Mikrobiomanalyse: Großes Forschungsfeld mit Standardisierungsbedarf

Seit einigen Jahren gewinnt die Charakterisierung des menschlichen Darmmikrobioms in der Erforschung unterschiedlicher Erkrankungen zunehmend an Bedeutung – von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen über die Multiple Sklerose bis hin zu neurodegenerativen und kognitiven Veränderungen. Die Untersuchung einer möglichen krankheitsspezifischen Zusammensetzung des Mikrobioms, basierend auf der 16S-rRNA-Gen-Sequenzierung mittels Next Generation Sequencing, ist Gegenstand zahlreicher aktueller Studien.
Das MEDICA LABMED FORUM, das Ende November 2019 in Düsseldorf stattfand, widmete sich einen ganzen Tag lang dieser spannenden und hochaktuellen Problematik: Trotz methodischer Unterschiede und variabler Populationsgröße zeigen die bisher verfügbaren Studien konsis­tente Daten in Bezug auf krankheitsspezifische Veränderungen. Verfahren wie die Metagenomik, mit denen wir bakterielle Spezies oder sogar Subspezies differenzieren können, erlauben uns tiefere Einblicke in die taxonomische Struktur des Mikrobioms (s. A. "Mikrobiomanalyse: Wie vermisst man das Darmmikrobiom?"). Mithilfe dieser Methodik ist es möglich, z. B. Parkinson-Patienten bereits in einer sehr frühen Krankheitsphase anhand einzelner veränderter Bakterienspezies von Gesunden zu unterscheiden. Vor allem Bakterien, die im Zusammenhang mit einer gestörten Darmbarriere oder Immunfunk-tion stehen, z. B. Akkermansia, Lactobacillus, Facalibacterium und Prevotella, zeigen sich dabei signifikant über- oder unterrepräsentiert. Möglicherweise existiert sogar ein prodromales Mikrobiom, da sich eine vergleichbare mikrobielle Verschiebung auch bei Patienten mit neurodegenerativen oder kognitiven Erkrankungen findet.
Neben Bakterien beherbergen wir in unserem Körper jedoch auch viele Milliarden Viren bzw. Phagen. Diese machen somit den Hauptanteil des Mikrobioms aus. Wir wissen, dass Menge und Vielfalt an Viren/Phagen in den ersten Lebensmonaten eines Neugeborenen am größten sind und im Laufe des Lebens signifikant abnehmen. Die bakterielle Komponente des Darmmikrobioms erfährt eine entgegengesetzte Entwicklung. Um die Rolle dieser „Mitbewohner“ in Interaktion mit den einzelnen Komponenten des Mikrobioms für unsere Gesundheit vollständig zu verstehen, bedarf es intensiver Forschung (s. A. "Das intestinale Virom: Das große Unbekannte").
Dass nicht nur das Mikrobiom des Dickdarms eine Rolle spielt, zeigen neue Erkenntnisse aus Untersuchungen des vaginalen Mikrobioms: Eine Kombination verschiedener Erreger und deren Interaktion erweisen sich als Ursache einer Dysbiose bzw. als die Grundlage der normalen vaginalen Mikrobiota. In den jüngsten Publikationen finden sich dort die Lactobazillen in über 70 % der Fälle als Hauptspezies. Die Zusammensetzung des vaginalen Mikrobioms kann unter dem Einfluss verschiedener Faktoren variieren und sich oft kurzfristig verändern. Auch innerhalb der diversen ethnischen Gruppen sind die Spezies unterschiedlich verteilt. Lactobazillen sind endometrial für den Erfolg einer Kinderwunschbehandlung mitverantwortlich (s. A. "Endometriale Mikrobiomanalysen bei Kinderwunschpatientinnen: Größerer Behandlungserfolg"). Um weitere Evidenzen zu erhalten, sollten sowohl Interaktionen zwischen den Mikroorganismen und dem Wirt, als auch Synergismen zwischen diversen Erregern und den verschiedenen Immunreaktionen als Fokus zukünftiger Forschung berücksichtigt werden.
Um viel mehr belastbare Daten zu generieren ist es notwendig, zukünftig Standards für Mikrobiom-Analysen zu definieren. Diese müssen sich von der Art der Probengewinnung, über Primer-Auswahl und Modalitäten der Analysen bis zur Auswertung der Sequenz-Daten mittels Bioinformatik erstrecken, um die Mikrobiom-Analytik zu harmonisieren. Die Qualität solcher Untersuchungen lässt sich durch Teilnahme an Ringversuchen (s. A. "Qualitätsmanagement der Mikrobiom-Analytik: Fünf Jahre Ringversuchsorganisation") zusätzlich überwachen.  

Autor
PD Dr. med. Beniam Ghebremedhin
Universität Witten/Herdecke
Helios Universitätsklinikum Wuppertal
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