Einführung eines komplett digitalisierten Workflows für die Pathologie am Universitätsklinikum Tübingen

Die Allgemeine Pathologie, Neuropathologie und Dermatopathologie des Universitätsklinikums Tübingen bearbeiten jährlich eine Vielzahl an Präparaten unterschiedlichster Einsender aus dem Universitätsklinikum, umliegenden Krankenhäusern und Privatpraxen und bieten zudem ein breites referenzpathologisches Angebot. Die Institute sind allein in Tübingen an fünf verschiedenen Standorten vertreten. Die Abläufe der Labore und der Befundung sollen vollständig digitalisiert und hierdurch die Labore entlastet, Transportwege reduziert, und der Informationsaustausch innerhalb der Institute sowie die Konsilarbeit erleichtert werden. Zudem wird die künstliche Intelligenz für die Routinebefundung eingeführt und eine Homeoffice-Möglichkeit für die Ärzteschaft geschaffen. Die digitale Lehre und Forschungsarbeit in der Pathologie werden verbessert und ausgebaut. In diesem Artikel beschreiben wir unser Vorgehen auf dem Weg zur vollständigen Digitalisierung der Universitätspathologie und geben einen Ausblick über unsere weiteren Ziele.

Schlüsselwörter: Digitale Pathologie, Prozessumstellung, Künstliche Intelligenz

Einleitung

In den letzten Jahren gab es eine starke Weiterentwicklung in den technischen Möglichkeiten der Digitalen Pathologie (DP) [1]. Die Geschwindigkeit und Qualität, in der Objektträger (OT) in einer mit dem Mikroskop vergleichbaren Auflösung aufgenommen werden, haben sich deutlich gesteigert [2]. Die Algorithmen zur Gewebserkennung und Fokussierung haben sich verbessert, die Preise für Datenspeicherung sind stark gefallen, und Softwarelösungen zur histologischen Befundung (Viewer) bieten deutlich mehr Möglichkeiten und laufen schneller als früher [3, 4]. Die DP als Alternative für die Mikro-skop-Befundung hat deshalb Einzug in die Routine gefunden und wird durch die Fachgesellschaften vermehrt wahrgenommen [5–11].

Aufbau der Institute

Dem Departement für Pathologie und Neuropathologie gehören das Institut für allgemeine und molekulare Pathologie und das Institut für Neuropathologie an. Zusätzlich gibt es die an die Hautklinik angegliederte Dermatopathologie. Die allgemeine Pathologie bietet zudem in externen Krankenhäusern Schnellschnittdiagnostik an. Die drei Kliniken bearbeiteten zuletzt etwa 73.000 Fälle und über 460.000 Schnitt- und Zytologiepräparate im Jahr, bei einem jährlichen Wachstum um ca. 5–10 %.

Insgesamt sind die drei Kliniken an fünf verschiedenen Standorten tätig, wodurch viel Zeit und Ressourcen für Transport und Koordination der OT aufgewendet werden. Die DP wird diese Abläufe vereinfachen und die Krankenversorgung optimieren.

Aktuell erfolgen die Einsendungen durch handschriftlich ausgefüllte Einsendescheine. Die Fallnummernvergabe, Zuordnung und der Abgleich der Probengefäße erfolgen durch die technische Assistenz (TA) in den Eingangslaboren. Nach Makroskopie, Einbettung und Schnitterstellung führt die TA die OT der Fälle zusammen und übergeben sie mit den Einsendescheinen an die Ärzteschaft. Die routinemäßig durchgeführten Spezialfärbungen werden im Zuschnitt auf den Kassetten notiert. Notwendige Sonder- und immunhistochemische Färbungen können über das Laborinformationssystem (LIS) bestellt werden. Kassetten und OT sind nicht mit dem LIS verknüpft und lediglich Nachforderungen sind unmittelbar aus dem System nachvollziehbar. Aktuell erfolgt die Bearbeitung im sog. Batch-Processing, d. h. große Mengen an Kassetten werden zeitgleich bearbeitet.

