Schwerpunkt Neurologie

Brain Fog – das ist wieder so ein englischer Fachbegriff, den uns das Coronavirus als scheinbar neues Modewort ins Bewusstsein gespült hat. Das Verdienst der Erstbeschreibung kommt aber eigentlich einem Deutschen zu: 1817 sprach der Altenburgische Amts- und Stadtphysikus Georg Friedrich Christian Greiner erstmals von einer fieberhaften „Verdunkelung des Bewusstseins“ [1], die als Clouding of Consciousness in die psychiatrische Fachterminologie und als Brain Fog in die medizinische Umgangssprache einging.
„Nebel im Kopf“ beschreibt plastisch, was Menschen empfinden, die – aus welchen Gründen auch immer – plötzlich nicht mehr klar denken können: Unfähig, sich zu konzentrieren und an eben Erlebtes zu erinnern, fühlen sie sich „wach, und irgendwie doch nicht wach“ oder „wie in Watte gepackt“. Psychiater stufen diesen Zustand als milde Vorstufe eines Delirs mit Des­orientiertheit  und Halluzinationen ein. Es gibt dafür eine Vielzahl möglicher Ursachen: Fieber, Drogen, Schlafmangel, Stress, Dehydrierung, Tumorerkrankungen, Endokrinopathien, Operationen ... Die Ätio­logie erscheint ähnlich nebulös wie der geistige Zustand selbst. 
Das führte dazu, dass die Symptomatik von der Medizin nicht ernst genug genommen wurde, bis COVID-19 millionenfach demonstrierte, wie gravierend diese Bewusstseinseinschränkung sein kann und wie viele Menschen der Hirnnebel möglicherweise anhaltend arbeitsunfähig machen wird. Über die neuroanatomischen und biochemischen Hintergründe dieses Zustands kann man im Einzelfall nur spekulieren, denn Wahrnehmung, Vigilanz  und Konzentration sind auf viele Hirnregionen (z. B. Formatio reticularis, Thalamus, Parietallappen) verteilt und hängen vom Zusammenwirken verschiedenster Neurotransmitter (z. B. Noradrenalin, Serotonin) ab.
Auf der Ebene der Pathogenese scheinen die Ursachen klarer zu sein. Wir stellen auf den folgenden Seiten drei ZNS-Erkrankungen vor, die das Bewusstsein durchaus im Sinne der Greiner'schen „Verdunkelung“ beeinflussen können und der diagnostischen Klassifikation gut zugänglich sind: 

  • Infektiöse Enzephalitis
  • Autoimmun-Enzephalitis
  • Hirntumoren

Zusätzlich präsentieren wir in unserer Produkt­übersicht Biomarker für Hirntraumata und neurodegenerative Erkrankungen. Eine Einteilung in entzündlich, degenerativ, neoplastisch und traumatisch liegt nahe, doch bei genauerem Hinsehen sind diese klassischen Kategorien heute wohl nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Die Grenzen verschwimmen

So ist bei dem ab der nächsten Seite beschriebenen Fatigue-Syndrom unklar, ob das Coronavirus die Astrozyten des Gehirns befällt (infektiöse Enzephalitis) oder ob unser eigenes Immunsystem für die Symptomatik verantwortlich ist (Autoimmunenzephalitis). Autoimmun­enzephalitiden wiederum sind häufig onkologischer Natur (paraneoplastisches Syndrom), und neurodegenerative Erkrankungen wie etwa Multiple Sklerose und Alzheimer-Krankheit haben meist eine starke entzündliche Komponente. 
Deshalb bleibt bei vielen neurologischen Erkrankungen unklar, wodurch letztlich die klinische Symptomatik ausgelöst wird. Und je tiefer die Forschung in die Physiologie und Pathologie des Gehirns eintaucht, desto undurchsichtiger scheinen derzeit die Nebel zu werden, die es zu lichten gilt.

Prof. Dr. Georg Hoffmann
Herausgeber
georg.hoffmann@trillium.de