkrankungen, wie sie in den Beiträgen von Daniel Vagedes und Georg Pongratz beschrieben werden, sind äußerst komplex – Chamäleons in der klinischen Symptomatik und eine Herausforderung in der Diagnostik mit einer Vielzahl an verschiedenen Autoantikörpern in unterschiedlicher Konstellation.
Diese Vielfalt ist nicht nur bei systemischen Autoimmunerkrankungen, sondern auch zum Beispiel bei neurologischen Autoimmunerkrankungen immens. Autoantikörper tragen neben den neuronalen Entzündungsparametern, die von Sven Wellmann und Verena Lehnerer in ihrem Artikel ausführlich beschrieben werden, viel zur Diagnostik bei.
Aber auch die therapeutischen Möglichkeiten werden immer umfangreicher – ein Segen für die Patient:innen und eine Herausforderung für die Ärzt:innen. Eine individualisierte Therapie, die möglichst viele Begleitumstände wie Begleiterkrankungen, Medikamente mit Unverträglichkeiten oder Fehlschlägen, Allergien etc. berücksichtigt, könnte viel helfen.
Wie weit sind die KI-Systeme in der Bewertung diverser Autoantikörperkonstellationen – im Zusammenhang mit den Beschwerden und klinischen Symptomen? Gibt es Empfehlungen, wie die weitere Diagnostik im Labor oder in der Radiologie aussehen soll? Gibt es Systeme, die Färbemuster in der Antikörperdiagnostik mithilfe der indirekten Immunfluoreszenz auf Zellen wie HEp-2 oder Granulozyten oder Geweben wie Hirnschnitten analysieren?
Die Antwort ist ein klares Jein. Relativ weit fortgeschritten und in den Laboralltag integriert ist die automatisierte Interpretation von Titern und Mustern in der Immunfluoreszenz – sofern die nötigen teuren automatisierten Mikroskope im Labor vorhanden sind. Es sind zarte Anfänge – aber ist das schon KI? Pattern-Recognition-Systeme basieren auf Techniken der KI. Doch um in der praktischen Anwendung besser zu werden, das heißt, „selbstlernend“ zu arbeiten, müssen sie mit HI (humane Intelligenz) und großen Datenmengen gespeist werden. Gibt es eine integrierbare Rückmeldung vom Einsender, ob die Antikörperkonstellation zur Klinik passt und ob die Empfehlungen von Labor zur weiteren Diagnostik sinnvoll waren? Sporadisch ja, aber reicht das, um sich selbst zu optimieren? Schön wäre ein großes Netzwerk an Laboren und Klinikern, die ihre Daten in ein System einspeisen, das alle Seiten der Diagnostik und Klinik zur Auswertung verwenden kann.
Auf der Seite der Patient:innen wurde gerade eine interessante Studie zur Integration von KI vorgestellt [1]. Die ChatSLE-Studie untersuchte, inwieweit komplexe Patientenanfragen von ChatGPT im Vergleich zu Fachleuten beantwortet werden konnten. Auf der Webseite lupus100.org wurden von SLE-Fachleuten, Betroffenen und Patientenorganisationen die 100 wichtigsten Fragen zum SLE aufgelistet und beantwortet. Diese Fragen wurden ChatGPT (Version GPT4.0) angeboten, und die Antworten wurden von Rheumatolog:innen bewertet. Diese kamen zu dem Ergebnis, dass die von der KI generierten Antworten signifikant länger waren und eine höhere Qualität aufwiesen als die Antworten von lupus100.org. Interessanterweise konnte die Studie auch zeigen, dass die Länge der Antworten eine wichtige Rolle für die wahrgenommene Qualität und Empathie spielt. Nicht geklärt ist jedoch die Frage, ob LLM in der Lage sind, patientengerechte Informationen zu liefern, ohne dass eine Überarbeitung durch Fachpersonal notwendig ist. Weiter muss geklärt werden, wie die optimale Integration von KI in den klinischen Alltag zu bewerkstelligen ist und wie Datenqualität, Datenschutz und Patientenakzeptanz optimiert werden können.