Bisherige Anwendungen von digitaler Pathologie am Institut

Vor einigen Jahren wurden erste Bemühungen Richtung DP unternommen; ein (mittlerweile veralteter) Hochdurchsatzscanner sowie kleine Scanner für Einzelschnitte sind verfügbar. Zusätzlich sind Mikroskope mit Kameras ausgestattet, die es ermöglichen, Schnitte als Ganzes zu digitalisieren. Eine maschinelle Ki67-Auswertung findet ebenfalls Anwendung, hier wird jedoch meist auf klassisch mittels Mikroskop aufgenommene Bilder zurückgegriffen.

Gescannte OT werden aktuell primär für Lehre und Forschungszwecke sowie Konsilanfragen verwendet, jedoch nicht in der Routinediagnostik.

Maßnahmen

Anforderungen an einen vollständig digitalen Workflow

Durch die Umstellung sollen die gesamten Abläufe der pathologischen Befundung digitalisiert werden. Ziel ist ein offenes System: Alle Komponenten sollen unabhängig von Herstellern miteinander kommunizieren können und das System beliebig erweiterbar sein, um die Komponenten nach unseren Bedürfnissen auswählen zu können. Wichtig für uns ist ein „lean“ Workflow, was bedeutet, dass Arbeitsschritte und Wege innerhalb der Labore reduziert werden, damit die Zeitspanne bis zum Vorliegen des Ergebnisses beim Einsender – trotz der für den Scanvorgang benötigten Zeit – nicht ansteigt [12, 13]. Durch die Digitalisierung sollen der Papierverbrauch sowie die Transporte zwischen den Standorten reduziert werden (Abb. 1).

Auch sollen die Schnellschnitte der umliegenden Krankenhäuser umstrukturiert werden, sodass nur noch eine TA vor Ort sein muss.

Änderungen der Rahmenbedingungen

Sobald der Laborworkflow etabliert ist, sollen Hochdurchsatzscanner eingesetzt werden, um alle OT zu digitalisieren. Das Zusammenführen der OT wird somit automatisiert. Um die Scanner optimal auszulasten, soll ein kontinuierlicher Ablauf eingeführt werden, bei dem über den Tag verteilt jeweils kleinere Mengen bearbeitet werden.

Als Voraussetzung für die vollständige Digitalisierung benötigen alle Kassetten und Schnitte neben den bisherigen Informationen einen 2D-Barcode zur eindeutigen Zuordnung durch das LIS [14].

Jeder Mikrotom-Schneideplatz wird mit einem OT-Drucker und Barcodescanner ausgerüstet, was ein Drucken der OT durch Scannen der Kassette ermöglicht. Aufgrund z. T. unterschiedlich beschichteter OT wurden im Vorfeld mehrere OT-Drucker bez. Geschwindigkeit und Qualität getestet, um sicherzustellen, dass später beim automatisierten Zuordnen der Schnitte keine Fehler passieren.

Zudem erlaubt der neue Laborprozess eine Einbindung der Immunhistochemie-Färbeautomaten in das System.

Eine Anpassung der Positionierung der Gewebeschnitte auf den OT ist ebenfalls notwendig, um die effiziente Nutzung von Geräten und Speichern sicherzustellen. Beim Eindecken der OT entschieden wir uns, komplett auf Folie umzusteigen, da die mit Deckglas eingedeckten OT zwar gescannt werden können, was in unseren Tests jedoch teilweise zu Problemen führte. Die meisten Fehler entstanden durch überstehende Deckgläser und endeten im schlimmsten Fall in Glasbruch. Auch die Menge an Eindeckmedium muss angepasst werden. Durch die Verwendung von wenig Medium lässt sich die Trockenzeit reduzieren und ein Austritt des Mediums mit ggf. Beeinträchtigung der Optik des Scanners wird vermieden.

Zugunsten eines „lean“ Workflows haben wir uns außerdem dazu entschieden, auf doppelbreite OT zu verzichten und die Zuschneide-Protokolle entsprechend anzupassen. Doppelbreite OT erleichtern zwar den Zuschnitt bestimmter Präparate, aber prolongieren den Laborprozess durch längere Bearbeitungszeiten im Einbettautomat, aufwendigeres Aufziehen sowie eine erschwerte Digitalisierbarkeit und Archivierung.

