Gastkommenar: Zum Verwechseln ähnlich
In meiner psychotherapeutischen Praxis häufen sich seit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie Fälle von langanhaltender mentaler Beeinträchtigung, und es sind gar nicht einmal die schweren Verläufe, die hier zu Buche schlagen. Eine Betroffene mit nur leichten Erkältungssymptomen machte auf mich zunächst einen hochgradig depressiven Eindruck mit zusätzlichem „brain fog“, der sie beim Denken störte. Auch ein halbes Jahr später war eine Berufsausübung undenkbar.
Der Leitartikel Chronisch erschöpft zeigt, dass es nicht unbedingt das Virus selbst ist, das solche langanhaltenden Krankheitszustände verursacht, sondern unser eigenes Immunsystem, das auf einen Trick des Erregers hereinfällt: Um der Immunabwehr zu entgehen, bildet er Proteinstrukturen aus, die menschlichen Proteinen ähneln (molekulare Mimikry). Von Streptokokken, Eppstein-Barr-Viren und anderen Pathogenen wissen wir seit Langem, dass es dabei zu autoaggressiven Verwechslungen mit Zellen des Zentralnervensystems kommen kann, die psychiatrische Krankheitsbilder vom Fatigue-Syndrom bis hin zu depressiven und wahnhaften Zuständen vortäuschen. In Analogie zur molekularen Mimikry ist man versucht, von einer psychosomatischen Mimikry zu sprechen. Bislang wurde diesen oft rätselhaften postinfektiösen Zuständen zu wenig Beachtung geschenkt, aber es ist zu hoffen, dass sich dies durch COVID-19 ändert.