Darüber hinaus dürfen die Kassetten bei der makroskopischen Aufarbeitung der Präparate keinesfalls überfüllt werden, da ansonsten relevante Bereiche auf den OT ggf. durch den Scanner nicht erkannt werden, und damit der Diagnostik nicht zugänglich sind.

Die Schnittqualität bez. Schnittdicke muss optimiert werden, da i. d. R. keine Tiefeninformationen generiert werden. Die Aufnahme zusätzlicher Ebenen (Z-Stack) benötigt mehr Zeit und Speicher und sollte sich daher auf spezielle Präparate beschränken (z. B. Zytologieausstriche) [10].

Außerdem sind Umstrukturierungen der Räume notwendig, damit alte und neue Geräte den Anforderungen des neuen Ablaufs im Sinne des „lean“ Workflows besser zugänglich sind. Ein Neubau ist geplant, sodass größere Umbaumaßnamen der alten Standorte nicht sinnvoll sind.

Daneben ist vor Einführung der DP eine Anpassung des Netzwerks mit  10Gbit- (später  40Gbit-)Anbindung ans  Rechenzentrum erforderlich. Ein lokaler Server für die Scanner dient als kurzfristiger Zwischenspeicher zum schnellen Abrufen der gerade zu bearbeitenden Fälle; er ist mit dem Rechenzentrum zur Langzeitspeicherung verbunden.

Hardware und Software

Um uns einen Überblick über die Vor- und Nachteile verfügbarer Scanner und Viewer zu verschaffen, haben wir Pathologieinstitute besucht, die bereits (teil-)digitalisiert arbeiten. Außerdem haben wir Teststellungen in unserem Institut durchgeführt. Diese beliefen sich jeweils auf Zeiträume von etwa vier bis sechs Wochen, sodass eine LIS-Anbindung i. d. R. nicht möglich war, da zum aktuellen Zeitpunkt viele der notwendigen Schnittstellen noch nicht standardmäßig verfügbar waren.

Hochdurchsatzscanner

Bei der Auswahl der Scanner ist die Scanqualität ein wichtiges Kriterium; sie wurde von allen getesteten Geräten erfüllt.

Weiterhin relevant sind technische Aspekte (Scangeschwindigkeit, generierte Dateigröße, Dateiformat und Kompatibilität) sowie die Handhabung, Standfläche und das Gewicht der Geräte.

Trotz vergleichbarer Herstellerangaben bez. Dauer des Scanvorgangs zeigten sich bei unterschiedlichen Scannern deutliche Diskrepanzen in der Zeit zwischen Ausgang aus dem Eindeckautomat und Zugriff auf die Scans. Dies liegt daran, dass bei der Herstellerangabe der Scangeschwindigkeit meist relevante Parameter nicht berücksichtigt wurden:

  • Müssen die Schnitte noch aus dem Färbegestell umplatziert werden?
  • Gibt es Wartezeiten am Gerät, um dieses zu be- und entladen (manche Scanner sind z. B. mit einer Tür versehen, deren Entriegelungsprozess Zeit in Anspruch nimmt)?
  • Muss das Gerät mittels Software bedient werden oder arbeitet es automatisch?
  • Welche Wege legen die OT innerhalb des Geräts zurück?

Der Markt hält eine Vielzahl an Lösungen für diverse Laborspezifikationen bereit. Wir werden aufgrund unserer verschiedenen Standorte mit unterschiedlichen baulichen Gegebenheiten und Anforderungen an die Digitalisierung deshalb auf verschiedene Modelle zurückgreifen.

Viewer

Vor der Wahl der Befundungssoftware haben wir zunächst an Online-Seminaren teilgenommen, um Einblick in die verschiedenen Systeme zu erhalten. Für die Lösungen, die unseren Bedürfnissen am passendsten erschienen, organisierten wir Teststellungen. Eine Anbindung an unser LIS war i. d. R. nicht möglich, sodass die Oberfläche mit Demofällen getestet wurde. Auch haben wir intergierte (KI-)Auswertealgorithmen getestet.

Da wir als Krankenhaus der Maximalversorgung sowie als Weiterbildungsstätte mit komplexen Fällen aus einer Vielzahl an Fachbereichen konfrontiert sind, stellen reine Viewer für uns keine Option dar. Wir interessierten uns daher nur für Befundungssoftware, die z. B. eine Tumorboard- sowie eine Diskussionsfunktion zwischen der Ärzteschaft ermöglichen. Relevante Kriterien waren die Ladegeschwindigkeit, Bedienfreundlichkeit sowie die Personalisierbarkeit der Oberfläche, da wir unterschiedliche Institute mit der gleichen Infrastruktur versorgen müssen.

Viele Lösungen sind neu auf dem Markt; aktuell bietet aber keine der Lösungen alle für uns notwendigen Funktionen. Für uns war es daher wichtig, die „Roadmap“ der Anbieter zu kennen und Mitgestaltungsmöglichkeiten zu haben. Alle Anbieter waren erfreulicherweise sehr offen und die geplanten Erweiterungen deckten sich meist mit unseren Anforderungen. Mit allen Anbietern wurde die Notwendigkeit einer komplikationslosen Anbindung an unser existierendes LIS kommuniziert.

Ausblick

Sobald der komplett digitalisierte Workflow vollständig etabliert, validiert und angenommen wurde, bieten sich neue Optionen, auf Anwendungen zurückzugreifen, die bisher nicht möglich waren [5–8, 15].

Neben der Verbesserung der Arbeitsabläufe innerhalb der Institute bietet die DP auch eine Chance für die Ärzteschaft, von zu Hause aus zu arbeiten [16]. Dies erlaubt flexiblere Arbeitszeiten und steigert durch bessere Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf die Attraktivität des Berufsbilds für die Zukunft.

Neben der raschen Konsultation der Kolleg:innen vor Ort planen wir auch die Bearbeitung von Konsilanfragen (an uns sowie von uns an andere Häuser) zu beschleunigen, da der Postweg entfällt, und je nach Softwarelösungen auch das Einpflegen in die jeweiligen Systeme unkompliziert möglich sein wird [17].

Außerdem planen wir die Erweiterung unseres Lehrangebots durch eine bessere Verfügbarkeit der Präparate. Die Studierenden erhalten eine umfassendere Lehre und einen besseren Einblick in die tägliche ärztliche Tätigkeit innerhalb des Instituts [18].

Die generierten Daten stellen auch für die Forschung eine wichtige Ressource dar. Mit ihnen können wir neue KI-Systeme trainieren, um die Befundung zu erleichtern und zu verbessern [19, 20]. Besonders im Hinblick auf einen unserer Forschungsschwerpunkte, betreffend Tumor-Mikromilieu und Analyse von Nachbarschaftsbeziehungen von Zellen mittels Hoch-Multiplex-Imaging, bieten sich Möglichkeiten, mittels zusätzlicher Informationen auch an weniger aufwendig prozessiertem Gewebe therapierelevante Lagebeziehungen von Immunzellen zueinander und/oder Tumorzellen bestimmen zu können [21].

Neben der eigenen Forschung wollen wir die Vorteile der DP auch anderen Forschungsgruppen anbieten und die uns vorliegenden Lösungen der Bildanalyse zur Verfügung stellen. Zu diesem Zweck planen wir die Einrichtung einer Core Facility für „Advanced Tissue Imaging und Digitale Pathologie“.

Interessenkonflikte:

Dr. Sven Mattern wurde eine Dienstreise von der Firma Formafix zur Besichtigung eines Scanners finanziert, da eine Teststellung bei ihm im Institut nicht möglich war.

Prof. Dr. Christian Schürch: Beratertätigkeit, Aktienoptionen und Forschungsgelder von/bei Enable Medicine, Inc. (alles außerhalb des Inhalts dieser Arbeit).

Autoren
Dr. med. Sven Mattern
Departement für Pathologie und Neuropathologie,
Universitätsklinikum Tübingen
Prof. Dr. med. Christian Schürch, MD, PhD
Departement für Pathologie und Neuropathologie,
Universitätsklinikum Tübingen
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